Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Wie Potsdam den Straßenraum neu denkt

14.10.2024

Dr. Erika von Schneidemesser

Dr. Erika von Schneidemesser

erika [dot] von [dot] schneidemesser [at] rifs-potsdam [dot] de
Alexandre Caseiro

Dr. Alexandre Caseiro

alexandre [dot] caseiro [at] rifs-potsdam [dot] de
Eine Luftqualitäts-Messstation in Potsdam
Eine Luftqualitäts-Messstation in Potsdam

Wandel verhandeln – nachhaltig in Brandenburg” ist ein Podcast über den Wandel Brandenburgs zu einer nachhaltigen und gerechteren Gesellschaft. Darin greifen wir und unsere Kolleginnen und Kollegen Konflikte in verschiedenen Transformationsfeldern auf, rücken aber auch positive Folgen und neue Ideen der Transformation in den Mittelpunkt und lassen Betroffene sowie Verantwortliche zu Wort kommen. Die heute erschienene Folge hat nachhaltige Mobilität zum Thema.

Zu einer nachhaltigeren Gestaltung der Städte gehört auch eine Mobilitätswende. Eine Abkehr von der individuellen Fahrzeugnutzung hin zu Mobilitätsoptionen, die nicht nur für uns, sondern auch für die Umwelt gesünder sind. Es gibt unzählige Gründe, eine Mobilitätswende anzustreben. Als Luftqualitätsforschende liegt einer unserer Schwerpunkte auf der Verbesserung der Luftqualität und damit auf dem Schutz der menschlichen Gesundheit. Doch die Mobilitätswende verspricht mehr als nur saubere Luft. Die Reduzierung des Individualverkehrs kann Verkehrsunfälle und Lärmbelästigung verringern, Platz für lebenswertere Städte schaffen, die soziale Interaktion fördern und sogar Stress abbauen. Eine Reihe von Städten in ganz Europa machen Fortschritte in dieser Richtung - Paris mit seinem „Code de la Rue“, Barcelona mit den Superblocks und Berlin mit dem Mobilitätsgesetz. Aber es sind nicht nur die großen Städte: Auch kleinere Städte müssen handeln und sind schon mitten im Veränderungsprozess. Hier in Potsdam begleiten wir die Umsetzung einer Maßnahme des größeren politischen Konzepts "Innenstadt – Straßenräume neu denken!". In dieser Podcast-Folge stellen wir verschiedene Beteiligte und Aktivitäten vor, die Teil dieser Reise sind.

Eine der Hauptideen des Konzeptes der Stadt Potsdam ist es, einen Teil der derzeit für Parkplätze genutzten Flächen umzuwidmen und für andere Zwecke zu nutzen, sei es für Restaurants, lokale Geschäfte, Fußgänger oder den Radverkehr. In der Folge unterstreicht Bernd Rubelt, Beigeordneter für Stadtentwicklung, Bau, Wirtschaft und Umwelt, die Dringlichkeit des Projekts:

“Dadurch, dass die Stadt historisch stark geprägt ist und auch nicht so stark in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg verändert wurde, gibt es sozusagen einen intakten historischen Stadtgrundriss. Der trifft auf eine wachsende Bevölkerung. Und das spielt sich fast ausschließlich auf dem Thema Mobilität und Wohnungsmarkt ab. Und die Mobilität ist sozusagen die Kern-Herausforderung für so eine Stadt wie Potsdam.“ 

Bernd Rubelt (Stadt Potsdam, l.) und Alexandre Caseiro (RIFS)
Bernd Rubelt (Stadt Potsdam, l.) und Alexandre Caseiro (RIFS)

