Deutsches Engagement in Arktis-Politik und -Forschung
03.09.2015
Als mich das Auswärtige Amt im März dieses Jahres fragte, ob ich als Arktis-Expertin Mitglied in der deutschen Beobachterdelegation in der Arbeitsgruppe Nachhaltige Entwicklung des Arktischen Rates werden möchte, habe ich natürlich nicht gezögert. Welch eine Möglichkeit für eine Wissenschaftlerin, arktische Governance live und in Farbe zu erleben! Außerdem fügt sich dies passgenau in die Arbeit des IASS zur Arktis ein, welche die zunehme Verzahnung von arktischen und nicht-arktischen Akteuren und Prozessen untersucht.
Aber welche Rolle spielt die Arktis generell innerhalb deutscher Politik und Forschung? Immerhin hat die zunehmende Abnahme des arktischen Meereises in den letzten zwei Jahrzehnten die nördliche Region des Planeten nicht nur auf der politischen Agenda der acht Arktis-Staaten (Dänemark, Finnland, Island, Kanada, Norwegen, Russland, Schweden und USA) an Bedeutung gewinnen lassen. Dies wurde nicht zuletzt durch die erneute Einreichung des russischen Antrags auf Verlängerung ihres Festlandssockels im Arktischen Ozean Anfang August deutlich, sowie durch die anhaltende Diskussion um mögliche Konflikte in der Arktisregion. Aber auch traditionell als nicht-arktische Staaten bezeichnete Akteure wie Deutschland haben ihr Engagement in Sachen Arktis erhöht, vor allem im Bereich der Außen- und Forschungspolitik.
Deutsche Außenpolitik zur Arktis
Im September 2013 veröffentlichte das Auswärtige Amt die „Leitlinien deutscher Arktispolitik“ mit dem Untertitel „Verantwortung übernehmen, Chancen nutzen“. Darin betont die Bundesregierung die wachsende Bedeutung der Arktisregion für die internationale Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung, die sich im Hohen Norden besonders stark auswirkt. Sie strebt an, „den Besonderheiten der Arktis Rechnung zu tragen und sie zu einem zentralen Gegenstand deutscher Politik zu machen“ (S. 1). Wie alle anderen Akteure steht Deutschland dabei vor der Herausforderung, wirtschaftliche Interessen an der stärkeren Nutzung der Region mit ökologischen Schutzmaßnahmen einer sowieso schon fragilen Umwelt zu vereinbaren.
Deutsche Forschung und Forschungsnetzwerke zur Arktis
Bereits 2011 veröffentlichte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein Paper zum Thema „Schnelle Veränderungen in der Arktis: Polarforschung in globaler Verantwortung“. Darin wird Polarforschung ein hoher Stellenwert im Rahmen des BMBF-Programms „Forschung für nachhaltige Entwicklung (FONA)“ eingeräumt. Dies ist einer der Gründe, warum immer mehr Forschungseinrichtungen in Deutschland sich mit Arktis-Themen beschäftigen, auch zunehmend in den bislang wenig repräsentierten Sozialwissenschaften. Neben dem traditionsreichen Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), das seit über 30 Jahren zur Arktis forscht, sowie dem GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, hat sich seit 2009 verstärkt das IASS (gefördert durch das FONA-Programm des BMBF) mit Arktis-Expertise zu Themen der Nachhaltigkeit, Governance, Ressourcen und Luftverschmutzung etabliert. Ein Vorreiter war sicherlich auch die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) Berlin mit ihrer Teilnahme an den international geförderten Forschungsprojekten GeoPolitics in the High North (2008-2012) und Research Centre NORDEN (RENOR) (2013-2015).
Gleichzeitig wächst die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen deutschen Arktis-Forschern. Beispielsweise fand im Sommer 2014 eine zweiwöchige Summer School zum Thema „Arktis im Anthropozän“ in Potsdam statt, die vom IASS, AWI, dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), dem Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ), der Universität Potsdam sowie der Stadt Potsdam veranstaltet wurde. AWI und IASS nutzen diese erstmalige Kooperation, um gemeinsam mit der Jade Hochschule ein Forschungsprojekt zum Thema „Governance of Resources for Arctic Sustainable Policy and Practice (GRASP)“ zu entwickeln. Des Weiteren haben das AWI, das IASS, das International Arctic Science Committee (IASC) mit Sitz in Potsdam, das Ecologic Institute in Berlin und die Botschaft von Kanada in Berlin in 2014 und 2015 eine Reihe von Arktis-Veranstaltungen in Berlin und Potsdam im Rahmen der „Arctic Discussion Series“ organisiert. Die beiden letzteren Akteure richten darüber hinaus gemeinsam mit dem WWF seit 2013 jährlich das „Arctic Summer College“ mit deutscher und internationaler Beteiligung aus.
