Eine Umfrage zu Klimawandel und Energie in Jordanien
13.11.2021
Wie führt man eine Umfrage in einem Land durch, in dem man noch nie war, dessen Sprache man nicht spricht und in dem Haushaltsbefragungen nahezu unbekannt sind? Einem Land überdies, das seit eineinhalb Jahren im Lockdown ist.
Unsere Antwort: Der Erfolg des Projektes steht und fällt mit den Partnern vor Ort!
Wir wollten besser verstehen, was die Menschen in Jordanien über Klima- und Energiefragen denken, ob ihre Ansichten durch ihre täglichen Erfahrungen mit erneuerbaren Energien und dem Klimawandel geprägt sind. Es gibt zahlreiche Untersuchungen über Meinungen zu Klima und Energie, aber ein Großteil dieser Arbeiten konzentriert sich auf Europa und englischsprachige Länder. Wir wissen deutlich weniger darüber, wie Menschen in anderen Teilen der Welt Klima- und Energieprobleme wahrnehmen.
Als eines der wasserärmsten Länder der Welt ist Jordanien besonders anfällig für die Auswirkungen des Klimawandels. Mit einem sehr hohen Anteil an erneuerbaren Energien im Strommix und einer wachstumsstarken Erneuerbaren-Industrie ist Jordanien außerdem ein Vorreiter der regionalen Energiewende. So befindet sich in der Nähe der Stadt Tafilah im Süden Jordaniens das erste kommerzielle Windkraftprojekt im Nahen Osten.
Angesichts der Bedeutung der Branche für das Land haben wir uns die Frage gestellt, was Jordanierinnen und Jordanier über erneuerbare Energien denken. Wenn diese Auswirkungen auf ihr Leben oder auf ihre Gemeinden haben, ändert sich dann ihre Wahrnehmung? Zudem interessierten uns Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Wahrnehmung zweier Gruppen: zum einen diejenigen, deren Wohnorte von Umweltverschmutzung durch die fossile Energiewirtschaft betroffen sind, zum anderen Menschen, die in der Nähe von Infrastrukturen für erneuerbare Energien wohnen. Daher sprachen wir mit Menschen aus verschiedenen Gebieten Jordaniens: aus der Hauptstadt Amman (hier leben mehr als 40 Prozent der jordanischen Bevölkerung), aus Gebieten mit großen Projekten für erneuerbare Energien (wie Tafilah) und aus Orten mit Ölraffinerien (wie Zarqa).
Das Problem ist, dass solche Daten schwer zu erheben sind. Wer eine Verzerrung der Stichprobe vermeiden will, kann nicht einfach etwas auf Facebook posten oder im Einkaufszentrum herumfragen. Ein häufiges Problem bei Online-Umfragen besteht in der Selbstrekrutierung. Es beteiligen sich vor allem Menschen, die über ein beträchtliches Wissen und Interesse an dem Thema verfügen. Die Durchführung einer Umfrage an einem öffentlichen Ort wie einem Einkaufszentrum schränkt die Vielfalt der Stichprobe ein, da nur Personen befragt werden, die Zeit und Geld haben, um sich in dem Einkaufszentrum aufzuhalten.
Da wir daran interessiert waren, die Perspektiven von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu erfassen, entschieden wir uns für einen anderen Ansatz, nämlich eine Umfrage auf Haushaltsebene. Auf diese Weise konnten wir verschiedene Regionen berücksichtigen, unsere Stichprobe vergrößern und Verzerrungen, etwa durch Selbstrekrutierung, vermeiden. Unsere Idee war es, mit kleinen Teams von Studierenden zu arbeiten, die wir in die Hintergründe der Studie, das Studiendesign und die Ansprache der Befragten einarbeiten würden. Mit diesem Wissen ausgestattet, sollten sie dann die Befragungen in arabischer Sprache durchführen.
Hierdurch lernten wir großartige lokale Partner kennen. Mustafa Hashem, der für die Jordanisch-Deutsche Energiepartnerschaft arbeitet, brachte uns mit der Nichtregierungsorganisation Ruwwad Al-Tanmeya zusammen. Die gemeinnützige Organisation wurde 2005 gegründet und arbeitet in Jordanien, Ägypten, Libanon und Palästina in den Bereichen Gemeindeentwicklung, Jugendbildung und Partizipation. In Jordanien arbeiten die Zentren in Amman, Tafilah und Ma'an an Themen wie Alphabetisierung, Kunst, Sport und Jugendförderung.
