Commons-Public Partnerships sind Booster für die sozial-ökologische Transformation an den Graswurzeln
07.03.2023
Oft schauen wir nach Berlin und Brüssel, wenn wir uns Fortschritte in der Umsetzung der sozial-ökologischen Transformation wünschen. Keine Frage, dort werden die großen Weichen gestellt – seien es Subventionsprogramme, Projektförderungen oder praktische Maßgaben für Produktion und Handel. Dennoch übersehen wir einiges Potenzial, wenn wir annehmen, dass nur dort der Wandel Gestalt annimmt. Viele ambitionierte und mutmachende sozial-ökologische Projekte entstehen fernab der politischen Zentren, in Gemeindehallen, Stadtparlamenten, Jugendzentren, in Nachbarschaftsinitiativen und Bewegungskontexten ebenso wie in solidarisch geführten Landwirtschaftsbetrieben.
Die Bürgerbegehren, Radentscheide und Volksinitiativen für mehr lokale Klimapolitik zeigen: Der Aufbruch passiert an allen Stellen. Mehr noch: Menschen investieren signifikante Teile ihrer Freizeit, um derartige Vorhaben zum Erfolg zu führen und den Wandel in ihrer Lebensumgebung Realität werden zu lassen. Unterwegs lernen sie wichtige Formen der gemeinsamen Selbstorganisation und kollektiven Entscheidungsfindung, sprich: der lebedigen lokalen Demokratie. Oft umfassen diese Initiativen auch gemeinwohlorientierte Dienstleistungen, etwa in Form von Wissensproduktion und -bereitstellung oder des gemeinsamen solidarischen Wirtschaftens. Insoweit tragen sie zu einem Aufwuchs der Commons, der Gemeingüter und ihrer Selbstverwaltung bei.
Lokale zivilgesellschaftliche Initiativen stehen dabei nicht im Widerspruch oder in Konkurrenz zu den größeren politischen Transformationsprogrammen, etwa im Bereich der Energie- und Ernährungswende oder der zirkulären, solidarischen Ökonomie. Im Gegenteil: Durch die Kraft und Teilhabe der Zivilgesellschaft können diese Programme dezentral mit Leben gefüllt und für die lokalen Bedarfe sinnvoll weiterentwickelt werden.
Nichtsdestotrotz finden dezentrale Initiativen und staatliche Rahmenbedingungen aktuell noch nicht oft zusammen. Die Gründe dafür reichen von der Unkenntnis der jeweils „anderen“ Seite und der gemeinsamen Möglichkeiten bis hin zu den strukturellen Hürden und chronischen Knappheiten des ehrenamtlichen Engagements. Das eigentlich hilfreiche Ziel der Einbindung von Lokalbevölkerung in staatlich angeführte Prozesse der Transformationsgestaltung beschränkt sich häufig auf die Partizipation von Individuen und lässt bestehende Kollektivstrukturen und ihre wichtige Arbeit außer Acht. Doch das muss nicht so bleiben. Was es braucht, um die Kraft von unten und überall mit den Transformationsprogrammen aus den Parlamenten und Ministerien zusammen zu bringen, ist ein flexibles Schema der verstetigten und gemeinsam geregelten Kooperation, mit anderen Worten: Commons-Public Partnerships.
Was ist eine Commons-Public Partnership, kurz CPP?
Formell liegt eine Commons-Public Partnership (CPP) vor, wenn eine Commonsvereinigung einen Vertrag oder eine Vereinbarung mit der öffentlichen Hand eingeht. Es steht also auf der einen Seite eine verfasste Gruppe, die Commoning betreibt – und auf der anderen Seite eine Stadt, Kommune oder ein Bundesland. In ihrer Vereinbarung regeln sie miteinander und auf Augenhöhe die Bereitstellung von Land und Ressourcen durch die öffentliche Hand sowie die Leistung fest umgrenzter Tätigkeiten durch die Commonsvereinigung in einer Weise, die das Commoning mittel- bis langfristig fördert und absichert.
