Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Gebäudeenergiegesetz verpasst Chancen

13.07.2020

Rainer Quitzow

Prof. Dr. Rainer Quitzow

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Solarpanele Windenergie Energiewende
Dank stark fallender Preise für Strom aus Windrädern und Solarzellen ist die Energiewende im Stromsektor in vollem Gange.

Dank stark fallender Preise für Strom aus Windrädern und Solarzellen ist die Energiewende im Stromsektor in vollem Gange, und zuletzt aufgrund des Kohleausstiegs und der Mindestabstände von Windrädern zu Wohngebäuden sehr präsent in der öffentlichen Diskussion. Der Großteil des Energieverbrauchs in Deutschland fällt jedoch für Wärmeenergie an: allein die Gebäudewärme ist laut Umweltbundesamt für etwa 32 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs verantwortlich. Die Energiewende im Wärmesektor ist damit ein zentrales Handlungsfeld für erfolgreichen Klimaschutz. Das am 18. Juni im Bundestag verabschiedete Gebäudeenergiegesetz bezieht sich daher explizit auf diesen Handlungsbedarf.

In Debatten um Veränderungsprozesse wie die Wärme- oder Verkehrswende stehen meist technologische Innovationen im Zentrum, wie beispielsweise Wärmepumpen oder batterieelektrische PKW. Grundlegender Wandel in komplexen gesellschaftlichen Systemen wie der Wärmeversorgung wird jedoch nicht nur durch technologische Veränderungen ausgelöst: Genauso wie E-Autos allein noch keine Verkehrswende machen.

Dies gilt auch im Wärmebereich: systemischer Wandel entsteht aus einem Zusammenspiel aus Produkten (z.B. umweltfreundlichen Fassadendämmungen), Infrastrukturen (z.B. Fernwärmenetzen), Politikinstrumenten (z.B. Effizienzstandards und Sanierungsförderungen), sozialen Normen (z.B. Priorisierung von Klimaschutz), und Verhalten (z.B. verändertes Heizverhalten). Nur durch einen integrierten Politikansatz, der an diesen unterschiedlichen Hebeln ansetzt, kann eine vollständige Dekarbonisierung des Sektors erreicht werden.

Dieser Ansatz ist im Grunde lange bekannt: die deutsche Wärmepolitik setzt beispielsweise bereits seit Jahren auch auf Energieberatung, die bei Investitionsentscheidungen dabei helfen soll, vom bisherigen – fossilen – Technologiepfad abzuweichen.

Trotzdem griff die Wärmepolitik in Deutschland bisher zu kurz, wie wir in einer  vergleichenden Studie zur Wärmepolitik in Deutschland und Großbritannien zeigen. Zwar verfolgen beide Länder das Ziel eines „nahezu klimaneutralen“ Gebäudebestands bis 2050, das die deutsche Bundesregierung mit der Vision eines hocheffizienten, durch Wärmenetze verbundenen und besonders lebenswerten Gebäudebestands ausbuchstabiert. In der Umsetzung zielt sie jedoch bisher überwiegend auf Effizienzsteigerungen des bisherigen Systems ab. Der Übergang zu einer klimaneutralen Wärmeversorgung und die verschiedenen Schritte, die dafür erforderlich wären, werden ebenfalls nicht thematisiert.

In Großbritannien war man da bereits einen Schritt weiter: Mit der Verabschiedung von „Zero Carbon Building Standards“ für Neubauten, staatlicher Unterstützung für Effizienzmaßnahmen im Gebäudebestand sowie einer vorausschauend geplanten Abfolge von Maßnahmen sollten Einsparziele erreicht werden. Mehrere dieser Instrumente wurden dann allerdings wieder abgeschafft.  

Neues Gebäudeenergiegesetz der Bundesregierung

Vor diesem Hintergrund stellt das neue Gebäudeenergiegesetz der Bundesregierung einen klaren Fortschritt dar. Wichtige Maßnahmen sind beispielsweise der weitere Ausbau von Energieberatung, die Hauseigentümerinnen und -eigentümer bei Investitionsentscheidungen unterstützt und ein Verbot des Einbaus von Ölheizungen ab 2026, da diese besondere viele CO2-Emissionen verursachen. In einem „nahezu klimaneutralen Gebäudebestand“ ist für Heiztechnologien auf Grundlage von Kohle, Öl und Gas kein Platz. Aufgrund langer Investitionszyklen dürfen solche fossilen Heizungen lange vor 2050 nicht mehr eingebaut werden. Zudem soll die Vorbildfunktion öffentlicher Gebäude gestärkt werden, indem mehr als nur die gesetzlichen Mindeststandards der Energieeffizienz erfüllt werden sollen.

Dennoch geht das Gebäudeenergiegesetz in zentralen Punkten nicht weit genug. Das legt die Perspektive einer transformativen Umweltpolitik nahe, die wir in der vergleichenden Studie einnehmen. So kommt das Verbot von Ölheizungen erst ab dem Jahr 2026, und auch nach diesem Zeitpunkt sind noch Ausnahmen möglich, obwohl dann eingebaute Ölheizungen durchschnittlich noch bis Ende der 2040er-Jahre im Dienst bleiben werden.

Energieeffizienzstandards für neue Gebäude verschärfen

Besonders problematisch ist jedoch, dass Energieeffizienzstandards für Neubauten nicht verschärft werden: heute geplante Gebäude müssen gegebenenfalls bereits vor 2050 wieder energetisch saniert werden, um nahezu klimaneutral zu sein. Eine systemische Perspektive legt zudem nahe, Energieverbrauch und Emissionen von Gebäuden nicht nur in der Nutzungsphase, sondern schon bei der  Herstellung der Baumaterialien sowie beim Bau zu erfassen. Hierzu ist im Gebäudeenergiegesetz lediglich ein Prüfauftrag vorgesehen.

Die Dekarbonisierung unserer Energiesysteme ist ein langfristiger und komplexer Prozess, in dem der Wärmesektor trotz seiner herausragenden Bedeutung häufig vernachlässigt wird. Unsere Analyse zeigt, dass die Politikstrategien Deutschlands und Großbritanniens den Anforderungen an grundlegenden, gesellschaftlich-technischen Wandel in der Wärmeversorgung noch nicht gerecht werden. Das neue Gebäudeenergiegesetz der Bundesregierung bringt hierbei zwar nennenswerte Fortschritte mit sich, auf dem Weg zu einem nahezu klimaneutralen Gebäudebestand ist es jedoch noch nicht ausreichend.

Leonard Frank arbeitete von 10/2018 bis 06/2019 im Projekt "Wege zu einer nachhaltigen Energieversorgung" am IASS und forscht inzwischen als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Environmental Governance an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

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