Wie aus dem „Klimapaket“ eine wegweisende Klimawende werden kann
08.11.2019
Vier Empfehlungen aus Sicht der Nachhaltigkeitsforschung
Das Klimapaket der Bundesregierung hat bisher viel berechtigte Kritik auf sich gezogen. Eine differenzierte Analyse muss jedoch neben der ökologischen auch die soziale Dimension und die politische Steuerungsarchitektur betrachten. In den kommenden Monaten wird sich entscheiden, ob das Klimapaket durch Nachbesserungen zu einem wirkungsvollen Instrument der Klimapolitik wird, das zur realen Reduzierung des Ausstoßes von klimaschädlichen Gasen wie Kohlendioxid führt. Dazu vier Empfehlungen aus Sicht der Nachhaltigkeitsforschung:
Klimawende statt Kurskorrektur
Erstens: Mit der Einführung eines CO2-Preises im Verkehrs- und Wärmesektor hat sich die Bundesregierung einen Ruck gegeben. Doch mit dem niedrigen Einstiegspreis und der mäßigen Steigerungsrate geht sie ein hohes Risiko ein: Wenn der erwünschte ökonomische Lenkungseffekt nicht eintritt und damit die klimapolitischen Ziele verfehlt werden, schwindet in der Bevölkerung das Vertrauen in die Wirksamkeit der Bepreisung. Die Akzeptanz des Klimapakets hängt davon ab, ob die Bürgerinnen und Bürger die Maßnahme für notwendig und wirksam halten.
Das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Klimaschutzmaßnahmen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen und zuletzt durch Fridays for Future noch einmal intensiviert worden. Das Ziel des Klimapakets stößt daher auf breite Zustimmung in der Bevölkerung. Doch viele glauben nicht an die Wirksamkeit der Maßnahmen, die jetzt getroffen worden sind. Dieser Eindruck wird sich dramatisch verstärken, wenn in den kommenden Jahren trotz des Klimapakets eine nennenswerte Reduktion von Treibhausgasen ausbleibt. Dann wird auch die Kompetenz der Politik mehr und mehr in Zweifel gezogen und das Vertrauen in ihre Problemlösungskapazität weiter erschüttert.
2011 hat die Regierung nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima eine mutige Kehrtwende der deutschen Energiepolitik vollzogen. Mit dem Kohleausstieg hat sie kürzlich ihre Glaubwürdigkeit in der Energiewende untermauert. Heute wäre es an der Zeit, eine wegweisende Klimawende zu vollziehen statt nur einer vorsichtigen Kurskorrektur.
Soziale Ausgleichsmechanismen sind wichtig für den sozialen Frieden
Eine nutzungsabhängige Bepreisung von CO2-intensiven Dienstleistungen und Produkten ist zweitens grundsätzlich sozial gerecht, da sie das Verursacherprinzip berücksichtigt: Wer viel verbraucht, zahlt viel. Sozialwissenschaftliche Studien zeigen, dass Haushalte mit hohem Einkommen deutlich mehr CO2-Emissionen verursachen als Haushalte mit niedrigem Einkommen. Wenn diese gutverdienenden Haushalte durch die CO2-Steuer stärker belastet werden, ist das sozial gerecht.
Doch es gibt auch Ausnahmen: zum Beispiel Personen, die wenig verdienen und durch hohe Mietpreise in schlecht angebundene Wohngebiete gedrängt wurden. Wenn sie für den Arbeitsweg auf den Pkw angewiesen sind, dann sollten sie durch eine höhere Pendlerpauschale entlastet werden. Idealerweise würde die Bundesregierung die Erhöhung der Pendlerpauschale aber nicht von der Entfernung (ab dem 21. Kilometer), sondern vom Einkommen abhängig machen. Nur für diejenigen, die wenig verdienen, sollten die unvermeidbaren Mobilitätskosten kompensiert werden. Für Gutverdienende sollten Mobilitätskosten dagegen als „zumutbar“ gelten, wie dies auch bei den Gesundheitskosten bis zu einem bestimmten Prozentsatz des Einkommens der Fall ist. Dadurch wird ein Anreiz gesetzt, möglichst kostengünstig mobil zu sein, was in den allermeisten Fällen gegen das Auto und für den ÖPNV oder das Fahrrad spricht.
