Neue Formen der Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft
14.05.2020
Eine Krise schafft Raum und Zeit, um alte Überzeugungen zu hinterfragen und neue Möglichkeitsräume zu diskutieren. Die aktuelle Situation zeigt mehr denn je: Der gesellschaftliche Transformationsprozess in Richtung Nachhaltigkeit braucht neue, bisher nicht gedachte, vielleicht nicht für möglich gehaltene Lösungsansätze. Und er braucht Menschen, die das Umsetzen dieses Neugedachten möglich machen. In wichtigen Themenfeldern wie der Mobilitäts- und Energiewende kann das bisher wenig genutzte Potenzial einer Kooperation zwischen Wissenschaft und Unternehmertum besser ausgeschöpft werden. Wenn Kompetenzen aus Wissenschaft und Unternehmertum konstruktiv zusammengeführt und dabei politische Entscheidungsträger, Nichtregierungsorganisationen und die Öffentlichkeit in den Diskurs mit einbezogen werden, kann sich das Potenzial einer gemeinsam getragenen Transformation entfalten.
Wir brauchen neue Kooperationsziele und eine neue Haltung zu ko-kreativer Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, um einen grundlegenden Schritt im Transformationsprozess voranzukommen. Unternehmen unterschiedlichster Ausprägung – von großen etablierten Konzernen über KMUs bis hin zu Start-ups und Selbständigen aus dem Bereich des Social Enterpreneurship – verfügen in Form von Know-how, Finanzmitteln, Praxiswissen und Umsetzungsorientierung über Ressourcen und Gestaltungskanäle, ohne die eine gesellschaftlich wirksame Transformation nicht gelingen kann. Der wachsende Erfolg der Gemeinwohlökonomie zeigt eine Möglichkeit, wie diese Kräfte gezielt für eine Transformation zu einer nachhaltigeren Gesellschaft eingesetzt werden können. Der jährlich stattfindende „Entrepreneurship Summit“ befasst sich schon seit Jahren mit der Frage, wie der Wandel in der Wirtschaft gestaltet werden kann und zeigt konkrete Beispiele, wie Transformationen gelingen können.
Gerade die Umsetzungsexpertise unternehmerischer Akteure und die reflexiven Kompetenzen und Erkenntnisse der Wissensproduktion aus dem Wissenschaftssystem könnten sich sinnvoll ergänzen. Und gleichzeitig stehen beide Teilsysteme des Gesellschaftssystems vor großen Herausforderungen: Wissenschaftliche Forschungsprozesse und Ergebnisse müssen sich in Zukunft noch viel mehr die kritische Frage nach ihrer gesellschaftlichen Relevanz gefallen lassen. Sie werden sich daran messen lassen müssen, welchen realen Mehrwert sie für die Weiterentwicklung der Lebensqualität und Nachhaltigkeit der Gesellschaft bringen. Das impliziert auch eine Diskussion um gesellschaftliche Werte, Akzeptanz und Akzeptabilität, erforderliche Rahmenbedingungen und Umsetzbarkeit. Unternehmertum, auf der anderen Seite, wird sich immer weniger ausschließlich auf Profit ausrichten lassen, sondern zeigen müssen, in welchem Maß es Entwicklungen hin zu zukunftsfähigen Lebensweisen fördert. Die Aussage von Milton Friedman „The business of business is business“ ist längst überholt und Ausdruck eines Wirtschaftsverständnisses, das aktuelle Generationen von Unternehmerinnen und Unternehmern, denen die gesamtgesellschaftliche Sinnhaftigkeit ihres Wirkens am Herzen liegt, immer weniger teilen. Insbesondere nach der Coronakrise wird dies unter dem Aspekt gesellschaftlicher Resilienz mehr denn je hinterfragt werden. Politische Rahmenbedingungen müssen dieses Wirtschaftsverständnis unterstützen und fördern. Konjunkturprogramme machen nur Sinn, wenn sie auch an ökologische Bedingungen geknüpft werden und eine faire gesellschaftliche Teilhabe an wirtschaftlichem Erfolg ermöglichen.
In zukünftigen Kooperationen zwischen Unternehmertum und Wissenschaft muss es um mehr gehen, als um bisher bekannte Formen der Kooperation. Hier geht es nicht darum, wissenschaftlich generiertes Wissen für Unternehmen bereitzustellen, damit diese daraus ein marktfähiges Produkt entwickeln. Es geht auch nicht um Auftragsforschung z.B. in Bereichen des Technologietransfers. Diese Formen der Kooperation sind vorhanden und wertvoll. Der Transformationsprozess in Richtung Nachhaltigkeit braucht jetzt jedoch eine neue, zusätzliche und vor allem weiterführende Form der Kooperation, eine „Cooperation 2.0“.
Es geht um einen Reflexionsprozess, der als übergeordnetes Ziel die Gestaltung des Transformationsprozesses der Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit im Fokus hat. Es geht um das Zusammenführen gemeinsamer Erfahrungs- und Wissensbestände, mit dem Ziel, transformativ wirksame konkrete Produkte, Prozesse und Rahmenbedingungen zu entwickeln. Diese müssen in einem gemeinsamen Forschungs- und Gestaltungsprozess systematisch erkundet und kontinuierlich verbessert werden. Sind diese erfolgsversprechend, müssen sie skalierbar gemacht werden. Zu viele Erfolge bleiben in der Nische, obwohl sie vielerorts genauso erfolgreich angewendet werden und so einen viel größeren Effekt generieren könnten. Ein solcher neuer Prozess braucht wissenschaftliche und unternehmerische Kompetenzen. Die Herausforderung besteht im Zusammenführen dieser Kompetenzen und im erfolgreichen Begleiten des Prozesses, denn unterschiedliche Blickwinkel auf ein übergeordnetes Gesamtziel zusammenzuführen, ist kein Selbstläufer. Gefordert sind Prozessgestaltungs- und Moderationskompetenz, die weitsichtig, konfliktkompetent und auf das konstruktive Herausarbeiten und Zusammenführen verschiedener und teilweise zunächst widersprüchlicher Ansätze und Blickwinkel ausgerichtet ist. Nur so kann in einem gemeinsamen Verständigungsprozess substanziell Neues und Wertvolles entstehen.
Der Transformationsprozess in Richtung Nachhaltigkeit braucht einen großen Hebel, wenn er gesellschaftlich eine signifikante Wirksamkeit entfalten soll. Zusammenwirken müssen evidenzbasiertes Wissens und unternehmerische Umsetzungskompetenz – im Zusammenspiel mit den passenden politischen Rahmenbedingungen und der gesellschaftlichen Akzeptanz. Der Transformationsprozess wird Risiken beinhalten und es wird auch Verlierer geben. Notwendig ist deshalb ein kontinuierlicher Prozess, der diesen Aushandlungsprozess konstruktiv gestaltet, Konflikte zulässt und in wertvolle Impulse in konkrete Umsetzung umwandelt.
Zukunftsweisende Entscheidungen erfordern neue Kompetenzen sowohl in der Wissenschaft als auch im Unternehmertum. Insbesondere die ganzheitliche Perspektive der Nachhaltigkeitsforschung stellt einen Wissensschatz bereit, der Akteuren aus der Wirtschaft in dieser Form oft verschlossen bleibt. Die Beratungskompetenz wird oft den klassischen Beratungsorganisationen übertragen, die überwiegend nach Prinzipien agieren, die mit den Werten der Nachhaltigkeit im Konflikt stehen.
Die aktuelle Debatte um Konjunkturhilfen könnte für eine solche Diskussion ein guter Aufhänger sein. Die staatlichen Wirtschaftshilfen werden maßgeblich auch die zukünftige Entwicklung von Unternehmertum mitgestalten. Der WWF weist in seiner aktuellen Stellungnahme, die er in Kooperation mit Germanwatch verfasst hat, auf die entstehenden Pfadabhängigkeiten durch Konjunkturprogramme hin. Diese müssten deshalb auf einen langfristigen Transformationsprozess unserer Wirtschaft abzielen, sprich den Erhalt der Biodiversität berücksichtigen und an den UN-Nachhaltigkeitszielen sowie dem Pariser Klimaschutzabkommen ausgerichtet sein.
Die drohende Rezession darf jetzt nicht zur Bremse für Klimaschutzmaßnahmen und Strategien für eine nachhaltige Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft werden. Die Weiterentwicklung unternehmerischer Verantwortung kann nur in konstruktiven Reflexionsprozessen gelingen, die als Basis wissenschaftliche Erkenntnisse nutzen und die Umsetzbarkeit in konkrete Vorhaben zum Ziel haben.