Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit: Das IASS-Schwerpunktthema für das Jahr 2022
27.08.2021
Wir freuen uns, für das Jahr 2022 erstmalig ein institutsweites Schwerpunktthema bekanntgeben zu dürfen: Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Im Laufe des Jahres werden wir gemeinsame Forschungsaktivitäten durchführen, öffentliche Veranstaltungen planen und unsere Forschungsergebnisse zum Schwerpunktthema veröffentlichen.
Warum Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit?
Soziale Gerechtigkeit ist zu einem der wichtigsten Themen in der Forschung und der öffentlichen Debatte über Nachhaltigkeit geworden. Schon lange steht die Gerechtigkeit für künftige Generationen im Mittelpunkt der nachhaltigen Entwicklung. Das wissenschaftliche Interesse an der Verknüpfung von Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit wächst, und die Relevanz der Forschung zu Themen wie gerechten Transformationen oder gerechter Governance ist in den letzten Jahren noch deutlicher geworden.
Soziale Gerechtigkeit ist auch ein zentrales Thema in den internationalen Klimaverhandlungen. Bei der Klimakonferenz in Glasgow (COP26) wird die Verantwortung der Industrieländer als Hauptverursacher von Treibhausgasen und die stärkere Betroffenheit der ärmeren Länder des Globalen Südens im Mittelpunkt stehen. Zudem haben Bewegungen wie Fridays for Future in jüngster Zeit erneut die Zusammenhänge zwischen Nachhaltigkeit, Klimagerechtigkeit und Generationengerechtigkeit hervorgehoben. Weitere Aspekte sozialer Gerechtigkeit, wie Umweltgerechtigkeit oder die Anerkennung von Gerechtigkeitsansprüchen von Minderheiten, sind in den letzten Jahren in den Vordergrund der Nachhaltigkeitspolitik gerückt, unter anderem durch den Erfolg von zivilgesellschaftlichem Engagement und Basisbewegungen.
Auch die Corona-Pandemie hat das Bewusstsein für die ungleichen Auswirkungen von Krisen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden verschiedener sozioökonomischer Gruppen geschärft.
Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit ist für viele IASS-Forschungsgruppen bereits von zentraler Bedeutung. Sie forschen zu Themen aus verschiedenen Politikfeldern, von der lokalen und nationalen bis hin zur globalen Ebene. Mit dem Schwerpunktthema des nächsten Jahres wollen wir die Kenntnisse in der empirischen und theoretischen Forschung zu sozialer Gerechtigkeit innerhalb des Instituts bündeln. Dabei entstehen Synergien, die die Stärken eines reflektierten und transdisziplinären Ansatzes zu Fragen der Gerechtigkeit und der Nachhaltigkeitstransformation hervorheben. Hier werden auch die Social Justice Fellows eine Schlüsselrolle spielen.
Das Schwerpunktthema wird erforschen, wie tiefgreifende Ungerechtigkeiten Nachhaltigkeitstransformationen behindern und wo in Transformationsprozessen neue Gerechtigkeitsfragen auftauchen. Die IASS-Forschung untersucht, wie sich diese Fragen auf die Wahrnehmung und das Verhalten von Menschen auswirken, wie mehr Gerechtigkeit erreicht werden kann, wo dafür neue Methoden und Instrumente entwickelt werden müssen und welche politischen Implikationen sich daraus ableiten lassen.
Zurzeit forscht das IASS zu folgenden Aspekten von Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit:
Umweltgerechtigkeit: Viele IASS-Forschungsprojekte beziehen Fragen der Umweltgerechtigkeit ein. Die Forschungsgruppe „Demokratische (Re)Konfigurationen von Nachhaltigkeitstransformationen“ setzt sich kritisch mit den gegenwärtigen Bedingungen für Demokratie auseinander und untersucht, wie das Wissen über unser Erdsystem politische Räume und Agenden der planetarischen Gerechtigkeit prägt. Das besondere Interesse der Forschenden gilt der Frage, wie globale Klimapolitik mit dem Kampf für Land-, Wald-, Menschen- und Naturrechte verknüpft ist. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Forschung zum Globalen Süden und zu den politischen Anliegen von Minderheiten wie indigenen Völkern und einkommensschwachen Gemeinschaften, die von Infrastrukturprojekten oder Umweltkatastrophen betroffen sind. Ein weiterer Fokus liegt auf der Erforschung von Debatten um neuartige Rechtsstreitigkeiten und Rechtsbegriffe (z.B. Ökozid, Rechte der Natur).