Politische Verantwortung und zweckgebundene Verteilung der Gelder
Drittens ist es als großer politischer Fortschritt zu würdigen, dass die einzelnen Ministerien klare Emissionsgrenzen verordnet bekommen und so der gordischen Knoten der bisherigen Verantwortungsdiffusion in der deutschen Klimapolitik zerschlagen wird. Jetzt muss bei der Umsetzung der klimapolitischen Begleitmaßnahmen der CO2-Bepreisung ein Verteilungsmechanismus der Einnahmen auf Länder und Kommunen neu ausgehandelt werden – vor allem für den bisher so klimaschädlichen Verkehrssektor. Der klimaschonende Umbau des Verkehrssystems kann nur gelingen, wenn der Bund einen substanziellen Teil der Einnahmen aus dem CO2-Preis zweckgebunden an Länder und Kommunen verteilt. Denn die Länder stellen die Weichen zur Verbesserung des Öffentlichen Verkehrs und die Kommunen finanzieren den Umbau der urbanen Infrastruktur, damit in Zukunft tatsächlich mehr Rad und ÖPNV gefahren werden kann. Ohne einen fairen Verteilungsschlüssel zur Finanzierung der notwendigen Infrastrukturen wird der Umstieg auf klimafreundliche Verkehrsmittel nicht gelingen.
Für eine klimaverträgliche Wärmeversorgung in privaten Gebäuden lässt sich noch mehr tun
Viertens: Das Neue Klimaschutzprogramm der Bundesregierung hat zu Recht erkannt, dass es nicht nur auf die Stromversorgung ankommt, sondern dass auch die Wärmeversorgung ein wichtiger Faktor für den Klimaschutz neben dem Verkehrssektor darstellt. Das in Aussicht gestellte Verbot von Ölheizungen in Neubauten ist dazu ein wichtiger und mutiger Schritt. Aber das reicht nicht aus. Wir brauchen wirksame und sozial abgefederte Effizienz- und Umstellungsprogramme auf erneuerbare Energieträger. Zurzeit liegen die Gebäudesanierungsraten deutlich hinter dem Bedarf und den Zielen der Bundespolitik zurück. Eine signifikante Aufstockung der Programmmittel für energetische Sanierung ist dringend geboten. Um die soziale Komponente zu berücksichtigen, wäre eine Staffelung entlang des Einkommens sinnvoll. Danach würden Eigenheimbesitzer mit niedrigem und mittlerem Einkommen höhere Tilgungszuschüsse erhalten. Für vermietete Gebäude könnte eine Staffelung entlang der mittleren Miete pro Quadratmeter Wohnfläche erwogen werden. Eigentümer von Gebäuden mit relativ geringen mittleren Mieten bekämen demnach eine höhere Förderung. Schließlich könnten die Programme zur Mietersanierung weiter ausgebaut werden. Viele Mieterinnen und Mieter sind nach Umfragen bereit, selber in energiesparende Maßnahmen zu investieren, wenn sie dies finanziell stemmen können. Mit entsprechender Förderung könnte hier vor allem für einkommensschwache Bevölkerungsteile wirksame Anreize für Energieeffizienz geschaffen werden.
Fazit: Auch wenn das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung noch nicht all die mutigen Schritte enthält, die für eine Klimawende notwendig sind, geht der differenzierte Ansatz über Preise, Förderung und Verordnungen in die richtige Richtung. Ein Instrument alleine wird die Wende nicht herbeiführen. Gleichzeitig sollte man der Bundesregierung aber mehr Mut wünschen, sich nicht mit Klein-Klein zu begnügen, sondern die jetzige Stimmung für eine anspruchsvolles Klimaschutzprogramm zu nutzen, um die schon beschlossenen Maßnahmen weiter zu vertiefen und wo nötig zu korrigieren.
Dieser Artikel erschien zuerst am 8. November 2019 im Tagesspiegel Background Energie & Klima.