Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Ein Preisschild für die Natur: Wie Zahlungen für Ökosystemdienstleistungen funktionieren

07.08.2018

Eine Biene bei der Bestäubung einer Apfelblüte. Fast alle Obstbäume sind auf die fleißigen Insekten angewiesen.
Eine Biene bei der Bestäubung einer Apfelblüte. Fast alle Obstbäume sind auf die fleißigen Insekten angewiesen.

„Ökonomen schlagen Alarm […]“:  das „Bienensterben vernichtet bis zu 300 Milliarden Euro“ (Die Welt, 2013). Diese oder ähnliche Ausrufe, die das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Mensch und Natur verdeutlichen, sind heute nahezu alltäglich. Dass die Bestäubung durch Bienen und andere Insekten nicht nur für Obstbau und Landwirtschaft als Wirtschaftszweige wichtig ist, sondern wesentlich zu unserer Ernährungssicherung beiträgt, ist längst Teil öffentlicher Debatten. Schwinden die Bienen-Populationen, ist unsere Lebensgrundlage bedroht. Das Abhängigkeitsverhältnis betrifft nicht nur die Bestäubung, sondern auch andere Prozesse und Zustände unserer natürlichen Umwelt, wie die Klimaregulierung, Bodenneubildung und Wasserreinigung, aber auch Landschaftsästhetik und Erholungsfunktionen, die wir nutzen. Vor dem Hintergrund ihrer Bedeutung für den Menschen werden sie in der Wissenschaft unter dem Begriff der Ökosystemdienstleistungen oder Ecosystem Services diskutiert.

In dieser Denkweise erbringt die Natur eine Serviceleistung, für deren Erhalt es sich auch zu zahlen lohnt. Deshalb haben Ökonominnen und Ökonomen nach Wegen gesucht, die finanziellen Werte solcher Ökosystemdienstleistungen zu errechnen, um sie in wirtschaftliches Handeln integrieren zu können. Die Idee dabei ist, dass diejenigen, die Land besitzen oder bewirtschaften, den Umgang mit den natürlichen Ressourcen umweltverträglicher gestalten, wenn sie dafür angemessen bezahlt werden. Von der verbesserten Umweltqualität profitieren nicht nur Bürgerinnen und Bürger, sondern auch staatliche oder wirtschaftliche Akteure, die anderenfalls mit der Beseitigung von Verunreinigungen oder Umweltbelastungen konfrontiert wären.

Wer organisiert Ökosystemdienstleistungen und wie funktioniert das?

Hierzu ein Beispiel: Es werden Landbewirtschafterinnen und -bewirtschafter dafür entlohnt, ihre Bewirtschaftungsweise entlang eines Flusslaufes so anzupassen, dass weniger Nitrate ins Wasser eingebracht werden und so die Wasserqualität steigt. Gerade für Wasserversorgungsunternehmen ist es durchaus lukrativ, für die veränderte Bewirtschaftung zu zahlen, denn Filteranlagen zur nachträglichen Wasseraufbereitung sind um ein Vielfaches teurer.
Und so birgt die Idee der Zahlungen für Ökosystemleistungen anscheinend vielfältige positive Zugewinne: Sie schafft neue Umsetzungsmöglichkeiten im Umwelt- und Naturschutz und bietet gleichsam Einkommensquellen, ja einen neuen Wirtschaftszweig, in dem Umweltgüter in Märkten gehandelt werden.

Die Natur stets zu unseren Diensten also? Natürlich blieb die Idee nicht kritiklos. Mit zunehmender Verwirklichung des Konzeptes in der Praxis wurden auch Stimmen laut, welche die Inwertsetzung der Natur an sich, die Methoden der Wertermittlung, die Deutung einer Win-Win-Situation, die Schieflage zwischen Konzeptidee und Praxis und vieles mehr kritisierten. Während sich in der Wissenschaft die unterschiedlichen Positionen ihren Raum schufen, fand die Kritik insbesondere in politischen Diskussionen nur wenig Widerhall.

Diese Situation habe ich zum Anlass genommen, tiefer in die Thematik von Zahlungen für Ökosystemleistungen einzutauchen und nicht nur ihre Entwicklungslinien, ihre theoretische Fundierung, sondern vor allem ihre Praxis besser zu verstehen.
Mein Fokus lag - anders als bei Untersuchungen, die vorrangig von der ökonomischen Debatte geprägt sind - auf der Kommunikation und den Möglichkeiten der Mitgestaltung in den Entstehungsprozessen von Zahlungen für Ökosystemleistungen. Mich interessierte dabei: Wer organisiert so etwas eigentlich? Wen holt er oder sie dazu außerdem ins Boot? Wie läuft der Entwicklungsprozess vor Ort genau ab? Dazu habe ich mir 18 Entstehungsprozesse aus Deutschland und Großbritannien näher angeschaut.

Ökosystemdienstleistungen funktionieren nicht ausschließlich nach ökonomischen Logiken. Sie fußen ebenso auf überzeugenden Argumenten und vertrauensvollen Partnerschaften.

Die Forschungsarbeit zeigt, dass eine rein ökonomische Betrachtung, die (vereinfacht gesprochen) auf eine Käufer-Verkäufer-Logik fokussiert ist, zu kurz greift, um die Praxis von Zahlungen für Ökosystemleistungen in ihrer Vielfalt zu beschreiben und zu erklären.
Das hat vielerlei Gründe. Zum einen tragen die Zahlungen, wenn sie nicht aus gut gefüllten und auf Dauer angelegten Fördertöpfen kommen, nur teilweise zum Lebensunterhalt derjenigen bei, die Ökosystemdienstleistungen bereitstellen. Mitunter werden sie stattdessen als „kleines Dankeschön“ gewertet.

