Unsere Energiewende? Wie Beteiligung vor Ort die Transformation gestaltbar macht
18.04.2024
Eine gemeinsame Studie des Progressiven Zentrums und des RIFS.
Von Victoria Luh (RIFS) und Johanna Siebert (DPZ)
Obwohl der Großteil der deutschen Bevölkerung die Energiewende grundsätzlich befürwortet, ist die Umsetzung in den Regionen und Kommunen konfliktreich. Sei es das Windrad vor der Haustür, das den einen finanziell lukrativ erscheint und den anderen aufgrund veränderter Landschaftsästhetik oder Umweltschutzbedenken Sorgen bereitet, seien es Arbeitsplatzverluste durch den Abbau der Braunkohleindustrie. Mit der Energiewende gehen komplexe Aushandlungsprozesse einher, insbesondere dort, wo Veränderungen am konkretesten in der eigenen Lebenswelt spürbar werden – auf kommunaler Ebene. Soll die Energiewende demokratisch gestaltet und das politische Versprechen von Teilhabe und Mitgestaltung eingelöst werden, braucht es passende Konzepte der Aushandlung und Konfliktbewältigung vor Ort.
In der Studie „Unsere Energiewende? Wie Beteiligung vor Ort die Transformation gestaltbar macht“, die in einer Kooperation zwischen dem Progressiven Zentrum und dem RIFS entstanden ist, schauen wir uns Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in Ansätzen der finanziellen Beteiligung sowie in dialogischen und konfliktsensiblen Beteiligungsformaten an. Auf Basis von insgesamt 61 Interviews mit Umsetzer:innen und Beteiligten, betroffenen Bürger:innen und Verwaltungsmitarbeiter:innen nahezu aller Bundesländer gibt die Studie einen detaillierten Einblick in drei Fälle. Darüber hinaus identifiziert sie strukturelle Herausforderungen wie Gelingensbedingungen in der Umsetzung von immaterieller und materieller Beteiligung in Transformationsprozessen vor Ort.
Die drei Fälle
Windpark Hoort 2 in der Gemeinde Hoort in Mecklenburg-Vorpommern ist ein Beispiel für die finanzielle Beteiligung von Kommune und Bürger:innen in der Energiewende. Durch das Engagement kommunalpolitischer Akteure, gute Flächenvoraussetzungen in der Gemarkung und eine hohe Prozesstransparenz konnten Bürger:innen und Kommune von dem Windpark überzeugt und an den Gewinnen beteiligt werden. Von den Renditen aus dem Windpark möchte die Gemeinde beispielsweise die örtliche Kita sanieren. Wie auch in vielen anderen Fällen der finanziellen Beteiligung haben in Hoort, u. a. aufgrund fehlenden Investitionskapitals, nur wenige Bürger:innen als Privatpersonen Anteile am Windpark erworben. Unsere Analyse zeigt: Um potenziellen Konflikten zwischen Energiewendegewinner:innen und -verlierer:innen frühzeitig entgegenzuwirken, sind für das Gelingen einer gerechten Transformation neben einer indirekten finanziellen Teilhabe über kommunale Strukturen auch Instrumente indirekter finanzieller Beteiligung von Privathaushalten, beispielsweise ein vergünstigter Strompreistarif, zu diskutieren.
Das Forum Energiedialog (FED) ist ein Programm des Landes Baden-Württemberg zur Unterstützung von Kommunen in der dialogischen Aushandlung von Energiewendekonflikten. Das Programm wird mittlerweile in der dritten Legislaturperiode gefördert und hat inzwischen über 100 Kommunen dabei begleitet zu verhandeln, wie der Ausbau der Erneuerbaren vor Ort aussehen kann. Die Stärke des FED ist es, Prozessoffenheit und Allparteilichkeit – und damit die Berücksichtigung aller im lokalen Konflikt vorhandenen Perspektiven – sicherzustellen. Das erhöht die Legitimität des Entscheidungsfindungsprozesses sowie des Ergebnisses vor Ort. Ein Haken besteht darin, dass das FED Kommunen aus förderpolitischen Gründen nur in der Planungsphase begleiten darf, dabei entstehen zahlreiche Konflikte erst mit Baubeginn. Weiterhin erreicht das Format nur bestimmte gesellschaftliche Gruppen, besonders junge Menschen nehmen trotz zielgruppenspezifischer Bemühungen nicht oder nur vereinzelt teil. Unsere Analyse zeigt: Konflikte in lokalen Transformationsprozessen frühzeitig zu erkennen und durch konfliktsensible Beteiligung zu bearbeiten, ist eine zentrale Gelingensbedingung einer gerechten Transformation. Hierfür braucht es verschiedene Ansätze, um möglichst viele gesellschaftliche Gruppen zu erreichen. Um dies zu gewährleisten, ist eine vermehrte Bereitstellung von personellen und finanziellen Verwaltungskapazitäten auf Landes- und kommunaler Ebene notwendig.
Bei den Bürgerdialogen im Rahmen des Strukturentwicklungsprogramms Sachsen-Anhalt handelt es sich um ein Online-Dialogformat zur Beteiligung von Bürger:innen in der Identifikation von Investitionsschwerpunkten für Landesmittel im Strukturwandel, das von der Staatskanzlei 2021 initiiert wurde. Das Beispiel zeigt, dass die Bürgerdialoge eine politische Sichtbarkeit und Nahbarkeit in einem schwierigen regionalen Umbruchprozess gestiftet haben, politische Planungsschritte im Strukturwandel jedoch für die meisten Bürger:innen sehr abstrakt erscheinen. In den Bürgerdialogen haben die Bürger:innen darauf reagiert, indem sie weniger strukturpolitische Fragestellungen als vielmehr konkrete politische Anliegen aus ihrem kommunalen und regionalen Umfeld eingebracht haben. Die Ergebnisse der Bürgerdialoge schließlich mit landespolitischen Rahmenbedingungen in Einklang zu bringen, stellte für die Verwaltung eine große Herausforderung dar. Unsere Analyse zeigt: Beteiligung für eine gerechte Transformation muss Formate mit Lebensweltbezug erarbeiten und hierfür Verwaltungskapazitäten aufbauen und langfristig bereitstellen.
