Vertieft die Wasserstoffpolitik der EU die Ungleichheiten in Europa?
02.10.2023
Im Februar 2023 legte die EU den Green Deal Industrial Plan vor, in dem sie ihre Strategie für die Transformation von Industrie und Energiesektor darlegt. Grüner Wasserstoff soll ein wesentlicher Baustein dieser Transformation sein. Die großflächige Produktion von erneuerbarem Wasserstoff und seine Verwendung in Industrie und Verkehr kann Dekarbonisierung ermöglichen, wo direkte Elektrifizierung keine skalierbare Option ist. Darüber hinaus bietet grüner Wasserstoff die Möglichkeit, Technologieführerschaft und wirtschaftliche Perspektiven für eine künftig klimaneutrale Wirtschaft zu entwickeln.
Vor diesem Hintergrund konzentrierten sich die politischen Debatten der vergangenen Jahre vor allem auf die Frage, wie die EU mit der ehrgeizigen grünen Industriepolitik in China und seit kurzem auch in der USA konkurrieren kann. Mit dem Inflation Reduction Act verabschiedete die Biden-Administration im August 2022 ein Gesetzespaket, das die massive Subvention der Wasserstoffproduktion in den USA ermöglicht. Eine Schlüsselfrage ist daher, wie die EU mit solch großzügigen finanziellen Anreizen mithalten und sicherstellen kann, dass sie die notwendigen Investitionen in Wasserstoff-Wertschöpfungsketten generiert.
Weniger Aufmerksamkeit wurde bislang der Frage gewidmet, wie sich die Wasserstoffpolitik der EU auf regionale Ungleichheiten zwischen den EU-Mitgliedstaaten auswirkt. In ihrem Green Deal Industrial Plan argumentiert die Kommission, dass eine gemeinsame europäische Strategie zielführender sei als 27 nationale Alleingänge. Aber wird die EU ihrer eigenen Forderung nach einer ehrgeizigen europäischen Industriestrategie für grünen Wasserstoff auch gerecht?
Die Wasserstoffpolitik der EU beruht auf einem komplexen und fragmentierten Ansatz. Im Rahmen des HYPAT-Projekts entwickelt das RIFS Potsdam eine globale Datenbank für die Wasserstoffpolitik der größten Volkswirtschaften, die alle bisher verabschiedeten Maßnahmen und Ziele enthält. Für die EU weist die Datenerhebung eine große Anzahl verschiedener Instrumente auf, wobei überwiegend auf Wasserstoff-Initiativen innerhalb etablierter Programme gesetzt wird. So stellt die Europäische Kommission in begrenztem Umfang Mittel für die Produktion und Nutzung von grünem Wasserstoff sowie für Forschung und Entwicklung (R&D) bereit. Dazu erweiterte sie den Anwendungsbereich bestehender Fonds wie den Modernization und den Just Transition Fund, welche dazu dienen, einkommensschwache Regionen und Mitgliedstaaten bei der Transformation zu unterstützen. Darüber hinaus können Regierungen nun Projekte zu grünem Wasserstoff in ihre Recovery and Resilience Plans aufnehmen, über welche Mitgliedstaaten Gelder aus NextGenerationEU, dem Krisenpaket der EU, beantragen können. Neuen Finanzierungsquellen wurden dabei keine geschaffen. Stattdessen integrierte die EU die Möglichkeit der Finanzierung von Wasserstoff-Projekten in bereits bestehende Programme. Die größte, einzelne Finanzierungsquelle ist bislang der Innovation Fund, der aus den Einnahmen des Europäischen Emissionshandels finanziert wird und Zuschüsse für Projekte im Bereich grüne Energie sowie Industrie bereitstellt. Die Förderung von erneuerbarem Wasserstoff ist eines der Kernziele.