Zum anderen, und das ist noch entscheidender, ist es eben auch ein Lernprozess, die Inwertsetzung der Natur ins eigene Handeln zu integrieren. Insbesondere Landwirte, die mit der Technisierung in der Landwirtschaft die Errungenschaft von Ertragssteigerungen und Nahrungsmittelsicherheit mitgestalteten, stellt das Anbieten von Ökosystemdienstleistungen vor eine Herausforderung. Besonders dann, wenn die veränderte Bewirtschaftung deutlich von der Idee der Ertragsmaximierung wegführt. Für einige von ihnen scheinen Zahlungen für Ökosystemdienstleistungen dann auf den ersten Blick in Urgroßvaters Zeiten zurückzuführen. Und so braucht es trotz des finanziellen Anreizes auch überzeugende Argumente, will man möglichst viele zum Erbringen von Ökosystemdienstleistungen bewegen.

Aber es wird natürlich nicht alles mit jedem und jeder verhandelt und dann einvernehmlich abgestimmt. Wie Zahlungsmechanismen aufgebaut sind hängt - neben anderen Kontexten - entscheidend davon ab, wer sie initiiert und welche Interessen der- oder diejenige mitbringt.
Ist der Entstehungsprozess beispielsweise allein von Umwelt- und Naturschutzzielen angeleitet sind nicht nur Zielstellungen klar vordefiniert, sondern auch die Maßnahmen gelten als bekannt. Dieser Fall tritt zum Beispiel dann ein, wenn eine Umweltorganisation den Mechanismus nutzen möchte, um in einem Moorgebiet mit Hilfe einer verträglichen Bewirtschaftung Habitate seltener Tier- und Pflanzenarten zu erhalten und außerdem die Speicherung von CO2 zu verbessern. Unter diesen Voraussetzungen werden andere Vorstellungen im Umgang mit lokalen Ressourcen als hinderlich für die Zielerreichung betrachtet. Eine Rücksprache mit anderen Akteuren wird deshalb häufig nur dann anvisiert, wenn entweder die Umsetzung auf Kritik stößt oder die Organisation die Mitgestaltung Dritter zum Grundsatz ihres Handelns gemacht hat.

Spielen hingegen auch wirtschaftliche Motive zur Initiierung des Zahlungsmechanismus eine tragende Rolle, weil sie sich gut mit naturschutzfachlichen Zielen kombinieren lassen, ist die Akteurskonstellation viel stärker durch wechselseitige Abhängigkeiten in der Wissensverteilung geprägt. Es können kooperative Partnerschaften entstehen, die zwar respektvoll agieren, aber nicht unbedingt bereit sind, die eigenen Interessenlinien zugunsten anderer zu verlassen. Dort, wo man gewillt ist, die eigene Perspektive zu verändern und sich demnach von anderen überzeugen zu lassen, gibt es zumeist einen gemeinsam getragenen Überbau. Das heißt: Ideell zieht man am gleichen Strang.

In den Gesprächen über die Entstehungsprozesse von Zahlungen für Ökosystemdienstleistungen wurde eines fast immer als überaus wichtig hervorgehoben: wechselseitiges Vertrauen. Und damit nehmen gewachsene Strukturen vor Ort und bestehende Erfahrungen in der Zusammenarbeit großen Einfluss auf das Gelingen der Umsetzung von Zahlungen für Ökosystemdienstleistungen.

Große Unterschiede in der Zusammenarbeit von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren

Der Vergleich zwischen den Entstehungsprozessen in Deutschland und Großbritannien machte deutlich, dass der jeweilige Politikstil erheblich dazu beiträgt, wer sich wie in die Entwicklung von Zahlungsmechanismen einbringt. In der Zusammenarbeit von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren zeigten sich große Unterschiede in Bezug auf die lokalstaatliche Ebene. In Deutschland zog die Zivilgesellschaft Vertreter dieser Ebene gern als Partner hinzu oder stimmte das eigene Vorgehen dort ab, als eine Art Rückversicherung. In Großbritannien hingegen blieb die lokalstaatliche Ebene häufig unerwähnt oder ihr wurden gar Kompetenzen abgesprochen. Anders als in Deutschland, wo die lokale Ebene über die die kommunale Selbstverwaltungspraxis schon lange in ein hierarchisch gegliedertes politisches System eingebettet ist und über eigne Verantwortungsbereiche verfügt, ist das britische Pendant von vielen und mitunter tiefgreifenden Reformen geprägt und nimmt gerade im ländlichen Raum deutlich weniger Einfluss auf die Entwicklungsplanung einer Region. Es wäre demnach fatal, das Funktionieren von Zahlungen für Ökosystemdienstleistungen in der internationalen Debatte auf eine „Formel“ reduzieren zu wollen. Insgesamt, so zeigt sich, ist es lohnenswert, vielfältige disziplinäre Perspektiven in die Debatte um Zahlungen für Ökosystemdienstleistungen zu integrieren, um ein ganzheitliches Bild zu erhalten und die Funktionsweise nicht einseitig fehlzudeuten.

Das Buch „Zahlungen für Ökosystemdienstleistungen - Zwischen Marktprinzipien und Kommunikation“ ist bei Springer VS erschienen und kann unter https://www.springer.com/us/book/9783658223380 eingesehen werden.

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