Zu Risiken und Nebenwirkungen der Digitalisierung
02.03.2021
Wer die Begriffe „Digitalisierung“, „Gesellschaft“ und „Veränderung“ in eine Suchmaschine eingibt, erhält Millionen von Treffern – Ausdruck der tiefgreifenden Transformation unserer Gesellschaft, die durch die Digitalisierung ausgelöst wurde und wird. Diese globale Transformation bringt zwangsläufig Risiken und Nebenwirkungen mit sich. Die Nachhaltigkeitsforschung steht vor der Herausforderung, diese unbeabsichtigten Risiken und Nebenwirkungen – die sogenannten „Unseens" – zu identifizieren und Strategien zu entwickeln, die einen angemessenen Umgang mit unerwünschten Effekten ermöglichen.
IASS-Projektteam DiDaT übergibt Weißbuch
Dieser Herausforderung hat sich das Team des IASS-Projekts „Digitale Daten als Gegenstand eines transdisziplinären Prozesses (DiDaT)“ in den vergangenen zwei Jahren gestellt. In einem breit angelegten, transdisziplinären Prozess wurden für die Bereiche Mobilität, Gesundheit, Landwirtschaft, Zukunft von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und Soziale Medien exemplarisch 24 unerwünschte Folgen der Nutzung digitaler Daten identifiziert.
Über 150 Fachleute aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft waren an diesem Prozess beteiligt. Transdisziplinäre Prozesse dienen dazu, komplexe, gesellschaftlich hoch relevante, wenig verstandene Probleme zu beschreiben, zu analysieren und damit besser zu verstehen. Wissenschaftliches Wissen, Erfahrungswissen aus der Praxis und gesellschaftliche Werte und Ziele werden zusammengeführt, um die Probleme zu identifizieren und mögliche Lösungswege auszuloten und zu bewerten.
Die Ergebnisse von DiDaT wurden in einem Weißbuch zusammengefasst, das am 2. März 2021 dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Prof. Ulrich Kelber, übergeben wurde.
Das Weißbuch besteht aus zwei Teilen, in denen es um drei wesentliche Aspekte geht:
- Identifikation und Beschreibung der „Unseens“, womit die unbeabsichtigten, aber zu erwartenden oder möglichen Folgen gemeint sind. Zugleich erfolgt eine Einschätzung von deren Bedeutsamkeit vor dem Hintergrund normativer Ziele und Werte.
- Beim Umgang mit den Unseens entstehen Zielkonflikte zwischen den verschiedenen Stakeholdern, die mit unterschiedlichen Werten, Interessen, ökonomischen Folgen und/oder ethischen Prinzipien verbunden sind.
- Jedes Weißbuchkapitel liefert „Sozial robuste Orientierungen“ für den Umgang mit den unbeabsichtigten Folgen. Diese Orientierungen umreißen, wie gehandelt werden müsste, um zu einem verantwortungsvollen und nachhaltigen Umgang mit digitalen Daten zu kommen.
Allgemeine Schlussfolgerungen von DiDaT
Die Bundesrepublik steht vor der Aufgabe, für die Nutzung digitaler Daten einen gesetzlichen und sozialen Rahmen zu schaffen. Bisher war diese Technologie-Innovation weitgehend privatwirtschaftlich gestaltet und Akteure der Bundesrepublik waren nur marginal beteiligt. Technologische Projekte wie GAIA-X sollen zum Aufbau einer leistungs- und wettbewerbsfähigen, sicheren und vertrauenswürdigen Dateninfrastruktur für Europa beitragen. Dennoch herrscht Nachholbedarf bei der Entwicklung nationaler, europäischer und globaler Datenstrategien oder bei gesetzlichen Verordnungen wie etwa die EU eprivacy-Verordnung.
Unweigerlich wird es in diesem Prozess zu Abwägungskonflikten kommen. Ein augenfälliges Beispiel ist die Abwägung zwischen dem Schutz von personenbezogenen Daten und anderen Interessen, etwa aus der Wirtschaft, aber auch gegenüber dem Gemeinwohl, etwa beim öffentlichen Gesundheitsschutz – in der Covid-19-Pandemie ist dieser Zielkonflikt sehr konkret geworden. Andere Beispiele sind ein Verbot des Darknets als auch die Aufhebung der Verschlüsselung gegenüber dem Schutz von Internetnutzerinnen und -nutzern.
Transdisziplinäre Prozesse bieten sich an
Um bei diesen Fragen zu gesellschaftlich breit getragenen Lösungen zu kommen, bieten sich transdisziplinäre Prozesse wie DiDaT an, in denen Wissenschaft und Praxis gemeinsam Verantwortung tragen und auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Verschiedene Wissensstände werden so zusammengeführt, um zu nachhaltigen Orientierungen für den Umgang mit diesen Fragen zu kommen/ zu gelangen.
Der zweijährige transdisziplinäre Prozess des wechselseitigen Lernens zwischen Wissenschaft und Praxis war aufwändig und erfolgreich. Er kann als Modell für die Entwicklung von „Sozial robusten Orientierungen“ zu anderen fundamentalen, kontroversen Themen genutzt werden, etwa um eine Verhärtung oder den Abbruch von Diskursen zu vergleichbar komplexen und vielschichtigen Fragen zu verhindern. Die Stärke eines transdisziplinären Prozesses liegt in einer Identifizierung und Bewertung der „Unseens“ (Wo liegt das Problem?) und in seinem Beitrag, nicht umsetzbare Lösungen zu vermeiden.
Für eine Reihe von Herausforderungen, die das Projekt DiDaT beschrieben hat, wären weitere transdisziplinäre Prozesse ein Mittel, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Zentral und für viele Bereiche relevant ist die Frage nach der Datenhoheit: Ein Kernproblem der digitalen Transformation, das die Wirtschaft und Wissenschaft, die öffentliche Hand und alle weiteren Akteure der Gesellschaft langfristig beschäftigen wird.
Publikationen des DiDaT-Projektes:
Scholz, R. W., Beckedahl, M., Noller, S., Renn, O., unter Mitarbeit von Albrecht, E., Marx, D., & Mißler-Behr, M. (Eds.). (2021). DiDaT Weißbuch: Orientierungen zum verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Daten – Orientierungen eines transdisziplinären Prozesses. Baden-Baden: Nomos.
Scholz, R. W., Albrecht. E., Marx, D., Mißler-Behr, M., Renn, O., & van Zyl-Bulitta, V. (Eds.). (2021). Supplementatorische Informationen zum DiDaT Weißbuch: Verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Daten – Orientierungen eines transdisziplinären Prozesses. Baden-Baden: Nomos.