Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Weniger Diesel, mehr Lastenrad-Sharing

28.09.2017

Dr. Sophia Becker

Prof. Dr. Sophia Becker

sophia [dot] becker [at] rifs-potsdam [dot] de
Transport bicycle with big cargo box (c) istock/Tatabrada
Transport bicycle with big cargo box (c) istock/Tatabrada

Wenn ein Diesel-Gipfel den nächsten jagt, darf das Gesamtprojekt Verkehrswende nicht aus dem Blick geraten. Um Stadtbewohnern mehr Alternativen zum Pkw zu bieten, sollte Lastenrad-Sharing gefördert werden.

Der Diesel wird niemals sauber sein. Höchstens weniger schmutzig. So unabdingbar die technische Nachrüstung des Diesels ist, sie wird weder die Verkehrsprobleme in Städten noch die klimaschädlichen Emissionsprobleme des gesamten Verkehrssektors lösen, ebenso wenig wie das Elektro-Auto ein Allheilmittel sein kann. Dass der übermäßige private Autokonsum verringert werden muss, kristallisiert sich als Konsens heraus. Doch wie soll man die ungebrochene Autolust der Deutschen zähmen? Wie lässt sich die Stadt von den Folgen dieser eingefahrenen Nutzungsgewohnheiten befreien, sodass ihre Bewohner bessere Luft, weniger Lärm und mehr Lebensqualität erfahren können? Die Suche nach Alternativen zum privaten Diesel- und Benzinkonsum läuft. Es ist klar, dass wir einen Mix aus verschiedenen Maßnahmen brauchen und dass wir neue Wege gehen müssen. Einer dieser Alternativwege, der individuelle Mobilität und Transportkapazität vereint, ist das Lastenrad.

Auf den Straßen und Radwegen deutscher Städte begegnet man dem Lastenrad immer öfter – manchmal sogar mit Elektroantrieb. Die Mini-Transporter werden mittlerweile gern ins Spiel gebracht, wenn es um die nachhaltige Zukunft des urbanen Wirtschaftsverkehrs geht. Wenig ist jedoch über das Autoersatzpotenzial von Lastenrädern bekannt, wenn diese von Privatverbrauchern in einem Sharing-System genutzt werden. Dabei gibt es bereits ein ideales Testfeld für die Erprobung dieses Systems. Seit 2013 ist in Deutschland und Österreich, von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, ein Netzwerk aus privat initiierten und ehrenamtlich organisierten Lastenrad-Verleihstationen entstanden. Diese sogenannten Freien Lastenräder werden ohne fixe Leihgebühr, sondern gegen eine Spende für Wartung und Ersatzteile verliehen, denn die Initiativen arbeiten gemeinwohlorientiert. In 44 Städten stehen so insgesamt 134 Zwei- und Dreiräder, davon 40 mit elektrischer Unterstützung, für über 10.000 registrierte Nutzerinnen und Nutzer zur Verfügung. Die Nutzerzahlen der Freien Lastenräder steigen, und auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club (ADFC) hat die Chance erkannt. Er unterstützt nun seine Ortsgruppen von Flensburg bis Garmisch bei der Gründung eines Freien Lastenrades. Doch welches Potenzial haben Lastenrad-Verleihsysteme tatsächlich für die urbane Verkehrswende? Und sollten die Städte hier ebenfalls aktiv werden, so wie beim klassischen Bike-Sharing?

Um diese Frage zu beantworten haben wir am IASS gemeinsam mit dem Reallabor der Uni Stuttgart die erste empirische Studie zu Lastenrad-Sharing durchgeführt. Die zentralen Ergebnisse haben wir am 20. September auf der International Cycling Conference in Mannheim vorgestellt.

Lastenradfahrer lassen das Auto stehen

Das Wichtigste zuerst: Lastenrad-Sharing reduziert private Pkw-Fahrten. So geben 46 % der befragten Lastenrad-Nutzerinnen und –Nutzer an, dass sie ihren Transportweg mit dem Auto gemacht hätten, wenn kein Lastenrad-Sharing da gewesen wäre. Dies zeigt also zwei positive Effekte, einen Verhaltenseffekt und einen ökologischen Effekt: Erstens brechen Menschen mit ihren Gewohnheiten und probieren neue Alternativen zum Pkw aus (44 % der Befragten fahren im Rahmen des Sharings sogar zum allerersten Mal ein Lastenrad). Zweitens nützt das Lastenrad-Sharing unmittelbar der Luftqualität und dem Klimaschutz: allein in der vorliegenden Stichprobe (931 Befragte) konnten am Stichtag 425 Autofahrten mit einer Gesamtlänge von 5.509 km (und damit etwa 1 Tonne CO2) vermieden werden.

