War die COP26 die Konferenz des „gerechten Strukturwandels“?
12.01.2022
By Alice de Moraes Amorim Vogas (Alexander von Humboldt Foundation's German Chancellor Fellow) and Isadora Cardoso Vasconcelos (IASS Fellow)
In der Präambel des Pariser Abkommens heißt es, dass die Vertragsparteien die „Notwendigkeit eines gerechten Strukturwandels für die arbeitende Bevölkerung und der Schaffung menschenwürdiger Arbeit und hochwertiger Arbeitsplätze im Einklang mit den national festgelegten Entwicklungsprioritäten“ berücksichtigen sollten. Im Jahr 2015 verabschiedete die Internationale Arbeitsorganisation die Leitlinien für einen gerechten Strukturwandel, die den Ländern beim Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft helfen sollen. Der Weg dahin soll abgestimmt sein auf die national festgelegten Beiträge (Nationally Determined Contributions - NDCs) und SDG 8, das menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum fordert.
Das Konzept des „gerechten Strukturwandels“ – oder, wie es im Englischen heißt, „just transition“ - hat im Laufe der COPs an politischer Zugkraft gewonnen. Auf der COP22 veröffentlichte das Sekretariat des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) ein technisches Papier über den gerechten Strukturwandel. Auf der COP24 in Kattowitz unterzeichneten mehr als fünfzig Länder die Erklärung über Solidarität und gerechten Wandel in Schlesien - eine bemerkenswerte Leistung in einem Land, das so stark von der Kohle abhängig ist. Auf der COP25 wurde von UN-Generalsekretär António Guterres die Initiative „Climate Action for Jobs“ ins Leben gerufen, um konkrete Maßnahmen voranzutreiben, die den gerechten Strukturwandel und Arbeitsplätze in den Mittelpunkt ehrgeiziger Klimaschutzmaßnahmen stellen. Für die COP26 erstellte das UNFCCC-Sekretariat ein neues technisches Papier über den gerechten Strukturwandel für die arbeitende Bevölkerung im Zusammenhang mit den Auswirkungen von Maßnahmen zur Reaktion auf den Klimawandel.
Auf der COP26 erlebten wir Entscheidungen und eine Handvoll Erklärungen, Zusagen und Deklarationen parallel zu den offiziellen Verhandlungen zum Thema des gerechten Strukturwandels. Aber hat sich in Glasgow an der Substanz der Debatte über den gerechten Strukturwandel etwas geändert? Im Folgenden analysieren wir einige der politischen Bewegungen und Texte rund um die COP26, um zu verstehen, wo die Debatte über den gerechten Strukturwandel nach den Konferenzbeschlüssen steht und welche Möglichkeiten sich durch die verstärkten Selbstverpflichtungen zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen für das Klima und die soziale Gerechtigkeit ergeben.
1. Der Klimapakt von Glasgow
Der Klimapakt von Glasgow, das wichtigste multilaterale Ergebnis der COP26, enthält zwei Verweise auf den gerechten Strukturwandel und konzentriert sich auf emissionsarme Energiesysteme und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Neu ist die Anerkennung der Notwendigkeit, Entwicklungsländer bei ihren Strukturwandelprozessen zu unterstützen. Bisher wurden trotz umfassender Debatten über die Klimafinanzierung keine Instrumente entwickelt und eingesetzt, um explizit gerechte Strukturwandel-Projekte im Globalen Süden zu finanzieren. In dem Maße, in dem „gesamtwirtschaftliche“ Ansätze in den Klimadebatten voranschreiten, „Build Back Better“-Bemühungen in den Covid-19-Konjunkturprogrammen in Bezug auf die Arbeitsmärkte auftauchen und Bewegungen für Klimagerechtigkeit sich weltweit ausbreiten, wird immer deutlicher, dass sozioökonomische und Gerechtigkeitsaspekte eine stärkere Rolle in klimapolitischen Vereinbarungen und deren Umsetzung spielen sollten.
In Glasgow beobachteten wir, wie nicht nur Gewerkschaften zum wiederholten Male einen gerechten Strukturwandel einforderten. Regierungsvertreterinnen und -vertreter, Indigene Völker, Frauen und Umwelt-NGOs beriefen sich ebenfalls darauf und machten deutlich, dass der übliche binäre Ansatz eines Kompromisses zwischen dem Erhalt von Arbeitsplätzen und der Förderung des Umweltschutzes nicht ausreicht. Diese bereichsübergreifende Entwicklung zeigt uns auch, dass Klimafinanzierungsinstrumente, die ausschließlich Minderungs- oder Anpassungsansätze verfolgen, politisch nicht mehr akzeptabel sind. Denn sie reichen nicht aus, um die sozialen und wirtschaftlichen Vorteile zu erzielen, die für die Förderung eines gerechten Strukturwandels im Globalen Norden wie im Süden erforderlich sind. Es werden solide Förderinstrumente benötigt, und auf der COP26 wurde auf der Grundlage dieser Einsicht eine sehr wichtige politische Verpflichtung zu einem gerechten Strukturwandel eingegangen.
