CO2-Fußabdrucksgesetzgebung, internationale Gerechtigkeit und Zusammenarbeit
28.03.2024
Klimapolitik wird stets nur mit angezogener Handbremse betrieben. Regierungen zögern dabei, ehrgeizigere Maßnahmen zur Dekarbonisierung der Industrie zu ergreifen, da sie befürchten, dass strengere Vorschriften oder hohe CO2-Preise die industrielle Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen und Verbraucher auf billigere Produkte aus Ländern mit laxen Vorschriften umsteigen könnten. Doch es gibt eine Lösung: Maßnahmen, die nicht nur auf die Emissionen innerhalb der Landes- oder EU-Grenzen abzielen, sondern auch auf die Emissionen entlang der globalen Wertschöpfungsketten. Eine „CO2-Fußabdruckpolitik“ zielt auf die in den vorgelagerten Produktionsstufen der Lieferkette entstehenden Emissionen ab.
Politik und Wissenschaft haben dem Einbeziehen von Importen in den Emissionshandel (Stichwort „CBAM“) bereits viel Aufmerksamkeit geschenkt, aber alternative und komplementäre Instrumente vernachlässigt. Auch wenn die Einführung des CBAM ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist, handelt es sich dabei um ein spezielles politisches Instrument mit spezifischen Stärken und Schwächen - und nicht um die einzige verfügbare CO2-Fußabdruckpolitik. Um die Dekarbonisierung weltweit gehandelter Güter zu beschleunigen, müssen alle politischen Optionen auf den Tisch und gründlich auf ihre Auswirkungen auf internationale Gerechtigkeit und Zusammenarbeit hin geprüft werden.
Neben der Angleichung der CO2-Bepreisung für einheimische Produktion und Importe (border carbon adjustments) gibt es noch andere politische Instrumente für die Verringerung der CO2-Fußabdrücke, wie beispielsweise CO2-spezifische Zollschranken, gesetzliche Kohlenstoffhöchstwerte für Produkte und Steuerklassen auf der Grundlage der Lebenszyklusemissionen. Die Angleichung der für einheimische Produktion und Importe anfallenden CO2-Bepreisung kann durch Steuern oder die Verpflichtung zum Kauf von Emissionszertifikaten für Importe erzielt werden. Zollschranken könnten entsprechend der Größe des CO2-Fußabdrucks differenziert werden, wie etwa im Rahmen der Verhandlungen über das Globale Abkommen über nachhaltigen Stahl und Aluminium (GASSA) diskutiert wurde. Gesetzliche Höchstgrenzen für den CO2-Fußabdruck, wie etwa von Gebäuden oder Batterien, nehmen die klimaschädlichsten Produkte vom Markt. Die Besteuerung von Kraftfahrzeugen könnte verstärkt auf Lebenszyklus-Emissionen ausgerichtet werden, anstatt allein auf Maße wie PS oder Gewicht.
Solch diverse CO2-Fußabdruckpolitiken können die Hürden für eine ehrgeizigere Klimapolitik deutlich verringern. Zudem bieten sie grenzüberschreitende Anreize für die Messung und Reduzierung von Emissionen. Diese „Anreize“ können aber zugleich als Handelsdiskriminierung wahrgenommen werden und werfen damit Fragen der Klimagerechtigkeit auf.
Es besteht nicht nur die Gefahr, dass CO2-Fußabdruckspolitiken als protektionistisch und ungerecht wahrgenommen werden - es formiert sich bereits internationaler Widerstand gegen sie. Vor dem Hintergrund aktueller geopolitischer Spannungen und der Diskussionen über ein mögliches Auseinanderbrechen des internationalen Handelssystems ist das Thema besonders brisant.
Am 15. März 2024 leitete ich einen Workshop in Genf mit dem Ziel, die vier Politikinstrumente hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf internationale Gerechtigkeit, Zusammenarbeit und Konflikte zu vergleichen. An dem Workshop nahmen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen teil: das Advisory Centre on WTO Law, Climate Strategies, die École Polytechnique Fédérale de Lausanne, die Friedrich-Ebert-Stiftung, das Institut für Europäische Umweltpolitik, das RIFS Potsdam, das University College London, die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung, das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, das South Centre und World Trade Institute.
Obwohl der Workshop darauf abzielte, die verschiedenen Arten von Politiken zu vergleichen, konzentrierten sich die Diskussionen eher auf Mechanismen, mit denen Importe in den Emissionshandel einbezogen werden können, wie etwa den CBAM der Europäischen Union, wo die Teilnehmenden bereits über das größte Fachwissen verfügten. In den Worten einer Teilnehmerin: „CBAM monopolisiert alle Aufmerksamkeit!“ Nichtsdestotrotz gab der Workshop den Anstoß für die Untersuchung anderer politischer Optionen und verhalf den Teilnehmenden zu einem besseren Verständnis des gesamten Spektrums politischer Maßnahmen zum CO2-Fußabdruck.
Um grenzüberschreitende Maßnahmen wirksam einsetzen zu können, müssen reformbereite Regierungen unterschiedliche Perspektiven einbeziehen, die zeitliche Abfolge der Einführung neuer Instrumente optimieren und ihre internationale Legitimität sicherstellen. Bei aller Sorge um die Optimierung des Bündels an geeigneten Maßnahmen bedarf es jedoch schnellen und entschlossenen Handelns, um der Klimakrise wirksam zu begegnen.