Skeptische Stimmen mögen einwenden, dass die Nutzer ein Lastenrad zwar gerne mal ausprobieren, aber kein Interesse daran haben, es dauerhaft in ihren Mobilitätsalltag zu integrieren. Unsere Zahlen ergeben ein anderes Bild: über 90 % der Befragten möchten in Zukunft wieder ein Lastenrad nutzen und berichten, dass ihnen das Lastenrad-Fahren Spaß macht. Für die häufigere Nutzung erachten sie die Verfügbarkeit einer Ausleihstation in ihrer nahen Wohnumgebung als besonders wichtig. Nur ein Drittel der Befragten hat die Absicht, sich ein eigenes Lastenrad anzuschaffen. Daraus leitet sich ein klarer Bedarf an Lastenrad-Sharing-Angeboten für die wiederkehrende Nutzung ab.

Was fehlt, sind gute Radwege und Abstellflächen

Doch es gibt auch einige Hindernisse beim Lastenrad-Fahren. Damit Lastenräder stärker genutzt werden können, muss die städtische Infrastruktur angepasst werden. Viele Nutzer müssen auf ihrer Lastenrad-Fahrt mit zu schmalen Radwegen, zugeparkten Radwegen, Schlaglöchern und zu geringem Platz auf Mittelinseln zurechtkommen. Außerdem fehlen geeignete und sichere Abstellplätze für das Lastenrad. Nur jeder Zehnte gibt an, keinerlei Infrastrukturprobleme beim Lastenrad-Fahren zu haben.

Wenn Lastenrad-Fahren als nachhaltige Mobilitätsoption in Städten noch attraktiver werden soll, dann muss die Infrastrukturplanung schon jetzt die besonderen Anforderungen an Radwegbreite und Abstellflächen berücksichtigen. Dazu könnten beispielsweise einige Autoparkplätze so umgewidmet werden, dass darauf je drei Lastenräder geparkt und angeschlossen werden können. Dafür braucht es den politischen Willen der kommunalen Entscheidungsträger und die entsprechende Lastenrad-spezifische Kompetenz in der kommunalen Verkehrsplanung.

Städte haben die Chance, Lastenrad-Sharing gezielt zu fördern

Was die Förderung des Verleih-Angebots betrifft, sollten Städte simultan einen Top-down- und einen Bottom-up-Ansatz verfolgen, um ihre Lenkungswirkung optimal zu nutzen: Zum einen sollten Lastenräder in bereits vorhandene Bike-Sharing-Systeme integriert werden, um Synergien zu schaffen und eine gleichmäßige Abdeckung mit Lastenrad-Verleihstationen zu erzielen. Das heißt, bei kommunalen Ausschreibungen für Bike-Sharing-Systeme sollte die Bereitstellung von Lastenrädern dazugehören, so wie es sich aktuell in Hamburg abzeichnet. In bergigen oder besonders windigen Regionen sind elektrisch unterstützte Lastenräder dabei sehr empfehlenswert.

Zum anderen sollten Freie Lastenräder und vergleichbare Initiativen unterstützt werden, die als gemeinnützige Vereine die Verkehrswende von unten in Bewegung bringen und in ihren Stadtquartieren gut vernetzt sind. Dies sollte in Form eines finanziellen Zuschusses von 30-40 % für die Anschaffung von Lastenrädern, die gemeinschaftlich genutzt werden, geschehen. So kann die Hürde der Anfangsinvestition von 3.000 bis 4.000 Euro für ein solides (Elektro-)Lastenrad gesenkt werden. Aber auch bei der Suche nach geeigneten Abstellflächen sollten sich Kommunen kooperativ zeigen.

Noch haben wir keine Daten zu den mittel- und langfristigen Effekten von Lastenrad-Sharing auf den privaten Pkw-Besitz. Doch Erkenntnisse aus der Carsharing-Forschung sind vielversprechend: Personen, die aufgrund des Sharing-Angebots ihr eigenes Auto abschaffen, berichten sogar von einer deutlichen Verbesserung ihrer Lebensqualität.

Dieser Artikel erschien zuerst am 19.9.2017 im Tagesspiegel Background Energie & Klima.

Foto oben: istock/Tatabrada

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