Verschiedene Welten? Rechtsvorschriften zur Luftqualität in den USA und der EU im Vergleich
26.01.2021
Die Präsidentschaftswahl in den USA hat zu neuem Optimismus bezüglich der künftigen EU- und US-Klimapolitik geführt. Mit dem European Green Deal nimmt die EU bereits eine Vorreiterrolle im Klimaschutz ein, während Präsident Biden hofft, dass die USA mit seinem Plan für saubere Energie wieder führend bei der Energiewende werden.
Obgleich sich beide Pläne auf die Bekämpfung des Klimawandels konzentrieren, haben sie große Auswirkungen auf die Luftqualität. Bidens Plan für saubere Energie geht besonders auf die Vorteile einer grünen Wirtschaft für die Luftqualität ein, während die EU-Methanstrategie, die als Teil des European Green Deal veröffentlicht wurde, zum Ziel hat, die Methanemissionen in allen Sektoren einzudämmen. Methanemissionen sind nicht nur für direkte Auswirkungen auf die globale Erwärmung verantwortlich, sondern verursachen durch die Bildung von bodennahem Ozon auch Atemwegserkrankungen.
Angesichts des globalen Einflusses, den die Klimapolitik und -gesetzgebung der USA und der EU in den kommenden Jahren haben werden, ist es interessant, über ihre unterschiedlichen Herangehensweisen an die Umweltpolitik nachzudenken. In diesem Blogbeitrag werde ich diese Unterschiede anhand der Luftqualität untersuchen, eines Themas, das die Umweltpolitik seit mehr als einem halben Jahrhundert prägt. Der Blick auf die Gesetzgebung zur Luftqualität verdeutlicht einige der wichtigsten Unterschiede in den Prioritäten und politischen Möglichkeiten. Wie ich später zeigen werde, werden einige dieser Unterschiede sogar sichtbar, wenn wir eine statistische Textanalyse der in der EU- und US-Gesetzgebung verwendeten Wörter durchführen.
Gesetzgebung zur Luftqualität: zwei Wege
Die Luftqualität steht seit langem weit oben auf der politischen Agenda und prägt auch im 21. Jahrhundert die Umwelt- und Klimapolitik. Um beispielsweise den politischen Widerstand gegen die Klimapolitik zu umgehen, nutzte die US-Umweltschutzbehörde (EPA) unter Präsident Obama die bestehenden Gesetze zur Luftqualität - im Rahmen des US Clean Air Act (CAA) - um Treibhausgase zu regulieren, mit der juristischen Begründung, dass sie eine Gefahr für die „Gesundheit und das menschliche Wohlergehen“ darstellen. Das derzeitige EU-Emissionshandelssystem konzentriert sich zwar auf die Reduzierung von Treibhausgasen, es wurde aber teilweise durch das US-Programm für den Handel mit Schwefeldioxid-Zertifikaten inspiriert, das wiederum ursprünglich eingeführt wurde, um die regionalen Auswirkungen des sauren Regens zu bekämpfen.
Vergleichende Analysen der Luftqualitätspolitik in den USA und der EU heben einige wichtige Unterschiede zwischen den beiden Rechtssystemen hervor, die größtenteils in ihrer jeweiligen Geschichte begründet sind. Das US-Luftqualitätssystem entwickelte sich aus dem Clean Air Act von 1963; 1970 folgte die Gründung der EPA und eine Gesetzesänderung, die ihr weitreichende Vollzugsbefugnisse auf Bundesebene einräumte. Später, unter den neoliberalen Reformen der Reagan-Regierung, wurden viele der Befugnisse der Behörde reduziert oder an die Bundesstaaten übertragen. Dabei wurden die umweltpolitischen Instrumente zunehmend so umgestaltet, dass wirtschaftliche Erfolgsmaßstäbe in den Vordergrund rückten. Der letzte große Erfolg für die US-Luftqualitätspolitik, bevor die zunehmende politische Polarisierung Umweltthemen in eine schwierige Position drängte, war die Aktualisierung des US Clean Air Act im Jahr 1990. Diese bildete die rechtliche Grundlage eines Handelssystems für den Schwefeldioxid-Ausstoß. Seitdem wird die US-Gesetzgebung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern charakterisiert als fokussiert auf wirtschaftliche Effizienz und die Notwendigkeit, Markteingriffe zu verhindern. Gesundheitsrisiken durch schlechte Luftqualität würden diesen Prioritäten untergeordnet.
Die EU hat mit ihren Luftreinhaltungsvorschriften einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Das liegt zum Teil daran, dass die EU aus souveränen Staaten mit starken und unterschiedlichen nationalen Gesetzgebungen besteht. Die frühen Umweltaktionsprogramme (EAPs) überließen es weitgehend den Mitgliedsstaaten, ihre eigenen nationalen Vorschriften zu erlassen. Das änderte sich in den 1980er Jahren, als die deutsche Regierung und die Industrie, motiviert durch den öffentlichen Aufschrei über die Auswirkungen des sauren Regens auf die Wälder (Waldsterben), auf die EU einwirkten, um Harmonisierungsmaßnahmen zur Luftqualität zu verabschieden und damit unangemessenen Wettbewerb zu verhindern. Trotz des Widerstands der Mitgliedsstaaten gegen die EAPs und der Renationalisierung bestimmter Zuständigkeiten in den folgenden Jahrzehnten entstanden mehrere wichtige EU-weite Gesetze zur Luftqualität. Dazu gehört die Richtlinie über nationale Emissionshöchstmengen (erstmals 2001 verabschiedet), die verbindliche Grenzwerte für die Schadstoffemissionen der Mitgliedsstaaten festlegt.