CPPs sind lokal-, kontext- und sektorspezifisch zugeschnitten und können entsprechend ganz unterschiedliche Formen annehmen. Aus der je spezifischen Kooperationsvereinbarung, dem Gründungspapier einer CPP, können vollkommen neue Entitäten der kontinuierlichen Co-Governance entstehen, etwa Bildungs- und Begegnungsorte, Quartierszentren oder ständige Kommissionen.
Vor allem im Bereich der Stadtentwicklung machen Commons-Public Partnerships bereits vor, wie komplexe Transformationsaufgaben gemeinsam gemeistert werden können. Der Nutzen zeigt sich dabei auf mehreren Ebenen. Durch die Einbindung in öffentliche Transformations- und Entwicklungsvorhaben werden lokale Strukturen aufgewertet und gestärkt. Dies trägt zu ihrer Beständigkeit bei und damit zu einer Verstetigung von Gemeinwohlorientierung, Commoning und lebendiger Demokratie im Lokalkontext.
Verwaltung und Politik hingegen können auf das situierte Wissen und das Know-How der Initiativen zurückgreifen und damit Transformationsziele anstreben, die sonst – ausschließlich Top-Down geplant und umgesetzt – außer Reichweite wären. Ein Beispiel ist der Aufbau eines Netzwerks von lokalen Betrieben, die ihre Stoffkreisläufe miteinander verbinden und so schließen wollen, wie es unter Federführung der Initiative PlantChicago in Chicago bereits passiert.
Medien
Transformationsprojekt „Fuchsmühle Waldkappel“ in Hessen
In Waldkappel (Video oben) bei Kassel kümmert sich die Initiative Fuchsmühle seit 2020 um basale Infrastrukturen und Nachbarschaftsprojekte für eine Transformation des Alltags in allen Bereichen: von der Errichtung einer Food Coop, über Carsharing, Begegnungs- und Tauschfeste bis hin zu lokaler Wiederaufforstung.
Medien
Transformationsprojekte „B-Side Hansaforum“ in Münster
Ähnliches leistet das Team des Quartierszentrums B-Side (Video oben) in Münster: Kiezräume und Werkstätten tragen dazu bei, dass Anwohner:innen lokal sinnvolle Solidarstrukturen aufbauen und ressourcenleichter leben können. All diese Projekte zeigen, dass die Kreativität und Befähigung zur Zusammenarbeit vor Ort ein starker Treiber der sozial-ökologischen Transformation ist. Das in Münster gestartete Projekt „Wassertanke“ zur Errichtung von frei zugänglichen Regenspeichern im Kiez kommt sogar so gut an, dass es inzwischen auch in anderen deutschen Städten umgesetzt wird.
Commons-Public Partnerships sind heute bereits möglich. Jede Stadtverwaltung und jedes Landesministerium kann mit einer solidarischen Landwirtschaft, einem Jugendzentrum oder einem Urban-Gardening-Kollektiv einen Kooperationsvertrag abschließen, in dem sie gemeinsam konkrete Ziele der lokalen sozial-ökologischen Transformation festlegen und verfolgen. Alles was es dazu braucht, ist eine rechtliche Verfasstheit auf der Seite der Initiative, etwa in Form eines eingetragenen Vereins und eine Prise Experimentierfreude auf beiden Seiten. Wie diese Kooperationen konkret aussehen können und bereits aussehen, welche praktischen Herausforderungen und vielfältigen Potenziale sie bergen, haben Paul Jerchel und ich in diesem RIFS Diskussionspapier anskizziert.
Wer mehr über bestehende Kooperationsprojekte in Deutschland lernen möchte, kann hier einige von ihnen kennen lernen. Die verlinkten Video-Mitschnitte oben stammen von der CPP Konferenz im November 2022 am RIFS (damals noch IASS), bei der Praktiker:innen und Forscher:innen aus ganz Deutschland zusammen kamen, um sich miteinander zu vernetzen und auszutauschen. Dabei gab es auch zwei Inputs zu rechtlichen Fragen der Kooperation von Tim Wihl und Noah Neitzel, die alle als Playlist nochmals hier auf Youtube abrufbar sind.