Headline: Erdüberlastungstag: Wir brauchen eine Ernährungswende

Illegale Abholzung im brasilianischen Regenwald:  Die Überbeanspruchung der natürlichen Ressourcen hat Folgen.
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Kürzlich kontaktierte mich die Umweltredaktion des ZDF mit der Bitte um ein Interview zur Bedeutung unserer Ernährung für die Nachhaltigkeit. Anlass für den kurzen Beitrag ist der globale Erdüberlastungstag, der jedes Jahr neu berechnet wird: Dieses Jahr fällt er auf den 1. August. An diesem Tag haben wir Menschen auf der Welt die Ressourcen unseres Planeten, die sich innerhalb eines Jahres erneuern würden, aufgebraucht. Würde jedoch die gesamte Weltbevölkerung leben und wirtschaften wie wir in Deutschland, wäre dieser Tag bereits am 2. Mai 2024 gewesen und wir bräuchten drei Erden, um unseren derzeitigen Überbedarf zu decken. Auch wenn die Berechnung solcher Tage hinterfragt werden kann, ist ihre Symbolkraft doch Anlass für mediale Berichterstattung. Da ich mich als Wissenschaftlerin in solchen Interviews immer sehr kurzfassen muss, nutze ich meine Antworten auf die Fragen der Redakteure gern als Anlass für einen Blog-Beitrag - dieses Mal zum Thema Ernährung.

Unsere Ernährung spielt bei der globalen sozial-ökologischen Krise, in der wir uns derzeit befinden, eine große Rolle. Sie wirkt sich besonders auf den Landnutzungswandel, die Biodiversität, das Klima, die Süßwassernutzung und biogeochemische Kreisläufe aus. Dabei sind die Erzeugung und der Konsum tierischer Produkte, also Fleisch, Fisch und Milchprodukte, besonders relevant.

So hat die globale Fleischproduktion in den letzten 20 Jahren um circa 50 Prozent zugenommen. Das führt zu erheblichen Veränderungen der globalen Landnutzung wie der Abholzung von Wäldern, unter anderem für den Anbau von Futtermitteln. Wichtig zu wissen ist dabei, dass von all den Feldpflanzen, die global erzeugt werden, nur etwa 40 Prozent direkt für die menschliche Ernährung genutzt werden und fast ebenso viel für Viehfutter. Solche Landnutzungsänderungen und der Verlust an grünen Korridoren beeinträchtigten in Kombination mit dem starken Einsatz von Pestiziden die Vielfalt und Anzahl von Insekten, Vögeln, Amphibien und vielen Säugetieren erheblich. So wird mittlerweile von einem sechsten Massenaussterben in der Geschichte des Lebens auf der Erde gesprochen, zu welchem auch die Überfischung der Weltmeere stark beiträgt.

Gleichzeitig speichern intensiv bewirtschaftete Ackerböden weniger Kohlenstoff als Wälder, Moore oder unbearbeitete Grünflächen, was sich wiederum auf den Klimawandel auswirkt. Zudem führt die starke Nutzung von stickstoff- und phosphathaltigen Düngemitteln zu negativen Veränderungen von Gewässern und Grundwasser. Darüber hinaus wird bei der Erzeugung tierischer Produkte wie z.B. einem Kilo Rindfleisch im Vergleich zu pflanzlichen Lebensmitteln sehr viel mehr Wasser verbraucht.

Angesichts der komplexen Auswirkungen der Lebensmittelerzeugung auf Umwelt und Gesellschaft ist darüber hinaus unser Umgang mit Lebensmitteln alles andere als nachhaltig. Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft werden global rund ein Drittel der produzierten Lebensmittel weggeworfen. Für Deutschland kamen im Jahr 2020 etwa 11 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle zusammen, wovon über die Hälfte in privaten Haushalten anfiel: dort warf durchschnittlich jede Person 79 Kilogramm Lebensmittel weg.

Individuelle Ernährungswende und strukturelle Veränderungen

Vieles müsste sich also ändern! Einerseits können wir unsere Ernährung nachhaltiger und pflanzenbasierter gestalten. Dabei ist es wichtig, möglichst saisonale, regionale und ökologisch erzeugte Produkte zu wählen, da so der Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln reglementiert wird und auch Transportwege reduziert werden können. Aktuell ist es so, dass in Deutschland circa zwei Drittel des Gemüses und drei Viertel des Obstes aus dem Ausland importiert werden, oft unter fragwürdigen Bedingungen angebaut, zum Transport in Plastik verpackt und hier relativ billig in Supermärkten angeboten.

Damit sich jedoch alle Menschen eine nachhaltige Ernährung mit regionalen Produkten aus kontrolliert ökologischem Landbau leisten können und die Landwirt*innen faire Preise für ihre Erzeugnisse erhalten, sind auch strukturelle Veränderungen ganz wesentlich.

Erstens wären ein ermäßigter Mehrwertsteuer-Satz oder auch Subventionen für nachhaltige, pflanzliche, regionale Bio-Produkte hilfreich bei der Agrar- und Ernährungswende. Nicht nachhaltige Produkte müssten teurer sein, damit sich ihre wahren sozial-ökologischen Kosten auch im Ladenpreis widerspiegeln und sie weniger gekauft werden.

