CO2-Karbonatisierung: Option für eine saubere Zementindustrie?
30.07.2020
In der Reaktion der Europäischen Kommission auf die Corona-Pandemie kündigte Präsidentin von der Leyen kürzlich das Ziel an, „eine moderne, saubere und gesunde Wirtschaft aufzubauen, die die Lebensgrundlagen der nächsten Generation sichert“. Doch was bedeutet das für Industriesektoren mit hohen Emissionen, wie die Zementproduktion? Sind sie Teil einer "Wirtschaft von gestern", oder können sie erfolgreich zu nachhaltigeren Produktionsweisen übergehen? Mehr als die Hälfte aller Materialien, die die Menschen auf der Erde verwenden, sind "zementartig" – sie sind also zum Beispiel Beton, Zement oder andere Baustoffe. Ein Leben ohne Zement ist schwer vorstellbar.
Effizienzmaßnahmen erreichen ihre Grenzen – was kommt danach?
Mit rund fünf Prozent der weltweiten anthropogenen Treibhausgasemissionen ist der Zementsektor einer der Hauptverursacher des Klimawandels. Daher ist die Baustoffindustrie besonderem Druck ausgesetzt, um für ihre herkömmlichen Produktionspfade treibhausgasneutrale Alternativen zu finden. Kürzlich hat der europäische Zementverband Cembureau seine Roadmap zur Klimaneutralität 2050 veröffentlicht. Die Roadmap beschreibt mehrere strategische Hebel, mit denen der CO2-Fußabdruck der Zementproduktion verringert werden kann. Während in den letzten Jahrzehnten bei herkömmlichen Produktionsprozessen viele Effizienzgewinne erzielt werden konnten, müssen nun jedoch noch erhebliche technische Hindernisse überwunden werden, um die Treibhausgasneutralität zu erreichen. Daher sind auch sogenannte Technologien zur CO2 Nutzung und Speicherung – auf Englisch „Carbon Capture and Utilization or Storage“ (CCU/CCS) - erforderlich, um die „verbleibenden“ Emissionen in Zukunft reduzieren zu können.
CO2-Karbonatisierung kann zur Lösung des Problems beitragen
Die CO2-Karbonatisierung, auch CO2-Mineralisierung genannt, ist ein CCU-Konzept, das in den letzten Jahren in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik große Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Hierbei wird CO2 mit Mineralien reagiert, um Karbonate zu bilden und so CO2 dauerhaft zu speichern. Solche Innovationen könnten wesentlich für den Zementsektor sein: CO2-Emissionen könnten als Rohstoff in der Produktion von Baustoffen sinnvoll verwendet werden. Die entstehenden Karbonate sind potenziell vielseitig einsetzbar, zum Beispiel als Füllstoffe, Zementzusätze oder für Projekte zur Landgewinnung. Einige Anwendungen wurden bereits vom Europäischen Gerichtshof als gültige CO2-Speicherlösungen im Rahmen des Europäischen Emissionshandelssystems (EU ETS) anerkannt.
Erste CO2-basierte Baustoffe sind bereits auf dem Markt
Einige Leuchtturmprojekte demonstrieren bereits heute weltweit, dass ein kommerzieller Einsatz von CO2-Karbonatisierung möglich ist. Beispiele sind Solidia (Zement) und CarbonCure (Fertigbeton). Diese Produkte sind jedoch oft vergleichsweise teuer oder bedienen nur lokale (Nischen-)Märkte, wie z.B. Carbon8 (Betonzuschlag als Abfallbehandlung) oder Mineral Carbonation International (Zementzusätze). Viele andere Karbonatisierungstechnologien sind heute noch nicht ausgereift und erfordern weitere Forschung und Entwicklung, wie zum Beispiel in dem vom BMBF geförderten Projekt CO2Min, das die Verwendung natürlicher Mineralien in umweltfreundlichem Zement untersucht. Die Weiterentwicklung der CO2-Karbonatisierungstechnologien ist ein wichtiges Element in vielen strategischen Forschungsagenden, unter anderem der National Academies of Sciences, der Energy Transitions Commission und der Global CO2 Initiative. Auch auf CCSzielende CO2-Karbonatisierung wird in Betracht gezogen, um im großen Maßstab negative Emissionen zu ermöglichen. Diese Optionen stellen derzeit jedoch eher Gedankenexperimente als tatsächliche Lösungen für Industriesektoren mit hohen Emissionen dar.
Sind CO2-Karbonatisierungspfade tragbare Optionen für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft?
Neben der Bewältigung der technischen Herausforderungen ist es essentiell, dass die entwickelten Lösungen auch ökologisch, wirtschaftlich und gesamtgesellschaftlich tragbar sind. Dementsprechend bewertet eine wachsende Anzahl von Studien die zu erwartenden Potenziale und Risiken der CO2-Karbonatisierungspfade - mit vielversprechenden Ergebnissen. Eine kürzlich veröffentlichte Ökobilanz zeigt zum Beispiel, dass im Idealfall durch die Mineralisierung einer Tonne CO2 mehr als das Dreifache an Treibhausgasemissionen vermieden werden könnten als durch die bloße Speicherung einer Tonne CO2 durch CCS. Nachteile durch einen großflächigen Einsatz von Karbonatisierungstechnologien müssen jedoch stets mitbrachtet werden: Eine erhöhte Nachfrage nach so produzierten Mineralien könnte zum Beispiel zu mehr Emissionen durch den Transport und möglicherweise zu zusätzlichen Abbau- oder Lagerstätten führen. Angesichts solcher Risiken ist ein umfassenderes Verständnis ökologischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Auswirkungen unbedingt erforderlich.
IASS-Projekte betrachten die Rolle der Industrie in gesellschaftlichen Transformationen
Das Wissen, das durch solche Bewertungen und weitere Forschung entsteht, wird für gesellschaftliche und politische Entscheidungsprozesse benötigt, die die notwendige Transformation von Industriebereichen mit hohen Emissionen prägen werden. Um sicherzustellen, dass in solche politischen Entscheidungsprozesse eine möglichst große Bandbreite an Perspektiven einfließt, ist Forschung erforderlich, die sowohl die ökologische und die wirtschaftliche als auch die gesellschaftliche Dimension des Wandels betrachtet. Es müssen langfristige Strategien entwickelt werden, die innovative und ko-kreative Formen der Zusammenarbeit zwischen Industrie und Wissenschaft nutzen, um die Rolle der industriellen Akteure in gesellschaftlichen Transformationsprozessen zu analysieren, zu diskutieren und neu zu definieren.
Projekte am IASS behandeln diese Themen aus unterschiedlichen Perspektiven. Ein Workshop im Rahmen des Projekts CO2Min wird die jüngsten Bemühungen für eine saubere Zement-und Bauindustrie erörtern und weitere Dialoge initiieren mit dem Ziel, die künftige Rolle der Industrie in einer emissionsarmen Gesellschaft zu erforschen und neu zu gestalten.