Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Von Kriegern und Helden – die Gruppendynamik der UN-Klimakonferenzen

25.11.2024

Thomas Bruhn

Dr. Thomas Bruhn

thomas [dot] bruhn [at] rifs-potsdam [dot] de
Ist die UN-Klimakonferenz ein Schlachtfeld, auf dem sich Verhandler wie Krieger gebärden?
Ist die UN-Klimakonferenz ein Schlachtfeld, auf dem sich Verhandler wie Krieger gebärden?

Von Thomas Bruhn und Jeremy Dommnich

Kurz vor Beginn der aktuellen UNFCCC COP29 in Baku ist unser neuer Artikel erschienen, in dem wir die Dynamik der COP-Verhandlungen aus einer gruppendynamischen Perspektive heraus beschreiben. Auf der Basis teilnehmender Beobachtungen vor Ort bei der COP28 in Dubai und Interviews mit Verhandlerinnen und Verhandlern analysieren wir darin wesentliche gruppendynamische Strukturen und bieten Denkanstöße, wie sich diese auf die Kommunikation auswirken. Wir schlagen vor, informelle Formate klarer moderativ zu strukturieren, damit COP-Teilnehmende in einen ehrlichen Austausch kommen und Partikularinteressen überwinden.

Methodologisch arbeitet sich der Artikel von der selbstreflexiven Beschreibung der Gesamterfahrung bis hinunter zu den „kleinsten“ Formaten der Veranstaltung, wobei entlang dieser Achse einige Schwierigkeiten identifiziert werden.  
Einer der Aspekte, die die COP28 historisch machten, war die enorme Anzahl Teilnehmender (ca. 80.000). Ein Phänomen, das uns besonders auffiel, waren regressive Tendenzen. Damit werden Abwehrreaktionen beschrieben, durch die sich Menschen vorübergehend auf eine frühere Stufe ihrer Persönlichkeitsentwicklung mit einfacheren Verhaltens- und Beziehungsmustern zurückziehen. Wie stark die regressiven Tendenzen in einer solchen Mega-Veranstaltung sind, wird z.B. deutlich, wenn ein erfahrener aktiver Teilnehmer aus dem politischen Sektor von einem „Schlachtfeld“ spricht, auf dem sich „keine Verhandler, sondern nur Krieger“ befinden.

In diesem Sinn kann die starre Struktur der Plenarsitzung in ihrer gruppendynamischen Funktion als sogenannte „Regressionsbremse“ verstanden werden, welche die Austauschmöglichkeiten zwischen den einzelnen VerhandlerInnen auf einen distanzierten Wortaustausch begrenzt, um zu verhindern, dass regressives Verhalten den Umgang untereinander dominiert. Während die starre Struktur der Plenarsitzungen so die Regression verhindert, kommt diese in informellen, also wenig bis gar nicht strukturierten Begegnungen stark zum Ausdruck. Insgesamt zeichnet sich für uns ein widersprüchliches Bild zwischen eindrucksvollem individuellem Einsatz und Fürsorge für den Planeten bei einer gleichzeitigen Atmosphäre von Resignation, Frustration und Misstrauen.

Auf der Basis unserer Untersuchungen sehen wir einen wichtigen Grund für diesen Widerspruch in der Art und Weise, wie Teilnehmende miteinander in den Austausch kommen – oder eben nicht. Insbesondere unter Beachtung der Emotionalität, Komplexität und Dringlichkeit der Verhandlungen ist die Interaktion zwischen und das Befinden von den VerhandlerInnen essenziell für einen inklusiven und vertrauensbauenden Prozess. Wie stark diese Verbindung zwischen der Qualität des Ergebnisses und der Qualität des Prozesses ist, zeigte kürzlich die 16. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt, wo nach 24 Stunden intensiver Debatte letztlich die Erschöpfung und Abwesenheit der VerhandlerInnen einen Konsens verhinderten. Solche Beobachtungen unterstützen die zentrale These des Artikels, dass Klimaverhandlungen nicht nur aus ergebnisorientierter und natur- und politikwissenschaftlicher Sicht betrachtet und gestaltet werden müssen, sondern auch aus einer prozessorientierten sozialpsychologischen bzw. gruppendynamischen Sicht.

Aus diesem Blickwinkel sind die interessantesten Formate die sogenannten „informellen“ und „informell-informellen“ Treffen, die wir im Artikel näher beschreiben. Hier zeigen unsere Untersuchungen auf, wie die Bereiche, wo VerhandlerInnen noch als Personen wirksam sein können, derzeit ohne ausreichende Strukturierung zur Förderung der Kommunikationsqualität ablaufen. Dennoch sind es genau diese informellen Momente, in denen der meiste Fortschritt und das Ringen um konkrete Formulierungen stattfindet. Diese Gegebenheit trägt zur Überforderung insbesondere kleiner Länder (mit weniger Personal vor Ort) und der Vernachlässigung „leiser“ Stimmen bei. Die Länder des globalen Südens bleiben so in dem Spagat zwischen Klimaauswirkungen in ihrer Heimat und mangelndem Personal vor Ort in kleinen Handlungsspielräumen gefangen.

Eine große Verantwortung für diese Formate identifizieren wir bei den jeweiligen Vorsitzenden, daher setzen unsere Empfehlungen bei diesen Schlüsselfiguren an. Zum einen empfehlen wir, gruppendynamische Kompetenzen zu stärken und Formate zum persönlichen Beziehungsaufbau einzuführen. Dies kann z.B. geschehen durch die Integration von regelmäßigen Phasen in semi-strukturierten Kleingruppengesprächen zur Emotionsregulation und Wissensintegration. Zum anderen muss auch im Vorfeld der Konferenzen eine Vorbereitung stattfinden, die über das Inhaltliche hinaus Hilfestellungen zum inneren Balanceakt zwischen individuellen Bedürfnissen, Repräsentation von staatlichen Interessen und kollektivem Handlungsdrang bietet.

Abschließend appellieren wir auch daran, dass es auch „zu Hause“ eine ernsthafte Debatte geben sollte, wen „wir“ auf die COP schicken und mit welchem Auftrag. Wenn die COP tatsächlich weiterhin ein Schlachtfeld zum Austragen von staatlichen Individualinteressen bleiben soll, dann ist es nur konsequent, wenn wir „Kriegerinnen und Krieger“ dorthin schicken. Wenn die COP jedoch der Ort sein soll, wo Menschen mutig kollektive Verantwortung übernehmen für eine planetare Herausforderung, dann brauchen wir dort nicht nur menschenfreundliche Strukturen, sondern auch Menschen mit den entsprechenden zwischenmenschlichen Kompetenzen und der Fähigkeit, ehrlich miteinander in Kontakt zu kommen, um Wege zu finden, die über ihre Partikularinteressen hinausgehen. Womöglich brauchen wir dafür so etwas wie „globale Heldinnen und Helden“.

Dommnich, J.J.R., Bruhn, T. On psychosocial group dynamics during multilateral conference negotiations: experiences from COP28. Gr Interakt Org (2024). https://doi.org/10.1007/s11612-024-00772-2
 

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