Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Ländlicher Raum – Pionier der Energietransformation?

28.10.2024

Dajana

Dajana Auerswald

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Katharina Beste

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Jörg Müller (Enertrag) stellt den Windwärmespeicher vor
Jörg Müller (Enertrag) stellt den Windwärmespeicher vor.

Die Gemeinde Uckerland im nördlichen Brandenburg setzt ganz auf erneuerbare Energien und gilt als Region mit Vorbildfunktion. Am 8. Oktober schaute eine Gruppe von Forschenden des RIFS sich diesen “begehbaren Ort der Energiewende” an und tauschte sich mit Vetreter:innen der Gemeinde, der Stadtwerke und der Lokalpolitik aus.

Erneuerbare Energien sind unentbehrlich für die Energiewende. Dennoch läuft der Ausbau der Stromnetze sowie die Schaffung effizienter Speichertechnologien dem raschen Zubau von Wind- und Solarenergieanlagen hinterher. Das führt dazu, dass in Regionen mit hoher Windkraftkapazität, wie der nördlichen Uckermark in Brandenburg, an besonders windigen Tagen ein Überangebot an Strom entsteht. Das Netz kann den überschüssigen Strom nicht effizient abtransportieren, deshalb müssen Windkraftanlagen abgeschaltet werden, um Netzüberlastungen zu vermeiden.

Die Gemeinde Uckerland hat hier gemeinsam mit dem Energieunternehmen Enertrag eine innovative Lösung gefunden. Im Jahr 2021 wurde dort ein Windspitzenwärmespeicher installiert, der die lokale Wärmeversorgung sicherstellt. 

Eine Delegation der Forschungsgruppe “Demokratisches Regieren und Handeln” vom RIFS erkundete bei ihrem Ortsbesuch folgende Fragen: Welche Potentiale birgt der ländliche Raum für die Energiewende und welche Herausforderungen sind damit verbunden? Wie können Bürger:innen in den Gemeinden an den Energie-Projekten beteiligt werden und welche politischen Hürden ergeben sich dabei?

Die Forschungsgruppe "Demokratisches Regieren und Handeln" untersucht die Transformation zur Klimaresilienz, indem sie die Voraussetzungen für Nachhaltigkeitstransformationen, Mechanismen politischer Teilhabe und die Gestaltung von Klima- und Energiepolitiken analysiert.

Nutzen statt Abregeln 

Bürgermeister Matthias Schilling ermöglichte es der RIFS-Delegation um Forschungsgruppenleiterin Dr. Franziska Mey, die Gemeinde Uckerland zu besuchen und sich ein Bild über die Region und deren Vorzeigeprojekt zu verschaffen. Begrüßt wurde die Gruppe in der Gemeindeverwaltung Lübbenow von Herrn Schilling mit einer kurzen Präsentation zur Gemeinde, den Windenergie- und Wärmeprojekten sowie zukünftigen Vorhaben zur Klimaneutralität. In einem anschließenden Austausch stand das Thema Energiegerechtigkeit und der faire Ausgleich zwischen Kosten und Nutzen für die ländliche Bevölkerung in der Energiewende im Fokus. Obwohl Uckerland so viel Strom produziert, werden in der Region auf Grund hoher Netzentgelte bundesweit mit die höchsten Strompreise gezahlt. 

Uckerland ist mit einer Siedlungsdichte von 15 Einwohner:innen pro Quadratkilometer (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2024) im Vergleich zum bundesdeutschen Durchschnitt, welcher bei 233 liegt (Stand 2021. Deutschlandatlas), extrem dünn besiedelt. 87 Prozent der Fläche werden landwirtschaftlich genutzt, während nur 2,3 Prozent bebaut sind.

In Uckerland sind 9 Prozent der Fläche als Windeignungsgebiete ausgewiesen. Windkraftanlagen prägen das Landschaftsbild – in diesem Jahr wurde die 100. Anlage eingeweiht. Allerdings befinden sich sämtliche Anlagen in privater Hand, sodass weder die Gemeinde noch die örtliche Bevölkerung direkt von der Wertschöpfung profitieren. 
Seit 2021 ermöglicht der „Abregelstrom“ des benachbarten Windfelds Nechlin die Grundlage für eine innovative Lösung. An besonders windigen Tagen, wenn der erzeugte erneuerbare Strom nicht vollständig ins Stromnetz eingespeist werden kann, wird der Überschuss in eine Power-to-Heat-Anlage umgeleitet. Diese Anlage versorgt ein dezentrales Nahwärmenetz, an das etwa 40 Haushalte und damit 90 Prozent der Gesamtbevölkerung angeschlossen sind, mit kostengünstiger Wärme. Die Bürger:innen können somit im Jahr zwischen 1.000 und 1.500 Euro pro Haushalt an Wärmekosten einsparen. Der Bürgermeister betont, dass in einer strukturschwachen Region wie Uckerland vor allem ein finanzieller Mehrwert für die Bevölkerung entscheidend sei, um die Akzeptanz der erneuerbaren Energien zu fördern.

Jörg Müller, Aufsichtsratsvorsitzender des lokalen Energiebetreibers Enertrag, betonte im Gespräch, dass den Bürger:innen kostengünstige Wärme sowie Mobilität am Herzen liegen. Die Anlage zeige exemplarisch einen Weg hin zur Energiegerechtigkeit.

 

Der Speicher besteht aus einem großen Wassertank mit einem Fassungsvermögen von einer Million Liter, welcher in der Hauptheizzeit die Versorgung bis zu 14 Tage abdeckt. Kommt es zu einem Überschuss an dem durch Windenergie produzierten Strom, wird dieser zur Erwärmung des Wassers im Tank genutzt und somit in Wärme umgewandelt. Verteilt wird dieses Warmwasser über ein Wärmenetz, welches bereits Jahre zuvor angelegt und mittels eines Holzhackschnitzelkessels betrieben wurde. 

