Der Angst begegnen – Vertrauen stärken
07.10.2022
Ein Ort für Reflexion, Dialog und Ko-Kreation auf der UN-Klimakonferenz COP27 in Sharm El Sheikh, Ägypten, 7. bis 18. November 2022
Kontext
Wir, das Team vom IASS-Projekt Transformative Räume und Denkweisen, bereiten uns vor auf die 27. UN-Klimakonferenz, auf der die Vertragsparteien mit dem Anliegen zusammenkommen, den menschengemachten Klimawandel bestmöglich zu vermindern und Anpassungsstrategien zu entwickeln. Die Finanzierung dieser Bemühungen wird neben den nationalen Klimabeiträgen (englisch: Nationally Determined Contributions – NDCs) eines der großen Themen auf den Verhandlungen im November in Sharm El Sheikh sein.
Neben den Delegierten der 195 Nationen treffen sich auf den Klimakonferenzen jährlich ca. 25.000 Experten aus unterschiedlichsten Bereichen, um die Verhandlungen zu beobachten, ihr vielfältiges Wissen in Podiumsgesprächen zu präsentieren und mögliche Kooperationen aufzubauen. Während Menschen die Entwicklungen dieser riesigen Veranstaltungen weltweit verfolgen, ist das sich jährlich wiederholende Szenario mittlerweile allen bekannt: Die Verhandlungen sind mühsam, oft geraten sie schon am ersten Tag beim Vereinbaren der Agenda ins Stocken. Sie sind geprägt davon, dass Staaten primär innerhalb der Grenzen ihres eigenen Landes (maximal ihrer Region) denken und taktierend und intransparent verhandeln. Am Ende sagen sie den geringstmöglichen Beitrag unverbindlich zu, als wäre der Klimawandel ein territoriales Problem und Staatensache.
Auf Seiten der Vertragsstaaten ist das Misstrauen hoch, insbesondere zwischen Partnern aus dem globalen Süden und dem globalen Norden sowie zwischen den westlichen und fernöstlichen Ländern. Das Drama der letzten Stunden der COP in Glasgow 2021 ist vielen noch sehr präsent, als zuerst Indien und dann China der Beendigung der Kohlekraft und der Subventionen für fossile Brennstoffe nicht zustimmten und damit den Klimapakt von Glasgow entscheidend schwächten. Mit Ihrem Veto weichten sie das angestrebte internationale Bekenntnis zu ambitioniertem Handeln auf, an dem zwei Wochen lang intensiv gearbeitet worden war.
Auf Seiten der Beobachter-Organisationen wächst angesichts solcher Entwicklungen die Angst bis hin zur Panik, Wut, Verzweiflung und Ohnmacht. Insbesondere junge Menschen fühlen sich zunehmend (emotional) überfordert. So zeigen bspw. Studien, dass ein Großteil junger Menschen (75 Prozent der 16- bis 25-Jährigen) die Zukunft angesichts der Klimakrise beängstigend findet (Marks et al 2021). Die psychische Gesundheit insbesondere von Jugendlichen, aber auch Erwachsenen, ist durch Klimaangst zunehmend belastet und reicht bis zu Selbstmordgedanken. All diese herausfordernden Emotionen sind auf den Klimakonferenzen unterschwellig omnipräsent und prägen die Atmosphäre, insbesondere die allgemeine Kommunikations- und Begegnungskultur. Gleichzeitig finden sie dort keinen expliziten Raum; sie werden nicht offen angesprochen, reflektiert oder in irgendeiner Weise angemessen berücksichtigt.
Ein Forscherteam des IASS zusammen mit Partnern (Christiane Wamsler, Lund University for Sustainability Studies; Niko Schäpke, Sustainability and Environmental Governance, Universität Freiburg) beobachtet diese Dynamiken der Kommunikations- und Begegnungskultur auf den UN-Klimakonferenzen seit einigen Jahren und hat dazu ein transdisziplinäres Forschungsprojekt aufgesetzt: Erstmalig wurde auf der COP24 in Katowice ausgetestet, inwiefern es möglich ist, auf der COP Kommunikationsräume anzubieten, die darauf abzielen, authentische Begegnungen und vertrauensvolle, transformative Gespräche zwischen Teilnehmenden zu initiieren. Hintergrund des Ansatzes ist die These, dass authentische Begegnungen und Dialog transformatives Potenzial freisetzen können; dass sie innere Haltungen verändern und Perspektiven erweitern können. Wenn es gelingt, ein globales und verbindendes Bewusstsein zu stärken, welches über die eigene politische Agenda oder nationale Identifikation hinausgeht, kann dies ein wichtiger Beitrag zu gesellschaftlicher Veränderung und Entscheidungsfindung sein. Denn um globalen Krisen in nur wenig verbleibender Zeit wirkungsvoll zu begegnen, braucht es eine starke, globale Zusammenarbeit, die es derzeit noch nicht gibt.
