Zusammenhang zwischen globaler Nachhaltigkeit und dem Ausmaß von Furcht und Aspiration: Interview mit David Mitchell
21.10.2015
Mitte Juli besuchte David Mitchell, Associate Research Professor am Desert Research Institute in Reno, Nevada, das IASS und hielt im Rahmen dieses Besuchs zwei Vorträge. Während David in Wissenschaftlerkreisen vor allem als Experte auf dem Gebiet der Atmosphärenchemie bekannt ist, ist er persönlich darüber hinaus seit vielen Jahren tief der vedisch-indischen Tradition verbunden und vertritt diese unter anderem als Eco-Minister des Parliament of World Religions. Zunehmend beschäftigt ihn die Frage, wie die gesellschaftliche Transformation zur Nachhaltigkeit mit den Fragen spiritueller Entwicklung verbunden sein könnte, die die vedische Lehre behandelt. Im Rahmen seines Besuchs am IASS stellte er diese Gedanken im Kreise interessierter Kollegen zur Diskussion. Dieser Dialog ist Teil einer Reihe von Aktivitäten am IASS, die den Austausch mit religiösen und spirituellen Perspektiven suchen, um ihren Blick und mögliche Beiträge zur Transformation zur Nachhaltigkeit kennenzulernen.
Könnten Sie zusammenfassen, was Sie unter den Begriffen Furcht und Aspiration verstehen?
Furcht und Aspiration sind natürliche Bestandteile des menschlichen Bewusstseins. Die Auffassung, die ich hier wiedergeben möchte, basiert auf dem alten vedischen (indischen) Verständnis vom Bewusstsein. Demnach sind Furcht und Aspiration zwei Energieformen, die sich im Bewusstsein auf rhythmisch zyklische Weise abwechseln. Hier steht Aspiration mit einer von drei grundlegenden Energiewellen in Verbindung, die Furcht ist mit einer anderen dieser drei verbunden, der Tamas-Energie. Sie gehören zu unserer menschlichen Natur, aber es gibt Methoden, die Furcht durch bestimmte spirituelle Übungen zu vermindern und Aspiration zu fördern.
Und wie kann ein höheres Maß an Aspiration dabei helfen, Nachhaltigkeit im Anthropozän zu erreichen?
Eine der Energiewellen, man nennt sie Sattva, hängt mit Aspiration zusammen, aber Aspiration ist nur ein kleiner Aspekt von Sattva, einem sehr umfassenden Konzept. Im Grunde sind wir von Sattva-Energie erfüllt. Wenn wir mit Sattva in Verbindung stehen oder Sattva erleben, haben wir kein Verlangen nach äußeren Dingen, wir jagen nicht unseren Wünschen hinterher oder versuchen, diese Wünsche durch äußere Tätigkeit zu erfüllen. Was die globale Nachhaltigkeit betrifft: Wenn unser Handeln nicht mehr so sehr in Wünschen wurzelt, wenn es durch Sattva-Energie gemäßigt wird und wir von Sattva erfüllt sind, dann gibt es weniger Konsum und wir sind weniger abhängig von den Ressourcen der Welt, um uns zu versorgen, denn wir werden durch Sattva versorgt. Überdies wird sich in unserem Handeln mehr Weisheit spiegeln und die Gesellschaft wird sich im Einklang mit größerer Achtsamkeit entwickeln.
Was kann jeder einzelne tun, um Aspiration in sich zu kultivieren?
Meditation ist ja heutzutage sehr populär. Es gibt verschiedene Meditationstechniken, und man kann sich die Technik aussuchen, die einem angenehm ist. Ein anderer Ansatz besteht darin, sich das eigene Schattenselbst bewusst zu machen. Wenn Sie durch verschiedene Methoden wie die Clearing—Technik oder die Selbsterforschung die Schatten in Ihrem Leben entdecken, dann erreichen Sie größere Bewusstheit und Sattva-Energie. Selbsterkenntnis enthüllt die Schatten und beseitigt Tamas-Energie. Mittels dieser Übungen können Sie die Schatten sehen, sodass sie nicht länger unbewusst bleiben. Aspiration entspringt der Seele, wird aber durch Sattva an den Verstand und das Herz kommuniziert. Immer wenn sie das Sattva-Niveau in Ihrem Inneren erhöhen, verstärkt sich Ihre Erfahrung der Aspiration.
Photo: Moyan Brenn/CC BY-NC 2.0