2. Internationale Partnerschaft mit Südafrika für einen gerechten Strukturwandel
Im Rahmen der „South Africa Just Energy Transition Partnership“ haben die USA, das Vereinigte Königreich, Frankreich, Deutschland und die EU 8,5 Milliarden Dollar zugesagt, um den Übergang Südafrikas von der Kohle zu einer „sauberen Energiewirtschaft“ in den nächsten fünf Jahren zu finanzieren. Diese neue Vereinbarung ist ein weiterer wichtiger Schritt, damit der gerechte Strukturwandel von einer allgemeinen Agenda zu einem konkreten Projekt wird.
Diese Partnerschaft zeigt, dass die Agenda des gerechten Strukturwandels jetzt viel robuster ist, da sie auf mindestens drei verschiedenen Elementen der Klima-Governance-Agenda basiert, die für die Umwandlung von Plänen in politische Strategien und Maßnahmen entscheidend sind: Institutionen, Verknüpfung von NDCs und Diversifizierung der Finanzierung.
Erstens schuf die Einrichtung der Presidential Climate Commission (PCC) in Südafrika Ende 2020 eine wichtige institutionelle Grundlage dafür, dass sich das Land der Agenda engagiert annimmt. Die PCC hat den Auftrag, lokale Konsultationen zu fördern, die die Debatte über einen gerechten Strukturwandel vorantreiben.
Zweitens erkennt die Partnerschaft die Rolle des gerechten Strukturwandels bei der Verbesserung der NDCs an. Einige Länder haben sich bereits verpflichtet, Pläne für einen gerechten Strukturwandel in ihre NDCs aufzunehmen – jedoch nicht in dem Maße wie Südafrika in seinem aktualisierten NDC von 2021. Das südafrikanische NDC bekräftigt, dass „der gerechte Strukturwandel das Kernstück der Umsetzung von Klimamaßnahmen in Südafrika ist“ und dass er „internationale Zusammenarbeit sowie solidarische und konkrete Unterstützung erfordert“. Durch die Formulierung, dass der gerechte Strukturwandel ein Ziel ist, das finanzielle Unterstützung verdient, haben Südafrika und die „Just Energy Transition Partnership“ einen neuen Weg voller Möglichkeiten im Rahmen der UNFCCC beschritten.
Das letzte Schlüsselelement ist die Finanzierung. Laut der Erklärung soll die Partnerschaft durch „verschiedene Mechanismen, einschließlich Zuschüsse, Kredite zu Vorzugsbedingungen und Investitionen sowie Instrumente zur Risikoteilung, auch zur Mobilisierung des Privatsektors“ funktionieren. Eine Form der Klimafinanzierung, die dies unterstützen soll, ist die Just Transition Transaction.
Auch das von Ländern des Globalen Nordens und Südens sowie nationalen und multilateralen Entwicklungsbanken unterzeichnete Statement on International Public Support for the Clean Energy Transition stellt eine große Chance dar, eine Hebelwirkung auf die Finanzierungssysteme zur Förderung des globalen Strukturwandels auszuüben. Allerdings mangelt es im Text an Klarstellungen, welche rechtlichen Mechanismen den Erfolg dieser Erklärung sicherstellen sollen. Immerhin jedoch ist dort vereinbart, internationale Investitionen bis 2022 von fossilen Brennstoffen, einschließlich Kohle, Öl und Gas, auf saubere Energien umzustellen. Nach Angaben von Oil Change International entspricht diese Verlagerung 38 % der jährlichen öffentlichen Finanzmittel für fossile Brennstoffe, die von den G20-Ländern und den multilateralen Entwicklungsbanken zwischen 2018 und 2020 bereitgestellt werden.
