Energiewende und Demokratie – was braucht es vor Ort?
10.12.2024
Brandenburg hat das Ziel, bis spätestens 2045 klimaneutral zu wirtschaften und zu leben. Der Weg dahin kann nur erfolgreich sein, wenn ihn die Menschen vor Ort unterstützen. Wie können Strategien zur Nachhaltigkeit verhandelt und umgesetzt werden? Im RIFS-Podcast „Wandel verhandeln. Nachhaltig in Brandenburg“ suchen wir Antworten. Heute erscheint die sechste Folge, in der Ausschnitte aus einer Podiumsdiskussion zum Podcast-Launch zu hören sind.
Wir hatten den Journalisten Olaf Sundermeyer (rbb), den Politiker Michael Knape (Bürgermeister der Stadt Treuenbrietzen) und die Wissenschaftlerin Franziska Mey (Forschungsgruppenleiterin am RIFS) eingeladen, über die Rolle von Transparenz, Austausch und Beteiligung für die Transformation zu sprechen. Die Moderation übernahm unsere Kollegin Victoria Luh. Sie formulierte gleich zu Anfang, was viele im Publikum seit den Landtagswahlen am 22. September 2024 wohl ohnehin beschäftigte: Inwieweit hat die Nachhaltigkeitspolitik dazu beigetragen, dass 29,2 Prozent der Brandenburgerinnen und Brandenburger die AfD gewählt haben? Und wie schaffen wir es jetzt, einen Pfad zu finden, der für alle gangbar ist?
Gedrückte Stimmung
Die Ausgangslage ist schwierig. Denn die Zuversicht, dass sich das Land Brandenburg „in die richtige Richtung“ entwickelt, schwindet. Das zeigt der Brandenburg-Monitor 2024, eine repräsentative Bevölkerungsbefragung. 2020 beantworteten noch 66 Prozent der Befragten die Frage positiv, jetzt sind es nur noch 52 Prozent. Zu der schlechten Stimmung hätten sicher auch Diskussionen über die Transformation zur Nachhaltigkeit beigetragen, sagte Victoria Luh: „Wir denken an den Kohleausstieg, wir denken an das Heizungsgesetz, das sind alles Themen, die haben die Bevölkerung teilweise ziemlich wütend gemacht, teilweise ein bisschen ideenlos gemacht, die haben auf jeden Fall eine Unsicherheit hervorgerufen.“ Bei der Wahl habe die AfD von dieser Verunsicherung profitiert.
Allerdings gab es auch Orte, die sich dem Trend widersetzten, zum Beispiel der Ortsteil Feldheim der Gemeinde Treuenbrietzen. Dort gibt es einen Windpark (123 MW), ein Regelkraftwerk (10 MW), eine Biogasanlage, eine Holzhackschnitzelheizung sowie ein Nahwärmenetz. Feldheim ist energieautark, gilt als Energiewende-Vorreiter. Die Anlagen entstanden nach und nach: Schon 2008 gründeten die Bürgerinnen und Bürger dafür gemeinsam mit der Stadt eine GmbH & Co. KG, sozusagen ihr eigenes kleines Stadtwerk. Heute zahlen sie für Energie nur etwa halb so viel wie der Rest der Republik. Auch die Wahlergebnisse unterscheiden sich: Die SPD erfreut sich in Feldheim ungebrochener Popularität, die Ergebnisse der AfD liegen deutlich unter dem Brandenburger Durchschnitt.
Vertrauen aufbauen, Zeit nehmen
Für den Treuenbrietzener Bürgermeister Michael Knape liegt der Erfolg der Energiewende in seinem Ort vor allem an zwei eng verknüpften Faktoren: Vertrauen und Zeit. Damit Vertrauen entstehe, brauche es viele kleine Schritte. „Wenn wir sozusagen mit der Idee oder mit dem Produkt von heute an den Start gegangen wären, das hätten wir nicht hingekriegt, das wäre viel zu weit weg von der Vorstellungskraft gewesen“, sagte er. Ganz allmählich entstand in Feldheim die Versorgung mit erneuerbaren Energien. Die Bevölkerung dafür zu gewinnen, sei mit der Zeit immer einfacher gewesen: „Weil man irgendwo schon so eine Vertrauensbasis hatte: ‚Die werden schon wissen, was die da machen‘.“
Ihm sei völlig klar, dass die Zeit dränge. Aber die Menschen bräuchten auch mal „Luft zum Durchatmen“. Sonst entwickelten sie eine Abwehrhaltung, die sich auch in den Wahlergebnissen widerspiegle.
Bürgerbeteiligung: Wer ist der Schnellste?
Welche Rolle die Bürgerbeteiligung aus wissenschaftlicher Sicht für eine erfolgreiche Transformation zur Nachhaltigkeit spiele, wollte die Moderatorin von Franziska Mey wissen. Eine ganz entscheidende, sagte die Politikwissenschaftlerin – allerdings sei die Wahl des geeigneten Beteiligungsformates wichtig. „Ein wichtiger Aspekt, und das zeigt auch die Forschung, ist, dass man sehr, sehr früh in die Kommunikation geht. Also, dass im Prinzip auch über Projekte nicht nur berichtet wird, sondern dass man die Leute auch abholt.“ Mittlerweile gebe es eine Vielzahl an erprobten Methoden, zum Beispiel „Visionen-Workshops“, bei denen die Teilnehmenden gemeinsam ein Konzept für die Zukunft ihrer Region entwickeln, oder Bürgerräte, bei denen eine Gruppe von zufällig ausgewählten Teilnehmenden mit ganz unterschiedlichen Ansichten in den Dialog geht.