Fünf Empfehlungen
Kommunen und Länder bringen die Energiewende durch innovative Ansätze der materiellen und immateriellen Beteiligung voran. Gleichzeitig werden insbesondere strukturell schwach ausgestattete Kommunen durch Klimaanpassungsmaßnahmen im Zuge der Energiewende vor große Herausforderungen gestellt. Trotz Engagement und guten Ideen fehlt es in kommunalen Verwaltungen an finanziellen, personellen und prozessualen Ressourcen, um die Transformation vor Ort voranzubringen. Die Studie liefert fünf konkrete Handlungsempfehlungen für Bund und Länder zur Stärkung kommunaler Transformationskapazitäten. Diese Hebel liegen in drei Dimensionen:
Hebel 1: Rechtliche Rahmenbedingungen
Eine Möglichkeit, die langfristige Finanzierung von Transformationsprozessen in den Kommunen sicherzustellen, ist die Aufnahme von Klimaschutz und Klimaanpassungsmaßnahmen als neue Gemeinschaftsaufgabe im Grundgesetz. Dies stärkt nicht nur bereits bestehende kommunale Strukturen, sondern sendet auch ein entscheidendes politisches Signal: Das Gelingen von lokalen Transformationsprozessen ist eine ebenenübergreifend geteilte Verantwortung und eine notwendige Bedingung demokratischer Resilienz in Zeiten ökologischer Transformation.
Empfehlung 1
Transformation als Gemeinschaftsaufgabe: Wir empfehlen Klimaschutz und Klimaanpassungsmaßnahmen als neue Gemeinschaftsaufgabe in Art. 91a Abs.1 des Grundgesetzes aufzunehmen.
Hebel 2: Finanzielle Förderinstrumente
Wie bereits in einigen Bundesländern erfolgreich erprobt, sollte die finanzielle Beteiligung von Kommunen am Ausbau der erneuerbaren Energien über die Landesgesetzgebung sichergestellt werden, denn dies fördert die Akzeptanz und den Gestaltungswillen vor Ort.
Empfehlung 2
„Unsere Energiewende“-Gesetz: Wir empfehlen die verpflichtende finanzielle Beteiligung der Kommunen beim Ausbau erneuerbarer Energien, gekoppelt an eine gemeinwohlorientierte kommunale Investitionsstrategie der damit verbundenen Gewinne.
Kommunen müssen jedoch auch in der Lage sein können, Maßnahmen zur Umsetzung der Energiewende vor Ort selbstständig voranzutreiben. Ein Fördertopf aus Landes- und/oder Bundesmitteln, im Sinne eines Transformationsbeteiligungsfonds könnte ein solches Instrument darstellen. Dieser soll Kommunen durch günstige Kreditvergabe und Risikoabsicherungen ermöglichen, selbst Vorhabenträgerin eines Energiewendeprojektes zu sein. Zudem soll er die Umsetzung von kommunalen Beteiligungsaktivitäten erleichtern.
Empfehlung 3
Transformationsbeteiligungsfonds: Wir empfehlen die Einrichtung eines Fonds für die Unterstützung von kommunaler Teilhabe und Mitgestaltung an der Umsetzung von Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen.
Hebel 3: Breite Beteiligungskapazitäten
Um die Energiewende – insbesondere in Zeiten des wachsenden Zuspruchs für rechtspopulistische Bewegungen – vor Ort demokratisch zu verhandeln, braucht es gut gemachte und konfliktsensible Beteiligungsformate. Konflikte sind ein ernst zu nehmender Seismograf für gesellschaftliche Stimmungen und Emotionen. Beteiligung in der Transformation muss daher mit Konfliktkompetenz einhergehen. Ein institutionalisiertes Unterstützungsangebot für die Kommunen könnte durch die Schaffung von dauerhaft finanzierten Stellen in den bereits bestehenden Strukturen der Landesenergieagenturen bereitgestellt werden.
Empfehlung 4
Landestransformationspat:innen: Wir empfehlen die Schaffung von dauerhaft finanzierten Stellen für kommunale Prozessbegleiter:innen mit Expertise in den Bereichen der finanziellen Beteiligung sowie der konfliktsensiblen dialogischen Beteiligung in den Landesenergieagenturen.
Die Steuerung von Beteiligungsprozessen in der Transformation bindet nicht nur auf kommunaler, sondern auch auf Landesebene Verwaltungskapazitäten. Um die unterschiedlichen materiellen wie immateriellen Beteiligungsaktivitäten im Land besser zu koordinieren, sind strukturelle Anpassungen in den Landesverwaltungen notwendig. Eine zentrale Koordinierungsstelle zur Bündelung und ressortübergreifenden Abstimmung sowie der Evaluation von Beteiligungsmaßnahmen in Transformationsprozessen auf Länder- und kommunaler Ebene könnte hier Abhilfe schaffen.
Empfehlung 5
Transformationsbeteiligung ressortübergreifend steuern: Wir empfehlen die Einrichtung einer zentralen Koordinierungsstelle für Beteiligung in den Landesverwaltungen, an die sich Verwaltungsmitarbeiter:innen fachlich wenden können und die zudem einen Überblick über die verschiedenen Beteiligungsmaßnahmen auf Länder- und kommunaler Ebene behält.