Über die Kultur des ungenutzten Potenzials
13.12.2017
Letzte Woche nahm ich an der UN-Klimakonferenz COP23 in Bonn teil. Abgesehen davon, dass ich im Mai 2017 bei den Verhandlungen zwischen den Konferenzen ein interaktives Side Event moderiert hatte, war das mein erster Besuch bei einer der jährlich stattfindenden COPs des UNFCCC. Ich reiste ohne konkrete Erwartungen an und interessierte mich hauptsächlich für die Kommunikations- und Arbeitskultur bei diesem wichtigen Großereignis. Mein Konferenzausweis gewährte mir Zugang zur sogenannten „Bonn-Zone“, wo Stände und Side Events von verschiedenen Konferenzteilnehmern, Nichtregierungsakteuren und dem UNFCCC-Sekretariat angeboten werden, nicht aber zu den Verhandlungen der Delegationen, die separat stattfinden. Meine Eindrücke beschränken sich daher auf die Bonn-Zone, und ich möchte betonen, dass meine Beobachtungen natürlich rein subjektiv sind.
Der Schauplatz und die Atmosphäre
Bei meiner Ankunft war ich von der schieren Größe des Tagungsorts, der Zahl der Teilnehmer und dem Lärmpegel überwältigt. Für die Konferenz hatte man eigens ein temporäres Gebäude errichtet, in dem auf 35.000 Quadratmetern 25.000 Teilnehmer Platz fanden. Die Hallen waren voller Menschen, die beisammen standen und plauderten oder zu ihrem nächsten Termin eilten, während viele an Tischen saßen oder standen und an ihren Laptops oder Mobilgeräten arbeiteten.
Mein erster Eindruck war, dass ich in eine Art „Happening“ oder eine „Tourismus-Messe“ geraten war. Wohin ich auch sah, überall bemerkte ich LCD-Displays, ausgeklügelte Geräte, augenfällige Werbegeschenke und kunstvoll gestaltete Objekte. Viele Länder nutzten ihre Pavillons, um ihre Naturschönheiten und kulturellen Attraktionen anzupreisen (z.B. Thailand), oder sie versuchten, Besucher mit technischen Spielereien und Mode zu umwerben (z.B. Indien). Auf dieses Ambiente der Unterhaltung und des Konsums, das ich hier erlebte, war ich nicht vorbereitet, und mich ergriff ein heftiges Gefühl der Entfremdung und des intuitiven Widerstands gegen diese Atmosphäre und ihre Dynamik.
Bei den Side Events saßen Experten auf Podien vorne im Raum, lieferten bildschirmgestützte Präsentationen oder präsentationsartige Antworten auf vorformulierte Fragen. Die Podien waren fast ausschließlich mit Männern besetzt (ich würde sagen, 80 bis 90 Prozent der Podiumsredner waren Männer), und von kultureller Vielfalt war auch nicht viel zu spüren. Die Podiumsredner präsentierten Seite an Seite vorformulierte (und meist wohlbekannte) Überlegungen und Ergebnisse. Bei keinem der Side Events, die ich besuchte, wurde ich Zeuge irgendeiner lebhaften und offenen Interaktion zwischen den Podiumsgästen, die eine tiefgehende Untersuchung eines Themas oder das Entstehen innovativer Gedanken und Ideen begünstigt hätte. Bei mehreren Podiumsdiskussionen war einige Zeit für Fragen aus dem Publikum vorgesehen, die jeweils ein Podiumsredner beantwortete.
Die Menschen
Es dauerte nicht lange, und die Podiumsdiskussionen langweilten mich. Die hier vorgebrachten Gedanken und Positionen hatte ich im Wesentlichen schon anderswo gehört oder gelesen, und meine geistige Aufnahmebereitschaft ließ allmählich nach. Ich war versucht, meinen Computer auszupacken und ein paar dringende E-Mails zu schreiben, und als ich mich umschaute, fiel mir auf, dass sich mindestens die Hälfte (und oft erheblich mehr) der Menschen im Publikum mit ihren Laptops oder Mobiltelefonen beschäftigte. Bei mehreren Side Events sah ich genauer hin und konnte beobachten, dass die meisten Leute entweder im Internet surften oder E-Mails beantworteten oder an Dingen arbeiteten, die, soweit ich es beurteilen kann, nichts mit der Podiumsdiskussion zu tun hatten. Und das überrascht mich nicht. Wie können wir uns Hoffnungen machen, dass es gelingt, gemeinsam nachzudenken und zu arbeiten, wenn alle in langen Reihen dasitzen, ohne einander anzusehen?