Zusätzlich zu den Programmen auf EU-Ebene lockerte die Kommission die Vorschriften für staatliche Beihilfen, um so den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu geben, ihre nationale Industrie zu subventionieren. Normalerweise verbietet die EU diese Form der staatlichen Intervention, um gleiche Wettbewerbsbedingungen innerhalb des gemeinsamen Marktes zu gewährleisten. Angesichts der Pandemie und des Krieges in der Ukraine war die Kommission jedoch gezwungen, die Regeln aufzuweichen und erlaubt den Mitgliedstaaten nun, umfangreiche Staatshilfen auszuzahlen. Um die Dekarbonisierung des Energiesektors und der Industrie zu beschleunigen, dehnte die EU die Ausnahmen für staatliche Beihilfen auch auf Sektoren aus, die für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft entscheidend sind. Das Temporary Crisis Framework - eingeführt, um die Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, ihre Wirtschaft im Kontext des Ukraine Krieges zu unterstützen - wurde zum Temporary Crisis and Transition Framework ausgebaut und erlaubt nun, Wirtschaftshilfen für die grüne Transformation zu bereitzustellen.
Mit anderen Worten: Die EU lockert ihre Vorschriften für staatliche Beihilfen und stellt gleichzeitig nur begrenzt Mittel auf EU-Ebene zur Förderung von erneuerbarem Wasserstoff bereit. Dadurch wird die Verantwortung für die notwendigen Investitionen in grünen Wasserstoff auf andere Akteure verlagert. Der Aufbau von Elektrolyse-Kapazitäten für die Produktion von erneuerbarem Wasserstoff und die Dekarbonisierung in der Stahl- oder Chemieindustrie erfordern nicht nur private, sondern auch öffentliche Gelder, wobei letztere momentan größtenteils von den nationalen Regierungen bereitgestellt werden. Länder mit großen budgetären Kapazitäten wie Deutschland, die Niederlande oder Schweden haben hier einen erheblichen Vorteil. Ihre Regierungen verfügen über beträchtliche Mittel zur Subventionierung der Industrie im eigenen Land, im Gegensatz zu den Regierungen in Rumänien, Kroatien und Griechenland. So hat die Kommission im Juli den Antrag der Bundesregierung bewilligt, das Stahlunternehmen ThyssenKrupp mit bis zu zwei Milliarden Euro beim Umstieg auf erneuerbaren Wasserstoff zu unterstützen, während bereits im Oktober vergangenen Jahres eine weitere Subvention in Höhe von einer Milliarde Euro für den Stahlhersteller Salzgitter genehmigt wurde. Auch die Niederlande erhielten grünes Licht für zwei Wasserstoff-Subventionspakete im Gesamtwert von einer Milliarde Euro. Die meisten anderen Mitgliedstaaten können sich solche Maßnahmen nicht leisten und sind stattdessen auf EU-Mittel angewiesen.
Die auf EU-Ebene vorhandenen Mittel werden jedoch nicht von allen Mitgliedstaaten gleichermaßen genutzt. In den meisten Fällen beantragen die Regierungen selbst keine Zuschüsse. R&D-Projekte werden hauptsächlich von öffentlichen Forschungseinrichtungen durchgeführt, während Investitionsprojekte oft auf die Initiative privater Unternehmen zurückgehen. Außerdem begünstigen wettbewerbsorientierte Finanzierungsprogramme wie der Innovation Fund große etablierte Unternehmen gegenüber kleinen Start-ups. Obwohl die Ausschreibungen des Innovation Fund eine Sektion für Kleinprojekte enthalten, erhalten diese nur einen marginalen Teil der finanziellen Mittel. Bei der aktuellsten dritten Ausschreibung wurden 100 Millionen an Zuschüssen für Kleinprojekte gewährt, während Großprojekte insgesamt 3,6 Milliarden erhielten. Außerdem verfügen etablierte Unternehmen über mehr Ressourcen, größere Verwaltungskapazitäten und bessere Netzwerke. Unsere Daten zeigen, dass die größten Nutznießer des Innovation Fund bislang Mitgliedstaaten mit großen Industriesektoren und einer ausgearbeiteten Wasserstoffstrategie waren. Bis jetzt sind die meisten Mittel für wasserstoffbezogene Großprojekte in nordeuropäische Länder geflossen: 320 Millionen Euro gingen an Schweden, 296 Millionen Euro an die Niederlande, 96 Millionen Euro an Deutschland und 88 Millionen Euro an Finnland. Länder wie Spanien, Polen und Tschechien haben derweil nur Zuschüsse für kleinere Projekte in Höhe von drei bis acht Millionen Euro erhalten (siehe Abbildung unten).
