„Technologieoffenheit“ taugt nicht im Fall von CCS
25.03.2025

Auch wenn es im Wahlkampf nur wenig thematisiert wurde – die kommende Regierung wird klimapolitische Weichen stellen. Das Wahlprogramm der CDU/CSU propagiert „Technologieoffenheit.“ Das bedeutet aber in erster Linie, notwendige politische Entscheidungen zu vertagen und Emissionsreduktionen zu verzögern. Ein Knackpunkt ist Carbon Capture and Storage.
In den späten Nullerjahren schickten sich die Kohleunternehmen RWE und Vattenfall an, in Deutschland Kohlendioxid aus Industrieemissionen abzuscheiden und unterirdisch zu speichern. Die von 2005 bis 2009 regierende Große Koalition hatte bereits einen Gesetzesentwurf ausgearbeitet, um Carbon Capture and Storage (CCS) zu ermöglichen.
Doch vor allem nahe den geplanten Speicherstätten kam es zu erheblichem Widerstand gegen die Technologie. Zusammen mit strategischen Fehlern der Unternehmen und einem weitgehenden Desinteresse anderer Branchen ließ eine aktivistische Kampagne, die durchaus auch mit übertriebenen Gefahreneinschätzungen arbeitete, CCS in der Versenkung verschwinden. Politisch war mit CCS nichts mehr zu gewinnen. Den erneuerbaren Energien gehört im Strombereich die Zukunft, Kohlestrom mit CCS ist keine Option mehr. CCS war damit erledigt.
Doch die Ampel-Regierung hat CCS wieder aus der Versenkung hervorgeholt. Robert Habeck, der sich in seiner Zeit als Landespolitiker in Schleswig-Holstein noch gegen CCS ausgesprochen hatte, war plötzlich unter dem Konzept des „Carbon Management“ dafür. Aus den Zukunftsszenarien des Weltklimarats war CCS ohnehin nie verschwunden. So gut wie alle Modellrechnungen, die gemäß dem Pariser Klimaabkommen von 2015 eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius erzielen, enthalten CCS.
Hoffnung auf „negative Emissionen“
Möglicherweise können durch CCS schwer vermeidbare Emissionen reduziert werden, etwa aus der Kalk- und Zementindustrie. Eventuell können auch „negative Emissionen“ erreicht werden, wenn man CCS mit der Erzeugung von Bioenergie oder mit der Direktabscheidung von Kohlendioxid aus der Umgebungsluft koppelt. Dann ließen sich nicht nur Emissionen vermeiden, man könnte der Atmosphäre auch CO2 entziehen.
Vor diesem Hintergrund hatte sich die Ampelregierung bereits aufgemacht, eine „Carbon Management-Strategie“ mit Fokus auf CCS und die Nutzung von Kohlendioxid als Industrierohstoff zu formulieren. Auch hat sie eine „Langfriststrategie Negativemissionen“ zum Umgang mit unvermeidbaren Restemissionen in die Wege geleitet und damit begonnen, eine Novellierung des 2012 in Kraft getretenen Kohlendioxidspeicherungsgesetzes umzusetzen. Nachdem Bruch der Ampel im Herbst 2024 wurden diese Prozesse in der abgelaufenen Legislaturperiode aber nicht mehr zu Ende geführt.
Die unvollendete Politik der Regierung passt sich in die ambivalente klimapolitische Bilanz der Ampel ein. Zwischen 2021 und 2024 sanken die Treibhausgasemissionen in Deutschland von 762 Millionen Tonnen jährlich auf circa 656 Millionen Tonnen, also um 14 Prozent. Dies ist vor allem auf den Ausbau der erneuerbaren Energien im Stromsektor zurückzuführen, neben einer schwachen Konjunktur. Die Emissionsreduktionen in den Bereichen Landwirtschaft, Gebäude und Verkehr sind ungenügend. Nicht zuletzt deswegen hat die Ampel-Regierung die verbindlichen Sektorenziele gestrichen und das Klimaschutzgesetz der Vorgängerregierung aufgeweicht.
Der Nachweis steht noch aus
Doch welche Perspektiven gibt es für die Klimapolitik der neuen Bundesregierung? Im Wahlprogramm von CDU und CSU, die aller Voraussicht nach die kommende Regierung gemeinsam mit der SPD führen werden, wird häufig der Begriff der Technologieoffenheit verwendet. Es solle keine politische Festlegung auf bestimmte Technologien erfolgen. Stattdessen sollten auch Technologien in Betracht gezogen werden, die noch entwickelt werden müssten.
Deren Umsetzbarkeit ist jedoch mit großen Unsicherheiten behaftet, wie etwa CCS in seinen verschiedenen Varianten. Denn CCS funktioniert zwar in den Modellwelten der Computersimulationen, ob es aber auch in der Praxis in hinreichend großem Maßstab umsetzbar ist, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Die Kapazität aller CCS-Anlagen weltweit beträgt derzeit lediglich 0,045 Gigatonnen Kohlendioxid pro Jahr. 80 Prozent des abgeschiedenen Kohlendioxids wird für sogenannte tertiäre Ölgewinnung genutzt, es wird also in Ölfelder verpresst, um mehr Öl zu fördern.
Etwa 70 Prozent der geplanten CCS-Projekte, die bis 2020 hätten anlaufen sollen, wurden nicht realisiert. Dennoch soll eine enorme „Carbon Management“-Industrie geschaffen werden, die neue Infrastrukturen für die Abscheidung, den Transport und die Speicherung von Kohledioxid errichten müsste. Das ist für manche Unternehmen von Interesse, ist aber nicht unbedingt im Sinne der Nachhaltigkeit, zumal ohnehin bereits neue Stromnetze, -speicher und Wasserstoffinfrastrukturen gebaut werden sollen.
CCS im Verzögerungsdiskurs
Wissenschaftler um William Lamb, der heute am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung arbeitet, haben den Technologieoptimismus, der im Konzept der Technologieoffenheit angelegt ist, bereits im Jahr 2020 als Verzögerungsdiskurs (discourse of delay) identifiziert. Immer dann, wenn lieber auf spekulative Zukunftstechnologien vertraut wird, anstatt klare politische Entscheidungen zu treffen, droht es zu Verzögerungen bei der Emissionsreduktion zu kommen.
Auf CCS gemünzt heißt das, dass es eine klare und fokussierte Anwendungsperspektive für bestimmte Sektoren und Verfahren geben sollte, die den Unsicherheiten und Risiken, die mit der Technologie verbunden sind, Rechnung trägt. Das ist aber das Gegenteil des von der CDU/CSU propagierten technologieoffenen Ansatzes. Das Ziel, 2045 nur so viel Kohlendioxid zu emittieren, wie aus der Atmosphäre entfernt wird, kann nur mit klaren politischen Weichenstellungen erreicht werden. Will die zukünftige Bundesregierung entschlossenen Klimaschutz betreiben, müssten Verzögerungstaktiken wie das Verweisen auf spekulative Zukunftstechnologien ad acta gelegt werden.
Dieser Artikel erschien zuerst am 24. März 2025 im Tagesspiegel Background Energie & Klima.