Bei meinem Rundgang durch die Hallen entdeckte ich viele bekannte Gesichter, und da fing ich an, alle, die mir begegneten, zu fragen, warum sie an der Konferenz teilnahmen. Aus den Reaktionen entnahm ich, dass die meisten Leute hier waren, um Kollegen zu treffen, zu sehen, wie es ihnen und ihren Projekten ging, und die Aussichten auf künftige Zusammenarbeit auszuloten. Auf meine Frage, wie sie ihren speziellen Beitrag und den Nutzen einschätzten, der sich aus ihrer Anwesenheit ergab, erhielt ich nicht wirklich konkrete Antworten. Während ich die Menschen in meiner Nähe beobachtete und ihren Gesprächen lauschte, bekam ich den Eindruck, dass hier eine ziemlich oberflächliches, pragmatisches Networking betrieben wurde, bei dem es darum geht, „zu sehen und gesehen zu werden“. Überdeutlich war auch der „Unterhaltungscharakter“ der Veranstaltung. Einige Leute posierten sogar neben jungen Mädchen in traditioneller Fidschi-Tracht, um sich fotografieren zu lassen.
Meine fundamentalen Zweifel
Ich fragte mich: Kann das wirklich Sinn und Zweck dieser Megaveranstaltung sein? Warum sind wir alle hier? Was ist das eigentliche Ziel und der Beitrag dieser Zusammenkunft? Ihr Potenzial ist im Prinzip gewaltig. Aus der ganzen Welt kommen so viele Menschen mit relevantem Fachwissen, Einfluss und Leidenschaft zusammen – und so nutzen wir diesen Anlass? Um zum wiederholten Male zu hören, was wir weitgehend schon vorher wussten, um uns darzustellen und seichtes Networking zu pflegen, eingebettet in eine narkotische Wolke des Entertainment?
Ich bin traurig, frustriert, sogar wütend über das, was ich als die dominante Kultur auf der COP erlebt habe. Wo ist der Raum, um einander zuzuhören und auf einer grundsätzlichen Ebene nachzudenken? Und warum nutzen wir dieses riesige Potenzial nicht, um uns wirklich miteinander zu beschäftigen und gemeinsam neue Gedanken und Perspektiven zu entwickeln? Offen gesagt frage ich mich: Können diese Konferenzen überhaupt einen sinnvollen Beitrag für einen besseren Umgang mit den Herausforderungen des Klimawandels leisten? Oder sind sie nur eine weitere Manifestation der Logik des Systems und der systemischen Strukturen, die unsere Probleme überhaupt erst hervorgebracht haben?
Eine Hoffnung für die Zukunft
Trotz meiner vielfach ernüchternden Erfahrungen bin ich mit wichtigen Impulsen der Hoffnung nach Hause gefahren. Viele Menschen, mit denen ich auf der COP gesprochen habe, waren ähnlich enttäuscht wie ich und äußerten ein tiefes Bedürfnis, gemeinsam anders zu arbeiten und aktiv zu werden. Überraschenderweise sagten viele, es sei an der Zeit, dass wir uns nicht mehr so sehr darauf konzentrieren, Wissen zu teilen, sondern „die Herzen der Menschen anzusprechen“. Außerdem stellten die Vertreter Fidschis, die den Vorsitz führten, das Konzept des Talanoa vor, eine Form des Dialogs, die auf dem Erzählen von Geschichten beruht; und der schön gestaltete „Talanoa Space“ in der Bonn-Zone bildete die höchst bemerkenswerte interaktive Ausnahme gegenüber den Frontalformaten der übrigen Podiumsveranstaltungen, was von vielen Teilnehmern sehr geschätzt wurde.
Wenn uns das Wohlergehen der Erde, einschließlich allen menschlichen und nichtmenschlichen Lebens, wirklich so sehr am Herzen liegt, wie wir sagen, dann muss sich nach meiner Überzeugung etwas radikal daran ändern, wie wir miteinander arbeiten und miteinander umgehen – eine neue Form der Kooperation sollte die vielen Blickwinkel und Wissensformen einbeziehen, die bei solchen Konferenzen anzutreffen sind. Es ist Zeit, dass wir es wagen, in den Rahmen der COP-Konferenzen innovative und interaktive Workshop-Formate einzuführen und mit echtem, zielgerichtetem Austausch und Co-Kreation Wege in die Zukunft zu eröffnen. Bei den Teilnehmern fallen diese Gedanken auf fruchtbaren Boden, und sie bringen so viel Wissen mit über ansprechende, partizipative und co-kreative Arbeitsweisen mit. Warum lassen wir das gewaltige Potenzial der COPs ungenutzt, indem wir an unseren gewohnheitsmäßigen, abgekoppelten und oberflächlichen Interaktionsformen festhalten? Macht es uns solche Angst, wenn wir unsere Komfortzone verlassen und lernen, wirklich zuzuhören und tiefe Beziehungen zueinander aufzubauen?
Ich hoffe, dass wir den Mut aufbringen, die strukturellen Barrieren zu überwinden und unsere gewohnten Formen der Zusammenarbeit umzugestalten. Beide sind in unserem Denken und in den mentalen und institutionellen Strukturen, die wir geschaffen haben, tief verwurzelt, aber ich bin sicher, dass sich auch diese verändern lassen. Wie es die UNESCO in ihrem Pavillon so treffend formulierte, liegt die Herausforderung darin, „das Denken zu ändern, nicht das Klima (“changing minds, not the climate”). Sonst tut es mir weh, mit anzusehen, wie dieses wertvolle kollektive Potenzial verschleudert wird.
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