Die Krux mit der Beteiligung: „Das macht die AfD auch, und zwar sehr professionell“, so Olaf Sundermeyer. In den letzten fünf Jahren habe die Partei in dieser Hinsicht einen deutlichen Qualitätssprung gemacht und sie handle zudem noch schneller als andere. „Es gibt so ein paar Themen, wo sie sofort so eine Kampagne auspacken kann, das Flüchtlingsthema natürlich, aber Windkraft auch. Sobald sie auch nur ansatzweise spürt, also da ist irgendwo etwas geplant und gibt es Protest, dann knüpft sie sofort an und entfaltet das in einer Direktheit und Schnelligkeit, wo ich mir dann die Frage stellen würde, kommen die anderen Akteure eigentlich in ähnlicher Schnelligkeit dagegen an?“ Zuletzt habe die AfD in diesem Wettbewerb oft vorne gelegen.
Die „unsozialen Medien“
Ein Problem sei auch die Schwäche der traditionellen Medien, sagte Michael Knape. Viele Menschen erhielten Informationen aus unseriösen Quellen im Internet, vor allem aus den „unsozialen Medien“. Es sei nicht einfach, dem etwas entgegenzusetzen.
Seine Gemeinde engagiere sich stark für die Gedenkkultur und Demokratieförderung, etwa mit Gesprächsrunden über die Geschichte des Ortes und dem bereits seit 2005 existierenden Schülerparlament an der Gesamtschule Treuenbrietzen. Doch die Ergebnisse seien manchmal enttäuschend. So organisierte die Schule kurz vor der Wahl ein Speed-Dating mit den Direktkandidaten des Wahlkreises. Das Ergebnis der folgenden U-16-Wahl war nach so viel Information für Knape dann ein Schock: „Wir haben uns riesig erschrocken, dass 46 Prozent der Schülerinnen und Schüler an unserer Gesamtschule bei diesen blauen Typen da das Kreuz gemacht haben.“ Den Weg, Jugendliche anzuhören, ihnen Plattformen zu bieten, ihre Meinung ernst zu nehmen, sei dennoch der richtige, sagte Knape. Es brauche aber mehr engagierte Akteure.
Verhaltene Hoffnung: der „Windeuro“
Zumindest für die Energiewende war die Stadt Treuenbrietzen mit ihrem Weg erfolgreich: Die finanzielle Beteiligung der Feldheimer Bürgerinnen und Bürger habe entscheidend dazu beigetragen, deren Zustimmung zum Ausbau der Anlagen zu sichern, sagte Knape.
Seit 2020 fördert das Land Brandenburg den Betrieb von Windenergieanlagen zusätzlich mit der Sonderabgabe Windenergie. Die Einnahmen sollen für akzeptanzfördernde Maßnahmen verwendet werden, zum Beispiel zur Förderung von Veranstaltungen, sozialen Aktivitäten oder Einrichtungen, die der Kultur, Bildung oder Freizeit dienen. Auch Ortsbild oder Infrastruktur könnten damit verbessert werden. Dieser sogenannte „Windeuro“ wird zum 1. Januar 2026 erhöht. (Die Sonderabgabe Windenergie ist Gegenstand der dritten Folge unserer Podcastserie.)
Angst vor Veränderung
Bislang habe das Gesetz nur eine begrenzte Wirkung gezeigt, sagte Franziska Mey. „Nichtsdestotrotz denke ich schon, dass das eine Möglichkeit ist, hier einen Mehrwert lokal zu schaffen und zu zeigen, dass diese Anlagen einfach auch Geld in der Fläche lassen können.“ Insofern sei es ein Schritt in die richtige Richtung.
Wenn der Windeuro ein Erfolg ist, wird er die demokratischen Parteien stärken? Olaf Sundermeyer äußerte Zweifel: „Ich habe den Eindruck, die Inhalte der AfD sind identitär, da geht es nicht um Geld. Die wirtschaftliche Komponente spielt nach meinem Gefühl keine bis eine untergeordnete Rolle bei der Wahlentscheidung von Menschen. Es geht um etwas Identitäres, um die Frage: ‚Wie will ich leben?‘.“ In den Antworten vieler Menschen spiele die Angst vor Veränderungen eine große Rolle.
Den „Wandel verhandeln“ – mit Wissen, Mut und einer neuen Fehlerkultur
Wie können wir den „Wandel verhandeln“? Das fragt unser Podcast, und die Podiumsdiskussion zum Podcast-Launch lieferte vielfältige Inspiration zu diesem Thema. Die Bundespolitik müssen den Kommunen mehr zutrauen, sagte Michael Knape, sie müsse es wagen, „wirklich Experimentierräume zuzulassen, nicht immer alles sofort in irgendeine Regel zu gießen und zu sagen, also da brauchen wir jetzt ein Gesetz dafür.“ Kleinere Kommunen bräuchten mehr personelle Ressourcen, um zum Beispiel Förderanträge stellen zu können.
Aus Sicht der Wissenschaft sei eine sorgsame Wahl der Beteiligungsmethode wichtig, sagte Franziska Mey. Je nach Ausgangslage und Zielsetzung eigneten sich verschiedene Ansätze. Olaf Sundermeyer forderte von Lokalpolitikerinnen und -politikern Mut und Authentizität: Die Sorge vor der AfD dürfe nicht dazu führen, dass sie sich „in vorauseilendem Gehorsam“ an Klimaschutzprojekte gar nicht mehr herantrauten.