Um das Konzept des gerechten Strukturwandels in das multilaterale Klimaregime einzubinden, ist es wichtig, dass die Agenda nicht nur ein weiterer Punkt auf der Checkliste des UNFCCC ist. Sie muss ein funktionierendes Ziel sein, das sowohl in Mitigations- und Anpassungsmaßnahmen als auch in die Klimafinanzierungsmechanismen eingebettet ist. Wie das Institute for Sustainable Development and International Relations (IDDRI) feststellt, ist es auch „äußerst wichtig, dass diese Art von 'polylateralem' Abkommen unter dem Dach des universellen UNFCCC-Prozesses gut positioniert, überwacht und diskutiert wird.“
Eine Botschaft scheint jedoch klar zu sein: Für die Umsetzung von Plänen für einen gerechten Strukturwandel benötigen wir alle Arten von Ressourcen: Klimafinanzierung, Entwicklungsfinanzierung, Beteiligung der Zivilgesellschaft, öffentliche und private Ressourcen. Dies bringt uns zu einer der zentralsten politischen Aussagen über einen gerechten Strukturwandel, die auf der COP26 gefeiert wurde.
3. Unterstützung der Bedingungen für einen gerechten Strukturwandel auf internationaler Ebene
Die Erklärung, die von 16 Industrieländern und der Europäischen Union unterzeichnet wurde, spielt eine positive Rolle, da sie ausdrücklich einen ganzheitlichen Ansatz in Bezug auf einen gerechten Strukturwandel verfolgt. Sie geht über die Auswirkungen auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der fossilen Industrie hinaus, indem sie die breitere sozio-territoriale Dynamik des gerechten Strukturwandels und die Auswirkungen auf die Lieferketten anerkennt.
Durch die Unterstützung einer Agenda für „lokale, integrative und menschenwürdige Arbeit“ konzentriert sie sich erstens auf „benachteiligte Gruppen auf dem lokalen Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft, wie z. B. in Armut lebende Menschen, marginalisierte Gruppen, Frauen und Beschäftigte in der informellen Wirtschaft, um einen Übergang zu regulären Beschäftigungsverhältnissen zu erreichen“. Mit anderen Worten, die Zielgruppen haben sich über die direkt betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hinaus auf die gesamte betroffene Gemeinschaft ausgeweitet.
Zweitens werden durch die Erkenntnis, dass sich der Strukturwandel auf ganze Lieferketten auswirkt, Dienstleister in die Pläne für einen gerechten Strukturwandel einbezogen, die oft übersehen werden. Das Ziel, „gerechte Beschäftigung über Grenzen hinweg“ zu schaffen, eröffnet auch die Möglichkeit, die Unterschiede und Ungleichheiten bei den Arbeitsbedingungen in transnationalen Industrien, die gleichzeitig im Globalen Norden und im Globalen Süden tätig sind, anzugehen, und betont einen Maßstab für Gerechtigkeit und Gleichheit, der bisher in den internationalen Klimaverpflichtungen gefehlt hat.
4. Die „Beyond Oil and Gas Alliance“ und weitere wichtige Plattformen für einen gerechten Strukturwandel
Eine weitere interessante Gelegenheit zur Förderung des globalen Strukturwandels ergab sich mit der Gründung der Beyond Oil and Gas Alliance (BOGA), die von Costa Rica und Dänemark angeführt wird. In der gegenwärtigen Situation, in der Erdgas oft als saubere Energiequelle zur Unterstützung der Energiewende propagiert wird, bezeichnet diese Initiative Gas offen als nicht nachhaltige fossile Alternative und drängt Regierungen auf allen Ebenen, sich von der Produktion fossiler Brennstoffe zu trennen. Zivilgesellschaftliche Gruppen wie 350.org unterstützten die symbolische Bedeutung des Bündnisses und betonten die Notwendigkeit, es zu stärken.