Im Rahmen der Erarbeitung des Gesamtkonzepts wurde eine Reihe von Workshops durchgeführt, bei denen die Anwohner ihre Ideen einbringen konnten. Auch wenn dies ein Schritt in die richtige Richtung ist, gibt es doch einige große Hürden für wesentliche Änderungen, die ausreichen, um die Emissionen spürbar zu verringern. Es ist unwahrscheinlich, dass die Abschaffung einiger Parkplätze zu einer wesentlichen Verringerung des Autoverkehrs führen wird. Potsdam hat sich in seinen Plänen das Ziel gesetzt, ein "autoarmes Stadtzentrum" zu schaffen, nicht ein autofreies. In dem Planungsdokument heißt es: "Ziel dieser konzeptionellen Überlegung ist die Erreichung einer Flächengerechtigkeit durch weniger Autos und mehr Räume für alle, aber nicht die kurzfristig vollständig autofreie Innenstadt." Die Abschaffung einiger Parkplätze hier und da ist positiv und kann sich möglicherweise positiv auf die Atmosphäre des Stadtzentrums auswirken, je nachdem, wie sie umgenutzt werden und wie viele Parkplätze wegfallen, aber sie bleibt weit hinter dem zurück, was für nachhaltige Städte erforderlich ist. Die Auswirkungen auf den Gesamtverkehr in einem Gebiet sowie auf Lärm und Luftqualität dürften minimal und bestenfalls hyperlokal sein. Leider gab und gibt es auch keine Pläne, diese Endpunkte a priori quantitativ zu bewerten, abgesehen von dem sehr kleinen Teil, den wir begleiten.

Mit unseren Forschungsarbeiten wollen wir mögliche Veränderungen auf der Grundlage von Messungen der Luftqualität und des Verkehrsaufkommens in einer der Straßen, in denen Änderungen vorgenommen werden, quantifizieren. Dazu gehört die Quantifizierung der Situation vor und nach der Änderung sowie die Integration der Messdaten mit Hintergrundinformationen. Wie wir im Podcast besprechen, verwenden wir kleine Sensoren zusammen mit Daten von Monitoringstationen, um eine solche Maßnahmen zu bewerten, da Monitoringstationen groß und teuer sind und nicht überall vorhanden sein können. Wir haben dies in ähnlichen Szenarien in Berlin getan, wo wir die Umsetzung von mobilitätsbezogenen Maßnahmen begleitet haben, um die Auswirkungen auf die Luftqualität zu quantifizieren. So verringerte beispielsweise die Umverteilung des Straßenraums auf dem Kottbusser Damm zur Schaffung einer geschützten Fahrradspur die Belastung der Radfahrer durch Stickstoffdioxid um etwa 20 %, während die Fußgängerzone in der Friedrichstraße die Stickstoffdioxidkonzentrationen auf das Niveau des allgemeinen städtischen Hintergrunds reduzierte. Sonst sind auf solch stark befahrenen Straßen häufig höhere Konzentrationen zu beobachten. Zuvor war dies auch bei der Friedrichstraße der Fall. Obwohl diese Veränderungen für die örtliche Bevölkerung und die Menschen, die sich in dem Gebiet aufhalten oder mit dem Fahrrad durchfahren, von Vorteil sind, wurden sie alle als sehr lokal und ohne breiteren Einfluss auf die Luftqualität der Stadt eingestuft und hatten kaum Auswirkungen auf die Feinstaubkonzentrationen. 

Um weitergehende Ergebnisse zu erzielen und die Gesundheit angemessen zu schützen, muss noch viel mehr getan werden. Die Überarbeitung der Luftqualitätsrichtlinie macht deutlich, dass die Städte noch viel zu tun haben, um die menschliche Gesundheit angemessen zu schützen. Dazu gehört auch die Nutzung des motorisierten Individualverkehrs in städtischen Gebieten, die gerade hier in Deutschland ein politisch brisantes Thema ist. In den Interviews, die für diesen Podcast in Potsdam geführt wurden, werden beide Seiten dieser Medaille deutlich. Die Mitarbeiterin einer Apotheke formulierte die Vor- und Nachteile deutlich: Sie finde es einerseits gut, dass keine Autos mehr fahren, andererseits sehe sie auch die Schwierigkeiten, die einige Kundinnen und Kunden dadurch haben: „Es ist auch nicht so toll für die Schmerzpatienten, weil die jetzt einfach weiter laufen müssen, die können hier nicht gut parken. Meistens wartet man auch länger als eine halbe Stunde bei einem Arzt und kann deswegen die Kurzzeitparkplätze auch nicht nutzen, weil die ja auch oft belegt sind und auch einfach ja eine halbe Stunde begrenzt sind.“ 

Nach derzeitigem Stand der Dinge wird es wahrscheinlich einen einflussreichen Fürsprecher oder eine Graswurzelbewegung brauchen, die die Öffentlichkeit für sich gewinnen kann, um eine Veränderung zu erreichen, die sinnvoll, fair und sozial verantwortlich ist.

Installation der Luftqualitätssensoren
Installation der Luftqualitätssensoren
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