Gerechte Transformationen: Unsere Forschung in diesem Bereich konzentriert sich zum Beispiel auf sozial gerechte Transformationspfade in Regionen, die Dekarbonisierungsprozesse durchlaufen. IASS-Forschende untersuchen die verschiedenen Gerechtigkeitsansprüche, die bei diesen Übergängen formuliert werden, etwa im Zusammenhang mit dem Kohleausstieg in Deutschland. Weitere IASS-Forschungsinteressen liegen im Bereich der Energiegerechtigkeit, wo Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die sozialen und entwicklungspolitischen Auswirkungen von Energietechnologien, -politiken und -projekten untersuchen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung quantitativer Ansätze zur Bewertung der Auswirkungen von Dekarbonisierungsprozessen und dem Ausbau erneuerbarer Energien auf die Gerechtigkeit, besonders im Globalen Süden.
Um zum Verständnis der Gerechtigkeit der Verkehrswende beizutragen, erforscht das EXPERI-Team verschiedene Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit innerhalb des Verkehrssektors. Dazu gehören unter anderem die ungleiche Belastung durch verkehrsbedingte Emissionen und Lärm sowie der ungleiche Zugang zu Mobilitätsdienstleistungen in Abhängigkeit von sozioökonomischen Faktoren. Eine Analyse der Akteure, die von den gegenwärtigen Strukturen des Verkehrssektors profitieren oder benachteiligt werden, dient als Einstieg in die Frage, wie eine sozial gerechte Mobilitätswende gefördert werden kann.
Klimagerechtigkeit: Der Bereich Klimagerechtigkeit am IASS umfasst die Erforschung von Governance-Prozessen (ClimAct) und der Rolle, die verschiedene Akteure darin einnehmen können. In diesem Bereich interessieren sich die Forschenden unter anderem für die Frage, wie sich die Themen „gerechte Transformation“ und „soziale Gerechtigkeit“ in den Verhandlungen unter der UNFCCC entwickelt haben und welche unterschiedlichen Ansätze die Länder wählen, um einen gerechten Wandel umzusetzen. Dabei wird die Frage untersucht, wie die verschiedenen gesellschaftlichen, staatlichen und privatwirtschaftlichen Akteure mit Themen wie der differenzierten Verantwortung der Weltregionen und der Generationengerechtigkeit umgehen.
Gerechtigkeit und Gleichberechtigung in der Governance: Zur Forschung in diesem Bereich gehört die Arbeit des Ocean-Governance-Teams, das sich mit Fragen der Gerechtigkeit in Bezug auf die biologische Vielfalt im Meer und gerechter Ressourcenverteilung befasst. Da der internationale Meeresboden „gemeinsames Erbe der Menschheit“ ist, stellen sich zahlreiche Fragen der sozialen Gerechtigkeit, etwa wer vom Tiefseebergbau profitiert, wer die Lasten trägt und ob die Umweltrisiken sozial vertretbar sind.
Das Team für systemische Risiken untersucht die ungleiche Verteilung von Risiken und deren Ursachen sowie Zusammenhänge zwischen Fragen der Gerechtigkeit und Gleichheit und der Risiko-Governance. Ziel ist es, Ungleichheiten bei der Risikoexposition, zum Beispiel bezüglich negativer Auswirkungen des Klimawandels, zu beseitigen oder abzumildern.
Im Bereich Verantwortungsvolle Forschungspraktiken und epistemische Gerechtigkeit erprobt die Gruppe Governance der Arktis ko-kreative Ansätze, die verschiedene Formen von Wissen zusammenbringen. Sie erarbeitet Lösungen für strukturelle Veränderungen, um die Zusammenarbeit zwischen indigenen Rechteinhabern und Forschenden zu verbessern, und erforscht kontextspezifische Auffassungen darüber, was ethische Forschung ausmacht.
Was ist für das Schwerpunktjahr 2022 geplant?
Für das Jahr 2022 planen wir vielseitige öffentliche Veranstaltungen. Es wird eine öffentliche Vortragsreihe mit Gastrednerinnen und -rednern geben, die ihr Forschungsgebiet oder ihr Engagement vorstellen. IASS Fellows sind eingeladen, in diesem Format einen öffentlichen Vortrag zu halten. Außerdem wird es ein zweiwöchentliches Treffen der Gruppe für Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit und der Fellows geben. Bei diesen Treffen wollen wir kontinuierlich das Thema weiterentwickeln, Synergien finden, gemeinsam an Texten arbeiten, Brainstorming betreiben und Workshops vorbereiten. Außerdem sind IASS-Forschende und Fellows eingeladen, gemeinsam eine Veröffentlichung zum Thema soziale Gerechtigkeit vorzubereiten. Weitere Aktivitäten, wie Diskussionsreihen und Filmvorführungen, sind geplant. Die Fellows sind auch aufgefordert, eigene Ideen vorzuschlagen, die sie im Laufe des Jahres einbringen können.