Abbildung 1: Zuschüsse des Innovation Fund für Wasserstoff-Projekte, 2020 - 2023 (zuletzt aktualisiert am 23.09.23), nach Projektstandort, in Millionen Euro.
Da der Gesamtbetrag, den einzelne Mitgliedstaaten aus EU-Fonds erhalten, schwer abzuschätzen ist, handelt es sich hierbei lediglich um einen Ausschnitt des Gesamtbildes. Dennoch ist ein klarer Trend zu erkennen: Die größten Summen gehen an die Länder, die bereits über etablierte Industrien und hohe budgetäre Kapazitäten verfügen. Ärmeren Mitgliedstaaten sind dagegen auf Mittel aus Kohäsionsprogrammen wie dem Modernization Fund oder dem Just Transition Fund angewiesen. Diese stellen jedoch keine Extra-Gelder für grünen Wasserstoff zur Verfügung.
Das verschärft die Diskrepanz zwischen den Regierungen, die sich ehrgeizige Ziele für die Förderung von grünem Wasserstoff setzen, und anderen, die Gefahr laufen, ins Hintertreffen zu geraten. Nach unserer Kenntnis veröffentlichten bislang nur 15 der 27 Mitgliedstaaten eine umfassende Wasserstoffstrategie. Auf der Ebene der Umsetzung sind die Unterschiede noch deutlicher. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) werden 48 Prozent der bereits in Betrieb genommenen grünen Wasserstoffprojekte in der EU, in Deutschland umgesetzt. Weitere elf Prozent befinden sich in Frankreich, während in fast der Hälfte aller Mitgliedstaaten überhaupt keine grünen Wasserstoffprojekte in Betrieb sind.
Diese Entwicklungen stehen auch im Widerspruch zur Verteilung des Potenzials für den Ausbau erneuerbarer Energien in der EU, einem wichtigen Faktor für die Produktion von günstigem grünen Wasserstoff. Wie in einer im Rahmen des HYPAT-Projekts kürzlich veröffentlichten Studie dargelegt, nehmen viele der ost- und südosteuropäischen Länder am derzeitigen Markthochlauf nicht teil, obwohl dort das Potenzial für die Nutzung von überschüssigem Strom aus erneuerbaren Energien zur Produktion von grünem Wasserstoff besonders groß wäre. Eine erneuerbare Wasserstoffwirtschaft könnte für Unternehmen der Stahl- und Chemieindustrie wichtige Anreize setzen, in Mitgliedstaaten zu investieren, die das Potenzial für wettbewerbsfähige erneuerbare Energien aufweisen. Länder wie Spanien, Griechenland oder Kroatien könnten nicht nur erneuerbaren Wasserstoff und seine Derivate innerhalb der EU verkaufen, sondern auch Kapazitäten für die Herstellung grüner Industrieprodukte entwickeln und dekarbonisierte Industriezweige aufbauen. Eine solche Entwicklung könnte in strukturell benachteiligten Regionen Arbeitsplätze und neue Perspektiven schaffen, eines der wichtigsten Ziele der europäischen Kohäsionspolitik. Der Inflation Reduction Act verfolgt mit dem Bonuskreditprogramm für einkommensschwache Kommunen bereits ein ähnliches Ziel. Diese Steuergutschrift bietet bis zu 20 Prozent an zusätzlichen finanziellen Anreizen für Investitionen in erneuerbare Energien, die in einkommensschwachen Kommunen in den USA getätigt werden.
