Sichere Räume in unsicheren Umgebungen – Förderung von Dialog und Reflexion auf der UN-Klimakonferenz
13.11.2024
In unserer kürzlich erschienenen Publikation „Safe Spaces in Unsafe Environments - Experiences from COP26 About Hosting Inclusive Spaces for Deep Encounters and Reflection“ (Sichere Räume in unsicheren Umgebungen - Erfahrungen von der COP26 über die Einrichtung von inklusiven Räumen für tiefgreifende Begegnungen und Reflexion) fassen wir unsere Erfahrungen zusammen, wie sich Räume gestalten und fördern lassen, die „sicher genug“ sind für einen fruchtbaren Dialog und eine gute Zusammenarbeit bei der UNFCCC-COP. Zwei wichtige Beobachtungen sind, dass der Aufbau von Beziehungen die Qualität der Diskussionen in diesen Räumen erheblich vertiefen kann und dass die Anerkennung der Unsicherheit eines Raums dazu beiträgt, mehr Sicherheit zwischen den Menschen zu schaffen.
Komplexe Herausforderungen erfordern die Zusammenarbeit vieler Disziplinen und Perspektiven in transdisziplinären Prozessen. Die Forschungsgruppe „Transformative Räume und Denkweisen“ (TranS-Mind) erforscht Strukturen, Denkweisen und Praktiken („transdisziplinäres Prozesswissen“), die es Gruppen von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen ermöglichen, konstruktiv zusammenzuarbeiten, Wissen zu integrieren und Probleme zu lösen. Eine zentrale Dimension dieser Forschung ist die Frage, wie Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und potenziell divergierenden Standpunkten oder Interessen dabei unterstützt werden können, vertrauensvoller Beziehungen aufzubauen als Grundlage für eine mögliche spätere Zusammenarbeit.
Die UNFCCC-Klimakonferenzen (COPs) gehören zu den wichtigsten globalen Foren für die internationale Zusammenarbeit im Bereich der Nachhaltigkeit. Auf ihnen kommen Zehntausende Expert*innen und Interessenvertreter*innen aus der ganzen Welt zwei Wochen lang zusammen, um sich mit den Herausforderungen der globalen Erwärmung auseinanderzusetzen. Parallel zu den politischen Verhandlungen findet ein Programm von Side Events statt. Während diese üblicherweise als eine Abfolge von Frontalvorträgen oder Panels mit wenig Interaktion zwischen Referent*innen und Teilnehmenden angelegt sind, veranstaltet das RIFS seit 2018 einen „Ko-kreativen Reflexions- und Dialograum“ (CCRDS) auf diesen Konferenzen.
Die Formate innerhalb des CCRDS zielen darauf ab, den Teilnehmenden zu helfen, Beziehungen für gegenseitiges Lernen im Bereich des Klimaschutzes aufzubauen und ihren Sinn für die eigene Handlungsfähigkeit zu stärken. Die Sessions des CCRDS beinhalten eine Vielzahl von Formaten, die auf verschiedenen Methoden aufbauen, darunter Kreisdialoge, Systemaufstellungen, Meditationen und Praktiken aus der Tiefenökologie oder dem psychodynamischen Coaching. Die Autorinnen und Autoren der neuen Publikation kommen aus unterschiedlichen Disziplinen, Altersgruppen und kulturellen Hintergründen - von den Naturwissenschaften bis zur Psychologie, von Aktivistinnen und Aktivisten bis zur Wirtschaft und öffentlichen Verwaltung. Sie reflektieren und fassen zusammen, was sie durch die Moderation dieser Formate gelernt haben.
Ein Ausgangspunkt für unsere Erkenntnisse war, dass die Teilnehmenden zu den CCRDS-Formaten oft mit einer Menge aufgestauter Frustration kamen, die sich aus dem subjektiven Erleben einer dysfunktionalen Kommunikationskultur bei der COP ergaben. Viele hatten Ungerechtigkeiten oder Übergriffigkeiten oder generell einen Mangel an Zuhören und Kreativität erlebt. Ein zentrales Anliegen der Moderation war es daher, die Sitzungen so zu beginnen, dass die Teilnehmenden von ihrer Frustration (und oft auch ihrer Kritik an der COP insgesamt) in eine konstruktive Beziehung zu den anderen Teilnehmenden übergehen konnten. In der Regel wurde recht viel Zeit in kleineren Gruppen (typischerweise Duos oder Trios) oder in Stille verbracht, um im Raum „anzukommen“ und sich zu öffnen für Begegnungen mit Menschen, die sich von der Kultur distanzieren, die am Veranstaltungsort der COP als vorherrschend empfunden wurde. Diese Phase des Ankommens beinhaltete oft Praktiken wie die Verbindung mit dem eigenen Körper (z. B. Atem oder körperliche Empfindungen) oder Praktiken zum Aufbau persönlicher Beziehungen (z. B. das Erzählen von Geschichten über den Ursprung und die Bedeutung des eigenen Namens). Diese Praktiken halfen dabei, Bedingungen zu schaffen, unter denen die Teilnehmenden bereit waren, in der notwendigen Ruhe substanziellere Themen zu diskutieren, einander zuzuhören und konstruktiv auf den Kommentaren und Beiträgen der anderen aufzubauen.