Im Vergleich zum US-amerikanischen Ansatz wird die EU-Gesetzgebung weithin dadurch charakterisiert, dass sie einen größeren Schwerpunkt auf vorsorgende Ansätze legt, die den Umweltschutz als außerhalb des Rahmens wirtschaftlicher Debatten stehend betrachten (obwohl er dennoch von wirtschaftlichen Realitäten geprägt ist) und der menschlichen Gesundheit und dem ökologischen Gleichgewicht große Bedeutung beimessen.
Mein Interesse, diese Unterschiede zu verstehen, kam zum Teil aus meinem persönlichen Hintergrund, da ich auf beiden Seiten des Atlantiks an Umweltthemen gearbeitet habe. Ich war besonders neugierig zu sehen, ob die Unterschiede zwischen den USA und der EU wirklich den Klischees von den wirtschaftsfreundlichen USA und der umweltbewussten EU entsprechen. Um diese Frage zu beantworten, führte ich eine explorative Studie durch. Ich wollte herauszufinden, welche Unterschiede zwischen der Luftqualitätspolitik der USA und der EU allein durch eine Textanalyse der jeweiligen Gesetzgebung aufgedeckt werden können.
Analyse des Textes
Ich führte eine Naive-Bayes-Klassifikation vergleichbarer US- und EU-Gesetze zur Luftqualität aus den 1960er bis 2000er Jahren durch, um herauszufinden, welche Wörter am stärksten mit EU- oder US-Gesetzen assoziiert wurden. Das Modell berücksichtigte verschiedene Versionen des US Clean Air Act und der wichtigsten EU-Luftqualitätsrichtlinien und zählte, wie häufig jedes Wort in der Gesetzgebung der jeweiligen Länder vorkam.
Basierend auf der akademischen Literatur könnte man erwarten, dass wirtschaftliche Wörter wie „efficiency“ und „business“ in der US-Gesetzgebung häufiger vorkommen, während Wörter, die mit der Umwelt und der menschlichen Gesundheit in Verbindung gebracht werden, wie „cancer“ und „ecosystems“, stärker mit der EU assoziiert werden könnten. Ich habe eine Liste solcher themenrelevanter Wörter durch das Naive-Bayes-Modell laufen lassen, um herauszufinden, in welcher Gesetzgebung jedes Wort mit größerer Wahrscheinlichkeit vorkommt. Dies ergab einen Tendenzwert für jedes Wort. Wörter, die in den verschiedenen Rechtsordnungen gleich häufig vorkommen, wie z. B. „air“, haben eine niedrige Punktzahl, während Wörter, die überproportional im Text einer Rechtsordnung auftauchen, eine höhere Punktzahl haben. Die Grafik unten zeigt das Ergebnis für einige dieser Wörter. Je weiter der Balken eines Wortes nach rechts reicht, desto mehr ist es mit der EU-Gesetzgebung zur Luftqualität assoziiert; je weiter der Balken nach links reicht, desto ist das Wort mit der US-Gesetzgebung assoziiert.
Ein kurzer Blick auf diese Werte zeigt, dass sie mehr oder weniger wie erwartet ausfallen. Wichtige unternehmensfreundliche Wörter wie „Business“ und „fiscal werden stark mit US-Gesetzen assoziiert, während ökozentrische Begriffe wie „vegetation“ und „ecosystems“ eher auf einen europäischen Text hindeuten. All dies scheint einige der oben erwähnten Unterschiede, die in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben wurden, zu unterstreichen.
Abgesehen davon erinnert uns die starke amerikanische Assoziation des Wortes „cancer“ und die Assoziation von „efficiency“ mit der EU in dieser Textanalyse daran, alle Verallgemeinerungen mit Vorsicht zu genießen. Schließlich gibt es Fälle, in denen die US-Gesetzgebung zur Luftqualität tatsächlich strenger ist als die der EU, wie zum Beispiel bei den Grenzwerten für die Feinstaubbelastung (PM2,5).
Da das Naive-Bayes-Modell nur untersucht, wie oft Wörter verwendet werden, und nicht ihre tatsächliche Bedeutung im Kontext, ist es wichtig, dem Ergebnis eines einzelnen Wortes nicht zu viel Gewicht beizumessen. Während zum Beispiel die starke EU-Tendenz des Wortes „precaution“ die Beobachtungen in der Literatur unterstützt, wird in der US-Gesetzgebung immer noch eher das Wort „prevention“ verwendet, das eine ähnliche Bedeutung hat. Nichtsdestotrotz zeigt diese explorative Analyse, wie Textklassifizierungsmodelle, wenn sie mit qualitativer Forschung gekoppelt sind, Forschenden helfen können, Tendenzen und Diskrepanzen in vergleichenden Studien zu Politik und Gesetzgebung aufzuzeigen.
Obwohl diese Analyse uns hilft, einige der Unterschiede in der Gesetzgebung der USA und der EU zur Luftqualität zu erkennen, ist es erwähnenswert, dass die beiden Rechtssysteme auch viele Gemeinsamkeiten haben. Durch das Übereinkommen über weiträumige grenzüberschreitende Luftverschmutzung (CLRTAP) haben die USA und die EU zunehmend in der Luftqualitätspolitik zusammengearbeitet, was es schwieriger macht, eine klare Trennlinie zwischen zwei getrennten Wegen zu ziehen.
Das vollständige R-Skript und der Datensatz für diese Analyse sind verfügbar unter github.com/adinaspertus/airlegislation
Adina Spertus-Melhus absolviert ihren Master of Public Policy an der Hertie School in Berlin und unterstützt die ClimAct-Forschungsgruppe am IASS. In ihrer bisherigen Arbeit und Forschung hat sie sich auf die Themen Umwelt und Gesundheit, Klimawandel und zirkuläre Lieferketten konzentriert.