Zweitens wäre eine Veränderung der Agrarsubventionen und die Förderung der ökologischen, regenerativen Landwirtschaft wichtig. Aktuell werden in Deutschland nur circa 11 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ökologisch bewirtschaftet – das ist deutlich zu wenig. Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, diesen Anteil bis 2030 auf 30 Prozent zu erhöhen. Es bleibt spannend zu beobachten, ob und wie dieses Ziel innerhalb der nächsten fünfeinhalb Jahre erreicht wird.

Drittens bräuchte es eine Überprüfung und Veränderung der Dominanz der Lebensmittel-Einzelhandels-Konzerne, so dass Lebensmittel-Erzeuger*innen auch nachhaltig wirtschaften können und faire Preise erhalten. Damit einher geht die Stärkung regionaler Kreisläufe, um auch kleinere Betriebe zu fördern und weite Transportwege zu verringern.

Viertens ist es zentral, weniger Lebensmittel wegzuwerfen: Mit einer Reduktion von Lebensmittelabfällen und einer Umstellung auf eine eher pflanzenbasierte Ernährung stünde also auch viel mehr Fläche für ökologischen Landbau zur Verfügung, weil weniger Futtermittel zur Viehhaltung erzeugt werden müssten.

Nachhaltigere Gemeinschaftsverpflegung

Darüber hinaus steckt in der Gemeinschaftsverpflegung viel Potential: Bei einer Umstellung des Angebotes auf eine fleischreduziertere Ernährung und preislichen Veränderungen könnten auch Bildungs- und Pflegeeinrichtungen sowie Kantinen leichter gesunde, ausgewogene und nachhaltige Gerichte anbieten. Da sich beobachten lässt, dass der Fleischkonsum in Deutschland langsam etwas zurückgeht und die Nachfrage nach pflanzlichen Lebensmitteln steigt, wäre auch in der Gemeinschaftsverpflegung eine höhere Akzeptanz für ein fleischreduziertes Angebot zu erwarten. Gleichzeitig ließe sich über eine Anpassung der beruflichen Ausbildung im gastronomischen Bereich viel erreichen. Dort könnte verstärkt Wert auf die Erzeugung vegetarischer und veganer Gerichte gelegt werden, um zu demonstrieren, dass diese schmackhafte Alternativen zu Currywurst und Schnitzel sein können. Spannend ist, dass in dem ZDF-Beitrag über ein Krankenhaus in Berlin berichtet wird, das den Großteil seiner Gemüse-Versorgung durch die Erzeugnisse eines solidarischen Landwirtschaftsbetriebes aus der Nachbarschaft deckt. Auch für Kindergärten und Schulen kann das Konzept funktionieren. Aber was steckt hinter dem Begriff solidarische Landwirtschaft?

Das Ziel des [pane]-Projektes ist es, die sozialen, ökonomischen und ökologischen Effekte solidarischer Landwirtschaft in strukturschwachen, ländlichen Regionen zu erforschen.
Das Ziel des [pane]-Projektes ist es, die sozialen, ökonomischen und ökologischen Effekte solidarischer Landwirtschaft in strukturschwachen, ländlichen Regionen zu erforschen. Shutterstock/BearFotos

Solidarische Landwirtschaft als ein Ansatz für regionale Lebensmittelversorgung

Für eine solidarische Landwirtschaft – auch SoLawi genannt – schließen sich Landwirt*innen bzw. Gärtner*innen mit einer Verbrauchergemeinschaft (SoLawi-Mitglieder) zusammen. Am Anfang jedes Jahres legt der SoLawi-Hof einen finanziellen Richtwert für das Wirtschaftsjahr fest, der notwendig ist, um die Verbrauchergemeinschaft wöchentlich mit frischem Gemüse zu versorgen. Eine SoLawi-Mitgliedschaft dauert meist ein Jahr und man zahlt einen monatlichen Beitrag für einen wöchentlichen Ernteanteil. Mit den Beiträgen aller SoLawi-Mitglieder kann der SoLawi-Hof die Kosten für nachhaltigen Gemüseanbau, Arbeitsentgelte und Hoferhalt für ein Jahr decken. Der Hof kann seine Erzeugnisse ohne Zwischenhändler vermarkten und die SoLawi-Mitglieder wissen genau, wo ihre Lebensmittel herkommen und wie sie angebaut werden. Das Besondere an SoLawi ist, dass die Mitglieder ihre Gemüsegärtner*innen nicht nur finanziell durch den Beitrag für den Ernteanteil unterstützen: Mithelfen ist bei den meisten SoLawis gern gesehen, beispielsweise auf dem Acker, bei organisatorischen Tätigkeiten wie Transport, Verwaltung, Hoffesten oder Öffentlichkeitsarbeit. Auch wenn sich SoLawis untereinander in ihrer Organisation unterscheiden können, sind sie meist zu einem gewissen Grad partizipativ.

In der Forschung im Rahmen des [pane]-Projektes beschäftigen mein Team und ich uns mit den sozialen, ökonomischen und ökologischen Effekten von solidarischer Landwirtschaft in ländlichen Regionen Ostdeutschlands. Ein Blog-Beitrag dazu folgt bald und bis dahin stehen wir gern für Fragen zur Verfügung.

Weiterführende Informationen: