Regionaler Mehrwert durch finanzielle Beteiligung an der Energiewende?!
29.10.2024
“Wandel verhandeln – nachhaltig in Brandenburg” ist ein Podcast über den Wandel Brandenburgs zu einer nachhaltigen und gerechteren Gesellschaft. Darin greifen wir und unsere Kolleginnen und Kollegen Konflikte in verschiedenen Transformationsfeldern auf, rücken aber auch positive Folgen und neue Ideen der Transformation in den Mittelpunkt und lassen Betroffene sowie Verantwortliche zu Wort kommen. Die nun erschienene Folge hat die Sonderabgabe Windenergie zum Thema.
Der vollständige Umbau unseres Energiesystem von fossilen auf erneuerbare Energiequellen ist ein wichtiger Eckpfeiler der Nachhaltigkeitstransformation. Windkraft hat sich als der bedeutendste Energieträger etabliert, weit vor Kohle und anderen fossilen Brennstoffen. Im ersten Halbjahr 2024 betrug der Anteil der erneuerbaren Energien an der gesamten inländischen Stromproduktion 61,5 Prozent, wobei die Windenergie allein 33 Prozent ausmachte (destatis 2024). Allerdings bedarf es eines weiteren Ausbaus um die Klimaziele zu erreichen.
Windenergie: Zentrale Rolle in Brandenburgs Energiewende
Windenergie spielt auch eine zentrale Rolle in Brandenburgs Energiewende. In einigen ländlichen Regionen Brandenburgs stehen bereits heute eine Vielzahl von Windkraftanlagen – welche den Transformationsprozess für die Anwohner:innen direkt spürbar machen. Tatsächlich hat sich in den vergangenen Jahren viel lokaler Unmut über den Ausbau breit gemacht. Denn obwohl es eine große Zustimmung für den Ausbau von Erneuerbare Energien gibt (SNB 2023), werden die konkreten Auswirkungen wie beispielsweise landschaftliche Veränderungen vor allem von der ländlichen Bevölkerung getragen, die oft nur wenig von den Entwicklungen profitieren kann.
Dem zu begegnen wurde im Juni 2019 auf Landesebene eine spezielle Abgabe für neue Windenergieanlagen eingeführt. Das Windenergieanlagenabgabengesetz (kurz BbgWindAbgG) verpflichtet Betreibende zur Zahlung einer jährlichen Sonderabgabe an Kommunen im Umkreis von drei Kilometern (flächenanteilig) in Höhe von 10.000 EUR. Das Ziel der Landesregierung ist es, Kommunen einen zusätzlichen lokalen Mehrwert durch den weiteren Ausbau von Windenergie zu schaffen und somit den gesellschaftlichen Rückhalt vor Ort zu steigern. Neben der verpflichtenden Sonderabgabe in Brandenburg hat die Bundesregierung im Rahmen des Erneuerbaren Energiengesetzes (EEG 2023 - §6) eine freiwillige Zahlung in Höhe von 0,2 Cent pro Kilowattstunde des erzeugten Stroms aus Wind und Solarenergieanlagen für die betroffenen Standortkommunen bestimmt.
In jedem Fall ist mit diesen Regelungen die Hoffnung verbunden, dass die finanzielle Beteiligung von Kommunen zu einer positiveren Wahrnehmung, mehr lokaler Akzeptanz und letztlich einer Beschleunigung des Erneuerbare Energien-Ausbaus führt. Tatsächlich ergab eine aktuelle Befragung unter Bürgermeister:innen, dass die Aussicht auf finanzielle Einnahmen ein wichtiger Treiber für Kommunen ist, lokale Erneuerbare Energien Projekte voranzubringen (Initiative Klimaneutrales Deutschland, IKND2024). Diese zusätzlichen Mittel sind für die betroffenen, oft überschuldeten oder mit begrenzten Mitteln ausgestatteten Kommunen bedeutend, da sie (teilweise sogar zweckungebunden) für vielfältige Verwendungen eingesetzt werden können, etwa die Aufwertung von Ortsbild und ortsgebundener Infrastruktur, die Förderung kommunaler Veranstaltungen oder die Unterstützung von Vereinen und sozialer Infrastruktur allgemein.
RIFS erforscht, wie finanzielle Beteiligungsmodelle wirken
Das Team der RIFS-Forschungsgruppe „Demokratisches Regieren und Handeln“ hat sich zum Ziel gesetzt, die Wirkung solcher finanzieller Beteiligungsmodelle genauer zu erforschen. Diese Untersuchung ist Teil weiterer Erhebungen, unter anderem im BePart-Projekt, in dem die Effekte von Beteiligung in Energieprojekten quantifiziert werden.
Für den Podcast sind wir mit unterschiedlichen Akteuren ins Gespräch gekommen, um zu erfahren welche Möglichkeiten und Herausforderungen sich mit der Umsetzung dieser rechtlichen Regelung ergeben.
Ein zentraler Punkt in der Diskussion mit lokalen Vertreter:innen war das Spannungsverhältnis von regionalem Mehrwert, lokaler Akzeptanz und einer beschleunigten Energiewende. So betont Annett Hartwig, Amtsdirektorin des Amtes Brüssow, einer kleinen Kommune in der Uckermark: „die Bürger müssen mitgenommen werden. Und es muss […] etwas hier bleiben, dort wo die Windräder stehen. Unbedingt!“
Tatsächlich sind in vielen Regionen Brandenburgs die Windenergieanlagen und auch die entsprechenden Flächen in privater Hand. Das heißt, dass der Mehrwert für die breitere lokale Bevölkerung oder Kommune nur sehr gering ausfällt oder nicht spürbar ist. Was die Menschen vor Ort allerdings wahrnehmen ist eine verfallende Infrastruktur, Schulen und Kindergärten schließen. Hier kann die finanzielle Beteiligung der Kommune etwas Abhilfe schaffen. Jedoch sind erst in diesem Jahr erstmals Gelder an die Kommunen geflossen sodass die bisherigen Erfahrungen noch begrenzt sind.
Allerdings verdeutlichen verschiedene Beispiele aus den Regionen bereits, wie regionaler Mehrwert geschaffen wird und proaktives Handeln Erfolg verspricht. Jens Hinze, ehrenamtlicher Bürgermeister der Kommune Mühlenfließ (s. Foto), stellt ein besonderes Flächenpachtmodell für 22 Windkraftanlagen in seiner Region vor. Hierdurch erhalten alle Grundstückseigentümer im Eignungsgebiet (auch diejenigen auf denen die Anlage nicht stehen) einen Anteil an der Pacht und es wird sichergestellt, dass die Erträge gerecht vor Ort verteilt werden, ohne dass es zu einer Bevorzugung einiger weniger Eigentümer kommt. Zudem wurde die Bürgerstiftung Schlalach (2010) gegründet, welche mit Erträgen der Windkraftanlagen finanziert wird und gemeinnützige Projekte wie Jugendarbeit, Seniorenbetreuung und die Unterstützung örtlicher Vereine fördert. Hinze betont insbesondere das gemeinschaftliche Handeln, dass diesem Model den Weg geebnet hat: „und sich die Eigentümer denn zusammengesetzt haben und gesagt haben, na, wir wollen halt ein gemeinschaftliches Thema daraus machen.“
Ein anderes Modell zur regionalen Wertschöpfung kommt aus dem Norden des Landes und wurde von Uckerlands‘ Bürgermeister Matthias Schilling (s. Foto) vorgestellt. Dafür ist die Forschungsgruppe nach Nechlin gereist, einem kleinen Ort in Uckerland – fast Mecklenburg-Vorpommern. Mit einer innovativen Lösung haben hier der Windkraftanlagenbetreiber und die Kommune neue Wege beschritten, um einen Mehrwert für die Bevölkerung zu schaffen und die Akzeptanz für den Windausbau zu stärken. 2021 wurde ein sogenannter Windwärmespeicher in Betrieb genommen, der überschüssigen „Abregelstrom“ der angrenzenden Windkraftanlagen (also Strom, der aus Kapazitätsgründen nicht ins Netz eingespeist werden kann) in eine Power-to-Heat-Anlage leitet, welche ein dezentrales Nahwärmenetz speist. Rund 40 Haushalte profitieren von kostengünstiger Wärme und können so bis zu 2000 Euro pro Jahr sparen. Der Bürgermeister wünscht sich, dass dieses Modell aus Nechlin in anderen Teilen von Uckerland Schule macht und durch die Sonderabgabe Wind finanziert wird. Schilling betont, dass es in strukturschwachen Regionen besonders um einen finanziellen Nutzen für die Bevölkerung gehen sollte.
Gerechte Verteilung von Kosten und Nutzen
Eine gerechte Verteilung von Kosten und Nutzen ist eines der wesentlichen Leitmotive in den Gesprächen. Insbesondere da die Brandenburger bundesweit mit die höchsten Strompreise zahlen, welche hohen Netzentgeltkosten durch den Ausbau von Erneuerbaren Energien geschuldet ist. Diese und andere Herausforderungen gilt es im Rahmen der Energiewende im ländlichen Raum zu adressieren. Wir konnten feststellen, dass finanzielle Beteiligung im Windenergieausbau neue Gestaltungsspielräume für Kommunen schaffen kann.
Allerdings ist es kein Allheilmittel. Es bleibt abzuwarten, welche konkreten Wirkungen die Sonderabgabe oder auch die EEG Regelung (§6) entfalten. Wir haben gehört, dass die Menschen vor Ort sich wünschen, über die Entwicklungen rechtzeitig informiert und aktiv in Entscheidungen einbezogen zu werden. Vertrauen und Transparenz spielen hierbei eine ebenso wichtige Rolle wie die finanziellen Anreize. Nur so können nachhaltige und gerechte Lösungen für die Herausforderungen der Energiewende im ländlichen Raum gefunden werden.