Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Schwierig, teuer, lohnenswert: der Weg zur Netto-Null

09.10.2024

Das Pariser Klimaabkommen sieht vor, dass die weltweiten Netto-Treibhausgasemissionen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auf null sinken sollen. Hält die wissenschaftliche Forschung das für realistisch? Wie sind die nötigen Maßnahmen mit wirtschaftlichem Wachstum und sozialer Verantwortung in Einklang zu bringen? Darüber diskutierten bei der Jahreskonferenz des Rats für Nachhaltige Entwicklung am 8. Oktober Mark Lawrence (Wissenschaftlicher Direktor des RIFS), Lara Möllney (Bundesvorsitzende der Naturfreundejugend), Verena Bentele (Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland) und Holger Lösch (stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie).

„Auf dem Weg zur Netto-Null“ bei der RNE-Jahreskonferenz (von links): Anne Chebu, Verena Bentele, Mark Lawrence, Lara Möllney und Holger Lösch.
„Auf dem Weg zur Netto-Null“ bei der RNE-Jahreskonferenz (von links): Anne Chebu, Verena Bentele, Mark Lawrence, Lara Möllney und Holger Lösch.

Anne Chebu, Moderatorin des Panels „Auf dem Weg zur Netto-Null: Wie sichern wir fairen Klimaschutz und planetaren Wohlstand?“, bat zu Beginn Mark Lawrence um eine Einschätzung, wie die Wissenschaft zum Netto-Null-Ziel stehe. „Technologien zur CO2-Reduzierung und -Entfernung können auf absehbare Zeit nur einen Bruchteil der derzeitigen Emissionen kompensieren. Auch wenn Prototypen existieren, wird deren Aufbau nach aller Wahrscheinlichkeit Jahrzehnte dauern. Erst dann wären sie wirklich klimarelevant, könnten also die Restemissionen ausgleichen.“ Daher seien schnelle Emissionsreduktionen wichtig. Die könnten allerdings nur gelingen, wenn Gesellschaft, Wirtschaft und Politik an einem Strang ziehen.

„Klimaschutz ist in den Hintergrund gerückt“

Für viele Menschen in Deutschland sei die Klimakrise angesichts von Krieg und Inflation in den Hintergrund gerückt, sagte Lara Möllney. Das liege auch daran, dass im Diskurs über Nachhaltigkeit individuelle Konsumentscheidungen oft zu sehr im Vordergrund ständen. „Aber wir haben keine Selbstwirksamkeitserfahrungen, wenn wir jetzt im Herbst Grünkohl statt Erdbeeren essen. Sondern wir haben dann Selbstwirksamkeitserfahrungen, wenn wir politisch aktiv werden, wenn unsere Stimmen gehört werden.“ Gerade junge Menschen müssten die Möglichkeit haben mitzugestalten, in was für einer Zukunft sie leben wollen. Entscheidend dafür seien attraktive Partizipationsangebote.

„Für Teilhabe sind Investitionen nötig“

Ohne erhebliche Investitionen werde die Transformation nicht gelingen, sagte Verena Bentele. Menschen auf dem Land seien zum Beispiel häufig auf ein Auto angewiesen oder hätten zu wenig Rücklagen, um eine neue Heizung einzubauen. „Da braucht es strukturelle Veränderungen und eine gerechte Förderung, damit auch diese Menschen ihren Anteil leisten können.“

Wichtig sei zudem, die Gesellschaft auf einen veränderten Arbeitsmarkt vorzubereiten, in dem die Künstliche Intelligenz einige Jobs überflüssig machen wird. Menschen müssten für neue Tätigkeiten umgeschult, das Steuersystem an neue Bedingungen angepasst werden: „Wenn Unternehmen mit wenig Arbeitsplätzen viel Gewinn machen, muss dieser Gewinn so versteuert werden, dass die Menschen davon gesellschaftlich sinnvolle Arbeit tun können.“ Für die Förderung eines solchen gesellschaftlichen Engagements sei die Einführung einer Luxussteuer und einer Digitalsteuer sinnvoll.

„Politik muss Risikoaversion überwinden“

Die Industrie sei grundsätzlich zur Veränderung bereit und auch in der Lage, sagte Holger Lösch. Der aktuelle Transformationsprozess unterscheide sich allerdings von früheren, die von neuen Technologien und neuen Anforderungen von Konsumentinnen und Konsumenten angetrieben wurden. „Heute haben wir ein politisch aus gutem Grund gesetztes Ziel der Transformation. Die Wahrnehmung in der Industrie ist nicht, dass das alles nicht geht. Aber wir leben natürlich als deutsche Industrie im globalen Wettbewerb. Und da hat derjenige, der hochambitioniert ist, Nachteile, die der Staat auch nicht komplett ausgleichen kann.“

Die Politik müsse ihre Risikoaversion überwinden, denn wer immer auf Nummer sicher gehe, entfessele keine Innovationsprozesse. „Man muss intelligente Anreize miteinander kombinieren, etwa CO2-Preis, Ordnungsrecht, Subvention. Idealerweise werden Technologien so schnell hochskaliert, dass sie nicht lange Förderung brauchen.“ Die „mühsamen Trippelschritte“ der Bundesregierung beim Thema Carbon Management deuteten allerdings nicht auf gesteigerte Ambitionen hin, kritisierte Lösch.

Jobs und Klimaschutz nicht gegeneinander ausspielen

Einig waren sich die vier Podiumsgäste, dass die Politik, aber auch die Medien und andere Akteure, auf dem Weg zur Netto-Null die Wirtschaft und die ökologische Nachhaltigkeit nicht gegeneinander ausspielen dürfe. „Wir wollen nicht das Klima vor dem Menschen schützen, sondern wir wollen den Menschen vor dem Klimawandel schützen“, sagte Mark Lawrence. Die Veränderungen dürften weder den gesellschaftlichen Zusammenhalt noch die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit gefährden. Das Publikum teilte diese Einschätzung, wie eine Umfrage über ein Interaktionstool bestätigte: Über 70 Prozent stimmten dafür, Jobs und Klimaschutz gleichermaßen zu priorisieren.

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Dr. Bianca Schröder

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Referentin Presse und Kommunikation
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