Die Zivilgesellschaft hat nun die Aufgabe, die Umsetzung des Bündnisses zu überwachen, um weitere Mitglieder zu werben und dafür zu sorgen, dass die Einstellung neuer und bereits bestehender Öl- und Gasförderprojekte durch Regierungen und Unternehmen mit den Grundsätzen der Gleichheit und Gerechtigkeit einhergeht. Das bedeutet, dass die reicheren Länder und Städte, die der BOGA angehören, mehr Verantwortung für den Ausstieg tragen, während sie gleichzeitig die Entwicklungsländer dabei unterstützen, dasselbe zu tun. Damit die BOGA ein voller Erfolg wird, müssen die Bedürfnisse und Rechte der direkt und indirekt von der Öl- und Gasindustrie betroffenen Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und Gemeinschaften im Mittelpunkt stehen, einschließlich der nicht gewerkschaftlich organisierten, in der Pflege tätigen und/oder informellen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Das Thema des gerechten Strukturwandels war auch in der Zivilgesellschaft in Glasgow sehr präsent. Auf der COP26 sahen wir bemerkenswerte zivilgesellschaftliche und forschungsgeleitete Initiativen, die nicht unbedingt in Glasgow ins Leben gerufen wurden, aber dieses Jahr ins Rampenlicht rückten. Eine davon war die globale zivilgesellschaftliche Kampagne für einen Fossil Fuel Non-Proliferation Treaty. Damit sollten die Treibhausgasemissionen an der Quelle bekämpft werden, indem die Versorgung mit fossilen Brennstoffen gestoppt und gleichzeitig eine faire wirtschaftliche Diversifizierung sowie erneuerbare, zuverlässige und kostengünstige kohlenstoffarme Lösungen ermöglicht werden. Im Rahmen des People's Summit for Climate Justice haben wir im Just Transition Hub einen ganzen Tag lang mit Grassroots-Organisationen, darunter die starke schottische Gewerkschaftsbewegung, über Wege des gerechten Strukturwandels diskutiert.
Schließlich hat die Just Transition Research Collaborative die Bemühungen um einen gerechten Strukturwandel in der ganzen Welt kartiert und gleichzeitig die Entwicklung und die verschiedenen Ansätze des Konzepts selbst sowie seine bisherige Umsetzung vor Ort untersucht. Sektorübergreifende, transnationale, bürgernahe und kontextbezogene Erkenntnisse über einen gerechten Strukturwandel sollten verstärkt unterstützt werden, da die Chance, eine globale, gerechte Energiewende voranzutreiben, angesichts der zahlreichen auf der COP26 eingegangenen Verpflichtungen größer denn je ist.
Wie geht es weiter mit dem gerechten Strukturwandel?
Einer der COP-Beschlüsse enthält eine Aufforderung zur „Beschleunigung der Bemühungen um den schrittweisen Ausstieg aus der ungebremsten Kohleverstromung und die Abschaffung ineffizienter Subventionen für fossile Brennstoffe“. Im Großen und Ganzen aber fehlt es dem Glasgower Klimapakt und den verschiedenen parallelen Erklärungen, die von Ländern und privaten Akteuren zum Strukturwandel unterzeichnet wurden, immer noch an präzisen Formulierungen und Mechanismen, um den Wandel auf gerechte Weise voranzutreiben. Die Erwartung, dass die Beschlüsse und Erklärungen der COP26 automatisch in Maßnahmen vor Ort münden, ist nicht realistisch. Es wird eine weitere Aufgabe der Zivilgesellschaft in den kommenden Jahren sein, die Unterzeichnenden für die Umsetzung ihrer Zusagen zur Rechenschaft zu ziehen.
Alle relevanten Akteure müssen Maßnahmen ergreifen, um während des Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft für Gerechtigkeit zu sorgen, einschließlich Instrumenten der Umverteilungs-, Anerkennungs- oder Verfahrensgerechtigkeit. Mit anderen Worten: Der Übergang muss in seiner Entwicklung gerecht sein. Unter anderem müssen die Maßnahmen mehr gerechte Finanzierungsmechanismen, z. B. Zuschüsse, vorsehen und die demokratischen Praktiken stärken, um eine breite, transparente und integrative soziale Beteiligung zu ermöglichen, insbesondere der am stärksten betroffenen Menschen und Gebiete. Es muss sichergestellt werden, dass sie in den Genuss der Vorteile des Strukturwandels kommen.
Wenn unfaire Arbeitsbedingungen, neokoloniale Klimafinanzierungssysteme und nicht nachhaltige globale Lieferketten, die auf Menschen- und Umweltrechtsverletzungen beruhen, nicht überwunden werden, wird der technologische Wandel hin zu erneuerbaren Energien letztlich weder sauber noch gerecht sein - wie es in vielen Bereichen bereits der Fall ist. Wurde ein gerechter Strukturwandel in der Vergangenheit als Kompromiss bei den Klimaschutzmaßnahmen angesehen, so scheint er nach Glasgow eher wie ein Gleis zu sein, auf dem der Zug der internationalen Klimaagenda in den kommenden Jahrzehnten fahren sollte. Eine der nächsten Stationen ist das G7-Treffen unter der Führung Deutschlands und seiner neuen Regierung, die sich sehr für den Klimaschutz einsetzt. Wir hoffen auf Fortschritte bei der Umsetzung der Verpflichtungen der emissionsstärksten Volkswirtschaften im Einklang mit den auf der COP26 getroffenen Vereinbarungen.