Die derzeitige Strategie der EU dagegen wird höchstwahrscheinlich zu einer erheblichen Verzerrung zugunsten der reicheren Länder in der Union führen. Indem Mitgliedstaaten mit großen fiskalischen Kapazitäten die finanziellen Anreize für den Verbleib ihrer Industrien bieten, schmälern sie die Chancen für andere Länder aufzuholen und vertiefen regionale Ungleichheiten. Um dies zu vermeiden, ist eine gemeinsame europäische Wasserstoff-Strategie erforderlich. Dies würde in erster Linie bedeuten, dass mehr EU-Mittel für die Produktion und Nutzung von grünem Wasserstoff dort bereitgestellt werden, wo das Potenzial am größten ist, und nicht dort, wo die Regierungen den größten fiskalischen Spielraum haben. Der von der Kommission Ende letzten Jahres angekündigte EU Sovereignty Fund hätte ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sein können. Im Juni legte die Kommission jedoch ihren Plan für eine Strategic Technologies for Europe Platform vor, die den Sovereignty Fund ersetzen soll. Dieser würde vor allem bestehende Mittel umschichten und nur 10 Milliarden Euro zusätzlich bereitstellen. Um regionalen Ungleichheiten entgegenzuwirken, wäre mehr notwendig.
Die Kommission kündigte außerdem die Errichtung der European Hydrogen Bank an. Diese wird in einem Auktionsverfahren Förderungen für die Produktion von grünem Wasserstoff bereitstellen. Wasserstoffproduzenten können so Subventionen erhalten, die in Form einer festen Prämie pro kg produziertem grünen Wasserstoff gezahlt werden. Die Kommission hat zu diesem Zweck 800 Millionen Euro aus dem Innovation Fund bereitgestellt. Um eine Verzerrung zugunsten finanzstarker Ländern zu vermeiden, sollte die EU sicherstellen, dass die Auktionen nicht mit anderen Subventionsprogrammen kombiniert werden. Eine Ausnahme könnte die Finanzierung mit Mitteln aus der EU-Kohäsionspolitik bilden, die auf strukturell benachteiligte Regionen ausgerichtet ist. Das Gleiche gilt auch für die geplanten Carbon Contracts for Difference (CCfDs) zur Förderung des Einsatzes von grünem Wasserstoff in der Industrie. Die Idee ist, dass der Staat, oder in diesem Fall die EU, die Differenz zwischen den herkömmlichen Produktionskosten, einschließlich des CO2-Preises, und den Kosten für die Herstellung klimafreundlicher Industrieprodukte mit Wasserstoff, übernimmt. Die CCfDs würden, genau wie die Produktionssubventionen der European Hydrogen Bank, in einem Ausschreibungsverfahren vergeben werden. Ein offizieller Gesetzesentwurf der Kommission zur Einführung von CCfDs steht allerdings noch aus. Dies gibt Anlass zur Sorge, dass die Mitgliedstaaten selbst die Einführung solcher Differenzverträge vorantreiben, wie dies bereits in Deutschland der Fall ist. Dann wäre die Unterstützung für grünen Wasserstoff in der Industrie wieder auf finanzstarke Länder beschränkt. Weitere Entwürfe zur Bewältigung dieser Herausforderungen werden im oben erwähnten HYPAT Working Paper ausführlich diskutiert.
Schlussendlich wird Geld allein nicht ausreichen. Einkommensschwachen Mitgliedstaaten mangelt es an innovativen Unternehmen, die in der Lage sind, großflächig Projekte zu planen und auszuführen, auch wenn die nötigen Mittel zur Verfügung stünden. Dies erfordert eine ehrgeizigere Kohäsionspolitik und starke Investitionen in Infrastruktur, Bildung und regionale Entwicklung, nicht nur um Ungleichheiten innerhalb Europas auszugleichen, sondern auch um die Potenziale an erneuerbarem Wasserstoff in diesen Regionen auszunutzen. Die EU sollte dies als Chance begreifen, eine ausgewogenere und effizientere Industriepolitik für den Umstieg auf grünen Wasserstoff zu entwickeln.