Wie kann die Beteiligung der Zivilgesellschaft ehrgeizige und gerechte Klimaschutzmaßnahmen gewährleisten?
25.07.2022
Tasneem Essop, die Exekutivdirektorin des Climate Action Network (CAN), hat kürzlich am IASS einen inspirierenden Vortrag über die wichtige, aber oft verkannte Rolle der Zivilgesellschaft bei der Gewährleistung ehrgeiziger und gerechter Klimaschutzmaßnahmen gehalten. CAN ist ein globales Netzwerk von mehr als 1800 zivilgesellschaftlichen Organisationen aus über 120 Ländern, die gegen die Klimakrise kämpfen. Der Vortrag fand im Rahmen der monatlichen Vorlesungsreihe zum IASS-Schwerpunktthema „Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ am 19. Mai 2022 statt.
Essop wies darauf hin, dass zivilgesellschaftliche Akteure bei multilateralen Klimaverhandlungen, wie sie auf UN-Ebene oder bei der COP stattfinden, keinen bedeutenden Platz am Tisch haben. „Wir bekommen die Chance, etwa zwei Minuten zu sprechen, in einer Plenarsitzung, die in den frühen Morgenstunden stattfindet, wenn die Regierungen bereits gegangen sind. Und in einigen Fällen werden wir sogar ganz von den Prozessen ausgeschlossen.“ In ihrem Vortrag betonte Essop, dass es nicht ausreiche, die Klimakrise mit wissenschaftlichen Mitteln zu bekämpfen, da diejenigen, die am wenigsten für die Situation verantwortlich sind, die Hauptlast trügen. Klimawandel und Ungleichheit könnten und müssten gemeinsam angegangen werden. Und die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure biete die Möglichkeit, grundlegende Ungerechtigkeiten zu beseitigen.
Klimagerechtigkeit: Verteilungsgerechtigkeit und Verfahrensgerechtigkeit
Essop erklärte, dass Klimagerechtigkeit aus einem Modell besteht, das drei Aspekte umfasst: 1) Verteilungsgerechtigkeit, 2) Verfahrensgerechtigkeit und 3) generationsübergreifende Gerechtigkeit. Obwohl sie von grundlegender Bedeutung ist, wird die Verfahrensgerechtigkeit - d. h. das Vorgehen derjenigen, die bei der Entscheidungsfindung mit am Tisch sitzen dürfen - oft nicht genug beachtet. Oftmals ist Verfahrensgerechtigkeit deshalb nur performativ, eine substanzielle Beteiligung aller Betroffenen findet nicht statt, da Machtasymmetrien nicht berücksichtigt werden. Verfahrensgerechtigkeit ist auch eine Voraussetzung für Verteilungsgerechtigkeit.
Verteilungsgerechtigkeit spielt eine zentrale Rolle, wenn es um die Energiewende geht. Wie Essop betonte, hilft die Produktion von immer mehr Elektrofahrzeugen nicht denjenigen, die am meisten von der Klimakrise betroffen sind. Obwohl viele Regierungen und Unternehmen Elektrofahrzeuge als DIE Lösung für die Klimakrise ansehen, verfügen informelle Siedlungen nicht einmal über Straßen, weshalb E-Autos dort nicht genutzt werden könnten, selbst wenn die Menschen dort sie sich leisten könnten. Mit anderen Worten: Eine Energielösung, von der nicht nur der Globale Norden profitiert, während der Rest der Welt leidet, setzt voraus, dass vulnerable Gruppen in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es keine Verteilungsgerechtigkeit ohne Verfahrensgerechtigkeit geben kann. Essop unterstrich, dass es keine einfachen Lösungen für die Klimagerechtigkeit gibt und wir zudem auch wenig Zeit zur Verfügung haben.
Beiträge der zivilgesellschaftlichen Akteur*innen
Doch welchen Beitrag können die Organisationen der Zivilgesellschaft genau leisten? Erstens können sie die Regierungen dazu drängen, ihre Ambitionen zu erhöhen. Zweitens können sie hervorheben, wie wichtig es ist, für Gerechtigkeit zu sorgen und das insbesondere für diejenigen, die die Ungerechtigkeit am stärksten zu spüren bekommen. Dies gilt auch für multilaterale Prozesse. So wurde beispielsweise die Frage von Verlusten und Schäden auf der Weltklimakonferenz in Glasgow (COP26) im vergangenen Jahr als ein zentrales Gerechtigkeitsthema angesprochen. In Anbetracht der Tatsache, dass Verluste und Schäden bereits eingetreten sind, sei die Unterstützung der am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen jetzt noch dringlicher. Als bemerkenswert bezeichnete Essop, dass das Thema der Finanzierung von Schäden und Verlusten ursprünglich nicht auf der Tagesordnung der COP26 stand. Erst auf Druck von CAN und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft wurde es in die offiziellen Diskussionen aufgenommen. Dies zeige, so Essop, dass die Zivilgesellschaft Macht ausüben könne. Allerdings gebe es kaum sinnvolle multilaterale Prozesse, die die Zivilgesellschaft einbeziehen, weil viele der dafür erforderlichen Systeme noch nicht etabliert sind. Die Prozesse sind partei- und regierungsgesteuert, die Beteiligung der Zivilgesellschaft findet nur am Rande statt und konzentriert sich auf Lobbyarbeit.
Wie mit Machtdynamiken umzugehen ist
Aspekte des Kolonialismus. Kapitalismus und Neoliberalismus, so die Referentin, haben die Krisen in unserem multilateralen System verursacht und eine ungleiche Machtdynamik ausgelöst. Bei der Entscheidungsfindung muss man sich bewusst sein, dass dies die Grundlage für die derzeitigen Schwierigkeiten ist, mit denen wir konfrontiert sind. Auch ist es eine zutiefst politische Herausforderung, dafür zu sorgen, dass die stattfindenden Übergänge gerecht sind. Die Probleme der Machtverteilung und die Krise der Demokratie müssen gelöst werden. Deshalb fragte Essop: „Wie können wir unsere Entscheidungsprozesse entkolonialisieren? Wir müssen die Machtdynamik immer wieder in den Vordergrund stellen. Nennen Sie sie beim Namen!“ Aus der Perspektive der Machtdynamiken nehmen sowohl die Verfahrens- als auch die Verteilungsgerechtigkeit an Bedeutung zu. Zur Veranschaulichung führte Essop das Beispiel der gerechten Energiewende in Südafrika an, wo die Machtdynamik sehr stark zum Tragen kam. Vor den offiziellen Verhandlungen und außerhalb dieser Machtdynamiken wurden beratendende Diskussionen mit vulnerablen Gemeinschaften geführt. Dadurch verschob sich die Machtdynamik erheblich und der Kohleausstieg Südafrikas wurde möglich.
Auf globaler Ebene ist das Prinzip der historischen Verantwortung der Schlüssel zur Beseitigung von Ungerechtigkeiten. Essop erklärte, dass Gerechtigkeitsasymmetrien nicht nur ein Problem zwischen den Ländern des Globalen Nordens und des Globalen Südens sind. Auch innerhalb jeder Gesellschaft ist der sozioökonomische Status der am meisten gefährdeten Gruppen entscheidend.
Außerdem kritisiert Essop die Dominanz westlicher Wissenssysteme. Westliche Top-down-Expertise behindert die deliberative Beteiligung und den Wandel von unten nach oben. Die Intersektionalität der Wissenschaft ist wichtig, und indigene und lokale Wissenssysteme müssen anerkannt werden. Schließlich wies Essop darauf hin, dass auch die Akteur*innen der Zivilgesellschaft über diese Fragen nachdenken müssen, da sie selbst ein Spiegel dieser Ungerechtigkeiten sind: Ungerechtigkeiten in Bezug auf Macht und Ressourcen und die Frage, wer dominiert und Entscheidungen trifft oder die Agenda bestimmt, gibt es auch im Bereich der Zivilgesellschaft.
In einer perfekten Welt ...
Nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der Beteiligung der Zivilgesellschaft ist wichtig. Letztlich müssen sich multilaterale Prozesse von einem parteiengesteuerten zu einem sozialpartnerschaftlichen Prozess entwickeln, damit alle wichtigen Partner*innen einen Platz am Entscheidungstisch haben. Die Klimakrise ist ein kollektives Problem und erfordert daher zu ihrer Bewältigung auch einen kollektiven Prozess.
Abschließend betonte Essop, dass die Akteure der Zivilgesellschaft bei ihren Klimamaßnahmen provokativ sein müssen, damit Ungerechtigkeiten angemessen angegangen werden können. Essop schloss ihren Vortrag mit einer deutlichen Warnung: „Die Zeit der Diplomatie ist vorbei, wir müssen jetzt offen sprechen.“