Die Studierenden, mit denen Ruwwad arbeitete, waren äußerst motiviert: Wir hatten uns Sorgen gemacht, ob wir genug Personen für unsere Teams finden würden, aber der zuständige Referent des Zentrums in Amman, Omar Al Hijazi, teilte uns später mit, dass sie über sechzig Bewerbungen für die sechzehn Plätze hatten. Und die sechzehn Studierenden, die wir schließlich engagierten, enttäuschten uns nicht: Sie gehörten zu den fähigsten und fleißigsten Menschen, die man sich hätte wünschen können. Obwohl sie aus diversen Bereichen und Studienrichtungen kamen, erfassten sie schnell den Kontext der Umfrage – die Auswirkungen des Klimawandels in Jordanien, die Rolle erneuerbarer Energien bei der Bekämpfung des Klimawandels und theoretische Modelle der Meinungsbildung.
Nicht nur die Umfrage und ihre Kodierung verstanden sie schnell, sondern sie hatten auch Anregungen für den einleitenden Teil. Sie regten die Bereitstellung zusätzlicher Informationen für Befragte, die mit Haushaltsbefragungen nicht vertraut waren, an, um diese nicht zu verunsichern (einige Fragen, die für statistische Zwecke notwendig sind, hätten aufdringlich wirken können). Sie schlugen uns zudem vor, die Befragten auf die IASS-Website zu verweisen, damit sie die Umfrage weiterverfolgen können. Und als es an der Zeit war, die Umfrage mit den anderen Studierenden zu üben, halfen sie uns sogar, die arabische Übersetzung zu verbessern!
Nach einer ganztägigen Schulung gingen die Studierenden in ihre jeweiligen Wohngebiete (Ost-Amman, West-Amman, Zarqa und Tafilah) und begannen, an Türen zu klopfen. Obwohl einige anfangs nervös waren, fanden sie bald an ihrer Aufgabe Gefallen. Miteinander gingen sie sehr hilfsbereit um. Als einige der Studierenden mit Argwohn und Misstrauen konfrontiert wurden, gaben andere ihnen Ratschläge, wie sie damit umgehen sollten. Letztendlich gelang es allen unseren Interviewenden, Gespräche zu initiieren und mit den Menschen in Verbindung zu treten. Am ersten vollen Tag der Befragung luden die Studierenden sogar so viele Ergebnisse hoch, dass sie unsere Open-Source-Umfragesoftware zum Absturz brachten! Es stellte sich heraus, dass unsere Interviewenden das Tageslimit der Software überschritten hatten. Die Ergebnisse übertrafen unsere Erwartungen bei weitem: Bereits jetzt haben wir über 300 Rückläufe aus Haushalten in verschiedenen Teilen Jordaniens.
Im nächsten Schritt werden wir mit der Analyse der Daten beginnen um herauszufinden, wie die Befragten Energie- und Klimathemen beurteilen. Wir freuen uns darauf, unsere Ergebnisse den jordanischen Studierenden zu präsentieren und hoffen, ihnen weiteres Wissen zu Umfragemethoden vermitteln zu können.
Die Zusammenarbeit mit Ruwwad und den einheimischen Studierenden war so erfolgreich, dass wir auch darüber nachdenken, wie diese Arbeit an anderen Orten oder über mehrere Jahre hinweg wiederholt werden könnte, um ein differenzierteres Verständnis der öffentlichen Meinung über den Klimawandel und die Energiewende in Jordanien zu gewinnen. Außerdem schadet es sicher auch nicht, dass wir gerne wieder nach Jordanien reisen würden!
Diese Arbeit wurde finanziert vom Projekt Investigating the Systemic Impacts of the Global Energy Transition (ISIGET), gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Forschungsinitiative „Make our Planet Great Again - German Research Initiative", Förderkennzeichen 57429628, die durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) umgesetzt wird.