Aber neben formellen Kooperationen zu Forschungsprojekten haben sich auch informelle Netzwerke und Foren gebildet, die vor allem junge deutsche Arktisforscher zusammenbringen. Dazu zählt beispielsweise das „Polarforum“; eine Email-Liste, die in unregelmäßigen Abständen junge Forscher zusammenbringt, um beispielsweise gemeinsame Beiträge zu Konferenzen zu besprechen.
Universitätslehre zur Arktis in Deutschland
Über die deutsche Forschungsarbeit hinaus gibt es eine zunehmende Lehraktivität zu Arktisthemen an deutschen Hochschulen. Im Bereich Politikwissenschaft/Internationale Beziehungen wird beispielsweise an der Universität Potsdam, der Freien Universität Berlin, der Universität Bielefeld, der Universität der Bundeswehr München und der Technischen Universität Dresden zu Arktisthemen unterrichtet. Die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und die Universitäten in Marburg, Freiburg und Jena führen Studenten in Themen des Internationalen (See)rechts und des Völkerrechts zur Arktis ein. Und natürlich sind die Geowissenschaften und die Klimaforschung stark in deutschen Universitätslehrplänen eingebunden, unter anderem durch die Goethe-Universität Frankfurt, die Universitäten in Potsdam und Bremen sowie durch PIK, AWI und GEOMAR.
Deutschsprachige Publikationen zur Arktis
Die Naturwissenschaften sind, wie oben angedeutet, durch starke wissenschaftliche Vertreter wie dem AWI bereits seit langem in der Forschungs- und daher auch Publikationslandschaft zur Arktis vertreten (obwohl auch hier vielfach die Publikationssprache Englisch ist). Obwohl es in der Vergangenheit bereits hoch zu schätzende wissenschaftliche Beiträge auf Deutsch zur sozialwissenschaftlichen Arktisforschung gab („Herausforderungen und Optionen für Governance in der Arktis“ der Hessischen Stiftung für Frieden- und Konfliktforschung von 2011, „Logbuch Arktis - Der Raum, die Interessen und das Recht“ der Osteuropa-Reihe von 2011, „Auf dünnem Eis“ (2009) und „Zaungast in der Arktis - Deutschlands Interessen an Rohstoffen und Naturschutz“ (2011) in der Zeitschrift Internationale Politik), erweitert sich dieses Feld zunehmend. Exemplarisch dafür steht die Anfang September 2015 erscheinende „Sicherheit und Frieden (S+F)“-Ausgabe zu „Die Arktis: Regionale Kooperation oder Konflikt?“, in der sechs der sieben Beiträge auf Deutsch erscheinen, womit alle der deutschen Sprache mächtigen Autoren sich für Deutsch statt Englisch für ihre Beiträge entschieden haben. Auch der Verlag Springer VS hat im August 2015 einen deutschsprachigen Beitrag zu „Klimawandel und Sicherheit in der Arktis“ herausgebracht.
Zunehmende Vernetzung von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft
Nicht zuletzt nimmt auch die Vernetzung und Kooperation zwischen deutschen Arktisforschern und Vertretern aus Politik und Gesellschaft zu. Das AWI organisiert seit 2012 gemeinsam mit dem IASS und der SWP Berlin den regelmäßig stattfindenden Arktisdialog, zu dem Vertreter aller Bundesministerien mit deutschen Arktisforschern zusammenkommen und aktuelle Themen von Arktisforschung und –politik besprechen. Eine weitere Initiative ist ein wiederum vom AWI initiierter und gemeinsam mit dem IASS und der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe geplanter „Parlamentarischer Abend zur Arktis“ in 2016, auf dem der Kontakt zu Parlamentariern des Bundestages auf- und ausgebaut werden soll. Außerdem bestehen enge Kooperationen zwischen dem Auswärtigen Amt und deutschen Forschern (wie oben erwähnt), um die Teilnahme deutscher Delegationen an den Arbeitsgruppen, Task Forces und Expertengruppen des Arktischen Rates auszubauen. Dies kommt der Forderung in den oben genannten Leitlinien nach, die deutsche Beobachterrolle im Arktischen Rat zu stärken.
Deutsche Politik und deutsche Forscher engagieren sich also mehr und mehr in Sachen Arktis und suchen neben der internationalen Vernetzung zu anderen Arktisakteuren und -forschern auch zunehmend die Vernetzung innerhalb der deutschen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Angesichts der Herausforderungen, denen sich die Arktis gegenüber sieht, ist ein gesteigertes Engagement aller relevanten Akteure auch vonnöten. Schließlich bleiben die Veränderungen der Arktis durch die enge Verzahnung mit dem globalen Klimasystem nicht auf den Norden beschränkt, sondern betreffen potentiell auch uns in den mittleren Breiten, beispielsweise durch veränderte Wetterverhältnisse.
Header-Photo: Karsten Häcker