Schutz der Hohen See – UN setzt Verhandlungen in schwierigen Zeiten fort
08.03.2022
Vom 7. bis 18. März 2022 nehmen Regierungen unter dem Dach der Vereinten Nationen die Verhandlungen für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der Biodiversität auf der Hohen See wieder auf. Nach fast zwei Jahren Pause wegen der Corona-Pandemie soll dieses Jahr ein verbindliches UN-Abkommen fertiggestellt werden.
In New York wird diese Woche zum vierten Mal im Rahmen einer internationalen Staatenkonferenz (IGC4) über ein rechtlich verbindliches Abkommen für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der marinen Biodiversität in Gebieten jenseits nationaler Hoheitsgewalt verhandelt. Dieses Abkommen für BBNJ - so die englische Abkürzung für „Biodiversity Beyond National Jurisdiction“ – betrifft fast die Hälfte der Oberfläche unseres Planeten und soll eine wesentliche Lücke in der internationalen Meeres- und Umwelt-Governance schließen. Auch nach vier Jahren Verhandlungen und fast zehn Jahren vorhergegangenen Diskussionen der UN sind jedoch viele Fragen noch ungelöst. Wegen der Corona-Pandemie dürfen die Staaten für diese Sitzung nur verkleinerte Verhandlungsdelegationen entsenden. Beobachter aus der Zivilgesellschaft oder der Wissenschaft bleiben aus dem UN-Hauptquartier in New York ausgeschlossen und können nur per Videolink teilnehmen. Die Bedingungen scheinen nicht ideal, um große Fortschritte zu machen.
Und doch ist der politische Druck groß, auf der IGC4 wesentliche Fortschritte zu erzielen. So wurde auf dem vom französischen Präsidenten und der EU vom 9. bis 11. Februar 2022 in Brest veranstalteten „One Ocean Summit“ eine High Ambition Coalition für den Schutz der Hohen See durch die 27 EU-Mitgliedsstaaten gemeinsam mit 16 wichtigen marinen Partnerländern ins Leben gerufen. Auch im Rahmen weiterer hochrangiger Konferenzen und Prozesse, darunter die deutsche G7-Präsidentschaft und die UN-Ozean-Konferenz 2022 in Lissabon, steht der Meeresnaturschutz oben auf der politischen Agenda. So sollen auf dem UN-Weltnaturschutzgipfel (CBD COP 15), der später in diesem Jahr in Kunming, China, stattfinden wird, neue globale Naturschutz-Ziele vereinbart werden. Eins davon ist das sogenannte „30x30-Ziel“: eine internationale Vereinbarung, bis zum Jahr 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen. Und auch in Deutschland ist der Meeresschutz zur politischen Priorität geworden. Im Rahmen einer Meeresoffensive wird die Bundesregierung eine verbindliche Meeresstrategie erarbeiten und die unterschiedlichen Aktivitäten der Ressorts im Meeresschutz mit Hilfe eines neuen Meeresbeauftragten verstärken und besser aufeinander abstimmen.
Die jetzt beginnende vierte und vorerst letzte Verhandlungsrunde wird sich nochmal mit allen vier Regulierungsbereichen des zukünftigen Abkommens befassen: 1) marine genetische Ressourcen, inklusive eines Ausgleichs von Vorteilen, die aus einer wirtschaftlichen Nutzung erzielt werden können; 2) Maßnahmen für gebietsbezogenes Management, z.B. Meeresschutzgebiete; 3) Umweltverträglichkeitsprüfungen; 4) Kapazitätsaufbau und Austausch von Meerestechnologie, insbesondere für die Länder des Globalen Südens.
In allen vier Bereichen gibt es viele ungeklärte Fragen, die durch eckige Klammern im vorliegenden Verhandlungstext gekennzeichnet wurden. Politisch besonders umstritten ist die Nutzung mariner genetischer Ressourcen. So argumentieren beispielsweise einige Staaten des Globalen Südens, dass marine genetische Ressourcen Teil des „gemeinsamen Erbes der Menschheit“ sind. Sie erwarten daher eine finanzielle Beteiligung an möglichen Gewinnen aus deren Nutzung, z.B. durch die Entwicklung neuartiger Wirkstoffe und Arzneimittel. Die EU und andere Staaten warnen, dass ein dafür notwendiges Instrument zum Vorteilsausgleich die Forschung behindern könnte. Sie schlagen eine nicht-monetäre Beteiligung als Alternative vor, beispielsweise durch transparenten Zugang zu Forschungsergebnissen und Teilen von wissenschaftlichen Informationen.
Die Vorschriften für Meeresschutzgebiete, z.B. Kriterien für die Gebietsauswahl, sind schon deutlich besser ausgearbeitet und werden durch einen breiteren politischen Konsens getragen. Aber auch hier gibt es noch dicke Bretter zu bohren. So besteht zwar Einigkeit, dass unter dem Dach des neuen Abkommens sogenannte „Paper Parks“, also Gebiete, die nur auf dem Papier bestehen, vermieden werden sollen. Bei der ausschlaggebenden Frage aber, wie das neue Schutzabkommen und bestehende Regulierungen für das Management einzelner Sektoren der Meeresnutzung, z.B. der Fischerei und einem zukünftigen Tiefseebergbau, zusammenwirken können, liegen die Staaten noch weit auseinander.
So sind einige Staaten mit Fischereiinteressen am Erhalt des Status quo interessiert und wollen den Einfluss des Schutzabkommens auf das Fischereimanagement begrenzen. Unter Bezugnahme auf das 30x30-Ziel betonen Naturschutzorganisationen und Wissenschaftler, dass für einen wirksamen Schutz der Biodiversität auf der Hohen See jetzt nicht nur einzelne Schutzgebiete, sondern kohärente globale Netzwerke von miteinander verbundenen Meeresschutzgebieten geschaffen werden müssen. Hierfür müsste das neue Abkommen einen entsprechenden wissenschaftsgetriebenen Umsetzungsmechanismus vorsehen.
Das Verfahren für Umweltverträglichkeitsprüfungen zur Feststellung möglicher schädlicher Auswirkungen von Tätigkeiten auf die Meeresumwelt muss ebenfalls noch fertiggestellt werden. Besonders wichtig hierbei ist, dass neben einzelnen Projekten auch die Gesamtauswirkungen unterschiedlicher Aktivitäten, auch in längerfristiger Perspektive, berücksichtigt werden. Die Ausgangsbedingungen der Staaten sind sehr unterschiedlich: Weltweit sind nur sehr wenige in der Lage die Hohe See wissenschaftlich zu erforschen und für viele wird die Umsetzung des Abkommens eine große Herausforderung sein, z.B. bei der Überwachung und Durchsetzung von Regulierungen. Deshalb müssen auch die bedarfsorientierte Entwicklung von Kapazitäten und der Technologietransfer Teil des Abkommens sein.
Darüber hinaus bedürfen noch übergreifende und prozedurale Fragen einer Klärung. Auch wenn diese Punkte technisch erscheinen, wie z.B. die Rolle und Funktionsweise der Vertragsstaatenkonferenz des neuen Abkommens, die Einrichtung eines wissenschaftlichen und technischen Ausschusses und die Art und Weise der Entscheidungsfindung (Konsens- oder Mehrheitsentscheidungen), wird eine effektive Umsetzung des Abkommens von ihnen abhängen. Eine wichtige Rolle für die zukünftige Umsetzung kommt beispielsweise bereits bestehenden sektoralen und regionalen Organisationen auf der Hohen See zu.
Mit dem neuen Abkommen bietet sich die historische Chance einen integrierten Regulierungsrahmen für die Hohe See zu entwickeln, der sowohl den Schutz als auch die nachhaltige Nutzung unter einem Dach zusammenführt. Erstmals könnte so der Erhalt der Meeresumwelt wirksam sichergestellt werden.[1] Dies muss auch für die Regulierung eines zukünftigen Tiefseebergbaus in Gebieten jenseits nationaler Hoheitsgewalt gelten. Die Erarbeitung eines Regulierungsrahmens für den Tiefseebergbau unter dem Dach der Internationalen Seebodenbehörde (International Seabed Authority, ISA), einer vom UN-Seerechtsübereinkommen geschaffenen Institution, läuft derzeit parallel und – trotz der zu erwartenden negativen Auswirkungen auf BBNJ – weitgehend losgelöst von der Verhandlung des Hochsee-Schutzabkommens.
Nur wenn es gelingt, mit dem neuen Abkommen eine umfassende Governance-Plattform unter Einbeziehung aller relevanten Nutzungen zu schaffen, wird es dauerhaft möglich sein, die Artenvielfalt der Tiefsee zu erhalten und negative Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf der Hohen See sowie andere Stressoren wie den Klimawandel wirksam zu bekämpfen.
Die IGC4 ist die nunmehr letzte unter dem derzeitigen Mandat der UN-Generalversammlung. Es ist eine Herausforderung, unter den pandemiebedingt erschwerten Verhandlungsbedingungen in New York und angesichts der schweren globalen Spannungen im Ukrainekrieg jetzt die notwendigen Kompromisse zu finden. Der schlechte Zustand der Meeresumwelt, zunehmender Druck menschlicher Aktivitäten wie der Fischerei und zukünftigem Tiefseebergbau, und die sich beschleunigenden Auswirkungen des Klimawandels dulden keinen Aufschub. Nach der erst kürzlich getroffenen ermutigenden Entscheidung der UN-Umweltversammlung, ein rechtlich verbindliches Abkommen zur Bekämpfung von Plastikmüll zu entwickeln, besteht auch für den Schutz der Hohen See Hoffnung. Gerade in diesen schwierigen Zeiten ist es wichtig, dass die regelbasierte internationale Zusammenarbeit Ergebnisse liefert.
Ressourcen:
- Offizielle Informationen der UN zu den BBNJ-Verhandlungen und IGC4
- Forschung des IASS zur Governance der Hohen See
- Forschung des IASS zum Thema Governance des Tiefseebergbaus
- IASS-Themen-Dossier Schutz der Hohen See
- Berichterstattung des IISD Earth Negotiation Bulletin zur IGC 4
[1] Konkrete Schritte zur Entwicklung einer solchen kollaborativen Meeres-Governance für BBNJ im Südost-Atlantik und Südost-Pazifik werden gemeinsam mit regionalen Stakeholdern im Projekt „STRONG High Seas“ (Strengthening Regional Ocean Governance for the High Seas) entwickelt. Das vom IASS koordinierte Projekt wird von der Internationalen Klimaschutzinitiative (IKI) der Bundesregierung gefördert.