Wenn es nach Bürgermeister Schilling geht, würde dieses Modell auch in anderen Ortsteilen seiner Gemeinde Schule machen. Jedoch war für die Realisierung des Nechliner Windwärmespeichers eine rechtliche Sonderregelung nötig. Denn nach den geltenden Bestimmungen des EEG werden im Abregelfall die verlorenen Windenergiemengen vollständig entschädigt. Wird jedoch dieselbe Energie zur lokalen Wärmeversorgung genutzt, entfällt nach Ansicht der Bundesnetzagentur die Entschädigung und es wird die EEG-Umlage fällig. Dadurch würde die Anlage für den Betreiber bzw. die Anwohner:innen unrentabel.

Diese Gesetzgebung verhindert somit aktuell die Installation weiterer Wärmespeicher in den Nachbarorten, die aufgrund der großen Distanz zwischen den elf Ortsteilen der Gemeinde nicht vom Nechliner Wärmenetz profitieren können. Bei der Begehung des Speichers erhielt das Team weitere Informationen von Jörg Müller. Die Speicheranlage ist dauerhaft für Besucher*innen auch ohne Führung begehbar. Der gläserne Bau um das Heizkraftwerk gewährleistet eine zusätzliche Transparenz durch die Einsehbarkeit der Technologie.

Gläserner Bau des Heizkraftwerkes.
Gläserner Bau des Heizkraftwerkes

Der Preis als Kommunikationsstrategie

Während einer kurzen Stärkung wurde die Runde durch Roland Klatt und Tobias Kersten, Bürgermeister und Klimaschutzmanager der Gemeinde Nordwestuckermark, Annett Hartwig – Amtsdirektorin des Amts Brüssow, sowie Wenke Möllhoff, Landwirtin auf dem Pflanzenhof Fichtner, ergänzt. 

Anschließend präsentierte der Geschäftsführer der Stadtwerke Prenzlau Harald Jahnke die Geo- beziehungsweise Hydrothermie-Vorhaben in Prenzlau. In der darauffolgenden Diskussionsrunde tauschten wir uns über zentrale Punkte der Energiewende in der ländlichen Region, der Bürger:innenbeteiligung sowie deren Chancen und Hürden aus, wobei ein Aspekt besonders hervorstach: “Man kann so viel über Transformation reden, [aber] was für uns Uckermärker zählt, ist der Preis” - Ein Zitat der Landwirtin, welches den Kern der Debatte auf den Punkt bringt. Wie bereits erwähnt, erhöht Geld die Akzeptanz von Erneuerbaren Energien. Ein Teilnehmer erwähnte, dass die Kommunikation mit den Bürger:innen daher über den Preis, statt über die Energiewende erfolgen sollte, da Nachhaltigkeit im Alltag nicht so stark greifbar ist wie günstige Mobilität oder Wärmeversorgung. Die Preisentwicklung wird auch als Hürde innerhalb des nachhaltigen Transformationsprozesses erlebt.

Zwischen Politik und Energiewende

Abschließend interessierte die Forschenden des RIFS insbesondere das veränderte politische Klima durch das Erstarken der AfD in der Region. Dies wird von den Beteiligten differenziert erlebt. Während Harald Jahnke von den Stadtwerken Prenzlau berichtete, dass in Bezug auf das Thema Geothermie fraktionsübergreifend an einem Strang gezogen werde, berichtete Bürgermeister Klatt von einem geschlossenen Auftreten der AfD-Fraktion in der Gemeindevertretung, um die Neuausweisung von Photovoltaik-Freiflächen zu verhindern. Generell herrscht in der Diskussion ein politischer Unmut bezüglich wechselnder und uneindeutiger Entscheidungen des Bundeswirtschaftsministeriums insbesondere beim Heizkostengesetz vor, welches die Bürger:innen verunsichere und die lokalen Energieunternehmen im Kund:innenkontakt vor kommunikative Herausforderungen stelle. Insgesamt wünschen sich alle Beteiligten eine sachliche Debatte, bei welcher Unternehmen und Energiefachleute eine führende Rolle einnehmen.

Der Ausflug nach Uckerland hat uns gezeigt, dass der ländliche Raum eine bedeutende Rolle für die Energiewende spielt und hier bereits mit innovativen Projekten, wie dem Windspitzenwärmespeicher, vorangeht. Die Anlage in Nechlin darf jedoch kein Pionierprojekt bleiben. Weitere sind notwendig, um die Bürger:innen an der Wertschöpfung des Ausbaus von Wind und Solar zu beteiligen – dies ist noch zu selten der Fall und verhindert eine positive Identifikation mit ihrer Gemeinde als Ort der Energiewende. Spürbare finanzielle Anreize führen dazu, dass nachhaltige Projekte unterstützt werden, auch wenn Nachhaltigkeit und Transformation dabei nicht als überzeugende Argumente in der Kommunikation zum Tragen kommen. 

Der Wassertank des Windspitzenwärmspeichers.
Der Wassertank des Windspitzenwärmspeichers

Literatur:

Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (2024): Statistischer Bericht. Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsstand im Land Brandenburg Juni 2024. URL: https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/a-i-7-a-ii-3-a-iii-3-m [zuletzt 22.10.2024].

Deutschlandatlas (2021): Bevölkerungsdichte: Deutschland auf Platz 6 der dichtest besiedelten Länder in Europa. URL: https://www.deutschlandatlas.bund.de/DE/Karten/Wo-wir-leben/006-Bevoelkerungsdichte.html#_gw46qki21 [zuletzt 21.10.2024].

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