Die ersten Interventionen auf der COP24 in Katowice zeigten, wie herausfordernd das Setting auf den COPs ist und dass es ohne einen eigenen physischen Raum unmöglich ist, sichere Gesprächsräume aufzubauen. Aus diesem Grund mietete das IASS in Madrid (COP25) und in Glasgow (COP26) einen 25 Quadratmeter großen Pavillonraum innerhalb der COP an und setzte erstmals das Konzept eines „Ko-kreativen Reflexions- und Dialograums (engl: Co-Creative Reflection and Dialogue Space - CCRDS)“ um.
CCRDS Forschungsreise, Publikationen - Transformatives Forschungsprojekt
In Madrid ging es zunächst primär darum zu erheben, ob es überhaupt möglich ist, in einem Umfeld wie der UN-Klimakonferenz ein Miteinander und eine Kommunikationsqualität zu kultivieren, die authentisch und vertrauensvoll ist und welche Designprinzipien (Toolset, Skillset, Mindset) es dafür braucht. In Glasgow zielte der CCRDS dann vor allem darauf ab, mit möglichst vielen Methoden und Formaten zu experimentieren, um Möglichkeiten, Potenziale und Grenzen auszuloten (Wamsler at al 2020, Fraude et al 2021, Mar et al 2021, Mar et al in review, Schroeder et al in review). Die Forschungsergebnisse und die Rückmeldungen von COP-Teilnehmenden bestätigten die Anliegen und Hypothesen hinter dem CCRDS so weit, dass entschieden wurde, das Forschungsprojekt auch in diesem Jahr weiterzuführen.
Auf der diesjährigen Klimakonferenz, der COP27 in Sharm El Sheikh, wird es wieder einen CCRDS geben. Diesmal fokussiert sich die Forschung auf den Themenkomplex „(Klima-)Angst und Vertrauen“. Dabei soll es um Fragen gehen wie: Was befördert Emotionen wie die Angst auf der COP? Wie wirkt sich Angst auf die Arbeit bei der COP aus? Wie können COP Teilnehmende Vertrauen aufbauen und was geschieht dann? Wie beeinflusst die Erfahrung von Vertrauen die eigene Arbeit auf der COP und kollaborative Prozesse bzw. Ergebnisse?
Zusätzlich wird in einem zweiten Strang damit experimentiert, was geschieht, wenn klassische (natur-)wissenschaftliche Forschungsinhalte auf der COP statt in etablierten Vorträgen oder Podiumsdiskussionen in innovativen dialogischen Formaten und einer unterstützenden Beziehungs- und Kommunikationskultur besprochen werden. Dazu bietet das CCRDS-Team Partnern an, Gesprächsrunden zu eingereichten wissenschaftlichen Themen zu moderieren.
Für beide Forschungsstränge lädt das IASS dazu ein, sich mit eigenen Vorschlägen auf Zeitfenster im CCRDS zu bewerben. Informationen und Kriterien gibt es hier.
Informationen und Kontaktdaten
- CCRDS [at] iass-potsdam [dot] de
- www.iass-potsdam.de/en/CCRDS
- Twitter: @ReflectCOP Hashtag: #ReflectCOP
Literaturnachweise und bisherige Publikationen aus dem Forschungsprojekt des CCRDS
- Fraude, C., Bruhn, T., Stasiak, D., Wamsler, C., Mar, K., Schäpke, N., Schroeder, H., Lawrence, M. Creating space for reflection and dialogue. Examples of new modes of communication for empowering climate action. GAIA 30/3 (2021): 174 – 180. https://doi.org/10.14512/gaia.30.3.9
- Mar, K.A., Fraude, C., Bruhn, T. Schäpke, N. Stasiak, D., Schröder, H. Wamsler, C., Lawrence, M.: Fostering Reflection, Dialogue and Collaboration among Actors at the UN Climate Change Conferences. IASS Policy Brief (October 2021), Potsdam, https://DOI:10.48481/iass.2021.028
- Mar, K.A., Schäpke, N., Fraude, C., Bruhn, T., Wamsler, C., Stasiak, D., Schroeder, H., Lawrence, M. Towards a new climate of communication at the COP: recommendations to foster collaboration with and among non-state actors. WIREs Climate Change. In Review.
- Marks, E., Hickman, C., Pihkala, P., Clayton, S., Lewandowski, E., Mayall, E., Wray, B., Mellor, C., van Susteren, L. (2021). Young People's Voices on Climate Anxiety, Government Betrayal and Moral Injury: A Global Phenomenon. http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3918955
- Wamsler, C., Schäpke, N., Fraude, C., Stasiak, D., Bruhn, T., Lawrence, M. G., Schroeder, H., & Mundaca, L. (2020). Enabling new mindsets and transformative skills for negotiating and activating climate action. Lessons from UNFCCC conferences of the parties. Environmental Science & Policy, 112, 227-235. https://doi.org/10.1016/j.envsci.2020.06.005