Die Autorinnen und Autoren setzen sich auch kritisch mit den Zwängen auseinander, denen die Moderatorin oder der Moderator in diesem und ähnlichen Kontexten ausgesetzt ist. Bei den Klimakonferenzen zum Beispiel wurden die Sitzungen in einem nach zwei Seiten hin offenen Raum abgehalten und waren daher häufig von verschiedenen Störungen (Hintergrundgeräusche, Unterbrechungen usw.) betroffen. Viele der Autorinnen und Autoren berichteten, dass eine Achtsamkeitspraxis (z. B. eine kurze Meditation über Hintergrundgeräusche, anstatt einfach zu versuchen, diese zu ignorieren) den Teilnehmenden half, sich auf das Gespräch zu konzentrieren und weniger empfänglich für Störungen zu sein. Es wurde auch deutlich, dass es der Sicherheit des Raums und der Teilnehmenden, die zuvor Zeit damit verbracht hatten, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen, abträglich sein kann, wenn Teilnehmende mitten in der Sitzung in das Gespräch einsteigen. Personen, die zu spät kamen, brachten oft genau den mentalen Zustand in das Gespräch ein, den die anderen Teilnehmer zuvor „hinter sich lassen“ konnten. Da die Sitzung so inklusiv wie möglich sein sollte, experimentierten die Moderatorinnen und Moderatoren mit verschiedenen Praktiken, die es den Teilnehmenden ermöglichten, in bestimmten Phasen der Sitzung in das Gespräch einzusteigen, ohne das Empfinden von Schutz und Sicherheit zu beeinträchtigen.
Eine der vielversprechendsten Lehren aus den CCRDS-Experimenten war die Erfahrung, dass Menschen mit sehr unterschiedlichem kulturellem Hintergrund während unserer Sitzungen vertrauensvolle Beziehungen aufbauen konnten. Trotz ihrer oft gegensätzlichen Standpunkte waren Menschen aus verschiedenen Ländern und Regionen der Welt in der Lage, eine Verbindung zueinander herzustellen, die ein gegenseitiges Verständnis und einen konstruktiven Austausch ermöglichte - eine Fähigkeit, die im Kontext der Klimakonferenzen oft nicht als selbstverständlich angesehen wird.
Mit der in diesem Artikel vorgestellten Arbeit möchten die Autor*innen andere Forschende und Interessenvertreter dazu ermutigen, neue Formen des Engagements und der Kommunikation außerhalb ihrer „Komfortzone“ oder ihrer beruflichen Ausbildung zu erkunden. Obwohl die COP ein anspruchsvoller Veranstaltungsort ist und nicht unbedingt einladend ist für relationale Ansätze und tiefere Begegnungen der Art, wie sie von den Autorinnen und Autoren verfolgt wurden, wurden die in diesem Artikel beschriebenen Experimente subjektiv als eine sehr sinnvolle Art und Weise erlebt, sich mit anderen Stakeholdern auf der COP auseinanderzusetzen.
Die seit der Initiierung des CCRDS gesammelten Erkenntnisse haben zu einem systematischeren Verständnis von transdisziplinärem Prozesswissen beigetragen. Sie flossen beispielsweise auch in die Entwicklung neuer Kommunikationsformate wie dem FONA-Forum des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ein oder in die Zusammenarbeit mit anderen wichtigen Akteuren der transdisziplinären Wissenschaftslandschaft (bspw. der Volkswagenstiftung). Auf Basis der Ergebnisse dieser Praxis und Forschung wurde mittlerweile ein Trainingskurs entwickelt für andere Akteure, die ähnliche Praktiken in ihrer Arbeit anwenden wollen, insbesondere in politisch herausfordernden Umgebungen.
Link:
Bruhn, T. et al. (2024). Safe Spaces in Unsafe Environments—Experiences from COP26 About Hosting Inclusive Spaces for Deep Encounters and Reflection. In: Regeer, B.J., Klaassen, P., Broerse, J.E.W. (eds) Transdisciplinarity for Transformation. Palgrave Macmillan, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-031-60974-9_7