Wer hat Angst vor offenem Diskurs?
26.01.2015
Politische Entscheidungen über umstrittene Forschungsthemen wie Pflanzengenetik und Fracking besitzen höchste gesellschaftliche Relevanz. Die Regularien, denen solche Forschung unterliegt, dürfen deshalb nicht auf Grundlage der Interessen von Aktivisten bestimmt werden.
Deshalb ist Ralf Nestlers in einem Kommentar für die Helmholtz-Gemeinschaft geäußerte Forderung absolut richtig, dass sich Wissenschaftler aktiv am gesellschaftlichen Diskurs zu ihrer Arbeit beteiligen sollten, um die gesellschaftliche Debatte so auf breitere Füße zu stellen.
Dies darf jedoch nicht mit der Absicht geschehen, dass Forschungspolitik abermals von einer Interessengruppe, in diesem Fall den Wissenschaftlern selbst, bestimmt wird. In neu entstehenden Bereichen der Forschung und Technologieentwicklung, wie zum Beispiel dem Climate Engineering, ist es daher von größter Bedeutung, dass Wissenschaftler offen sind für den Austausch mit Akteuren aus Gesellschaft und Politik. Deren Interessen müssen dabei ernst genommen werden und auch Eingang in die weitere Gestaltung der Forschung finden, um eine lähmende Polarisierung von Debatten – wie zum Beispiel im Bereich der Gentechnologie geschehen – zu verhindern. Dies ist fundamental im Selbstinteresse der Wissenschaft.
Wissenschaft findet nicht im luftleeren Raum statt
Dies wird gerade dann deutlich, wenn man das von Ralf Nestler angeführte Beispiel der Gentechnologie etwas genauer betrachtet. Dass eines Tages Aktivisten die Wissenschaftler vom Feld in die Labore treiben würden, war zu Beginn dieser Debatte kaum abzusehen. Zwischen Mitte der 60er Jahre und den frühen 70ern haben sich die Wissenschaftler, die (vor allem in den USA) an der Entwicklung der Gentechnologie beteiligt waren, unter Berufung auf ihre Expertise erfolgreich in eine Position gebracht, von der aus sie eine weiterreichende gesellschaftliche Debatte und die potenziell damit einhergehende regulatorische Aufmerksamkeit abwenden konnten.
Auch eine solche Polarisierung ist gefährlich. Dass Pflanzengenetiker sich am besten mit Pflanzengenetik auskennen, wie Ralf Nestler betont, ist selbstverständlich. Dies bedeutet aber nicht, dass sie die alleinige Deutungshoheit darüber innehaben sollten, wie mit den von ihnen erzielten Ergebnissen umzugehen ist – Wissenschaft findet schließlich nicht im luftleeren Raum statt. Auch die weitere Gestaltung der Forschung darf nicht einzig an den Interessen von Wissenschaftlern ausgerichtet werden. Forschungspolitische Entscheidungen – auch darüber, in welchen Bereichen auf welche Art und Weise weitergeforscht werden soll – sind immer wertbasiert, so dass auch ein forschungspolitischer Entscheidungsprozess eines breiten gesellschaftlichen Diskurses bedarf, um als politisch legitim zu gelten.
Bei umstrittenen Forschungsthemen geht es oft um Weltbilder, nicht um Fakten
In einen solchen Diskurs sollten sich sowohl Wissenschaftler als auch Aktivisten aktiv einbringen. Damit dies produktiv geschehen kann, muss ein Umfeld geschaffen werden, das einen rationalen Diskurs fördert. Ein solches Umfeld kann nicht aus der Abschottung gegenüber gesellschaftlicher Kritik heraus entstehen. Das IASS hat zum Beispiel im vergangenen Jahr eine große, internationale Konferenz zum Thema Climate Engineering veranstaltet, die Teilnehmer aus den Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften, aber auch Vertreter von Nichtregierungsorganisationen sowie politische Entscheidungsträger zusammenbrachte, um unter dem Motto "Critical Global Discussions" in solch einen produktiven Diskurs zu treten.
Gerade in Forschungsbereichen, die durch ein erhebliches Maß an Unsicherheit und hohe gesellschaftliche Relevanz gekennzeichnet sind, basieren Kontroversen eher auf unterschiedlichen Weltbildern und Wertesystemen als auf Uneinigkeit bezüglich der zugrundeliegenden Fakten. Umso größer ist jedoch die Verantwortung derjenigen, die ein hohes Maß an Faktenwissen besitzen, dieses auch produktiv einzubringen und es nicht zu missbrauchen, um eigene Interessen unter dem Deckmantel der Objektivität durchzusetzen.
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