Supraleitung
08.08.2017
Der Ausbau erneuerbarer Energiequellen wird in den kommenden Jahrzehnten entscheidend dazu beitragen, unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren und unser Energiesystem nachhaltiger zu gestalten. Allerdings wird Strom aus erneuerbaren Energien vor allem dort erzeugt, wo diese reichlich vorhanden sind: Windenergie auf dem offenen Meer und Solarenergie in sonnenreichen Gegenden – weit entfernt also von den Verbrauchszentren. Daher macht der Ausbau der erneuerbaren Energien die Verlegung neuer Leitungen nötig. In Deutschland ist die Erweiterung der Stromnetze eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg der Energiewende. Doch die derzeitigen technischen Möglichkeiten, Strom über lange Strecken zu transportieren, weisen Mängel auf. Gibt es eine bessere Technologie für das Stromnetz der Zukunft? Wissenschaftler unseres Institutes und seiner Forschungspartner sprechen sich für den Einsatz von supraleitenden Stromkabeln aus – einer Platz sparenden, kostengünstigen, effizienten und umweltfreundlichen Alternative zu herkömmlichen Kabeln.
Das Phänomen der Supraleitung entsteht, wenn elektrische Leiter auf so niedrige Temperaturen heruntergekühlt werden, dass eine Energieübertragung ohne Widerstandsverluste möglich ist. Dadurch entsteht ein erheblicher Vorteil gegenüber konventionellen Technologien. Bei der Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) durch Oberleitungen etwa liegt der Stromverlust zwischen zwei und fünf Prozent, bei unterirdischen HGÜ-Leitungen beträgt er sogar bis zu zehn Prozent. Eine verlustfreie Energieübertragung verspricht eine erhöhte Rentabilität.
Stromübertragung bei -253˚C
Seit ihrer Entdeckung vor mehr als 100 Jahren sind Supraleiter in verschiedenen Bereichen zur Anwendung gekommen, etwa in der Teilchenbeschleunigung und in medizinischen Bildgebungsverfahren. Neue Forschungsergebnisse haben in den letzten beiden Jahrzehnten den Einsatz von Supraleitern als Energietransportmittel ermöglicht, da Materialien gefunden wurden, die Strom schon bei relativ hohen Temperaturen ohne Widerstand leiten. Aus diesen Materialien wurde das supraleitende Magnesium-Diborid (MgB2), eine kürzlich entdeckte Verbindung, die aus gut verfügbarem Rohmaterial besteht und daher kommerziell hergestellt werden kann. Sie ist preisgünstiger und flexibler als andere Supraleiter. Verglichen mit den teuren, auf Keramik basierenden „Hochtemperatur-Supraleitern“, die eine Betriebstemperatur von 50-70 Kelvin (ca. -200 °C) haben, hat MgB2 eine niedrigere kritische Temperatur, kann jedoch leicht zu Drähten verarbeitet werden, was eine wichtige Voraussetzung für Stromleitungen ist.
Das Kabeldesign basiert auf einer Idee des Nobelpreisträgers und ehemaligen wissenschaftlichen Direktors des IASS (heute RIFS), Prof. Dr. Carlo Rubbia. Es besteht aus einer HGÜ-Leitung, welche anhand eines tiefkalten (kryogenen) Kreislaufsystems mit Wasserstoff oder Helium versorgt wird, um eine Betriebstemperatur von 20 Kelvin (K) (-253˚C) gewährleisten zu können. Das Kabel ist für eine Länge von hunderten oder tausenden Kilometern gedacht und würde eine Kapazität von zehn Gigawatt (GW) oder mehr umfassen. Im Vergleich dazu hat ein gewöhnliches Kernkraftwerk eine Kapazität von ein bis zwei GW.
Kleine Kabel, große Strommengen
Weil sie eine kryogene Isolierung benötigen, werden supraleitende Kabel am besten unterirdisch verlegt. Sie weisen dann dieselben Vorteile auf wie HGÜ-Erdkabel gegenüber Oberleitungen: Vor allem haben sie einen kleineren ökologischen Fußabdruck und stören nicht das Landschaftsbild. Außerdem können Stürme ihnen nichts anhaben, sie erzeugen keinen Lärm und brauchen wenig Platz.
Der entscheidende Vorteil von Supraleitern ist jedoch ihre Größe. Da keine nennenswerte Hitze entsteht, kann ein Großteil des Stroms durch einzelne, kleine Kabel transportiert werden. Unser Team und seine Partnerorganisationen gehen davon aus, dass die Kabelinstallation einschließlich Kühlmantel für ein MgB2-Kabel von vier Gigawatt und einer Länge von 800 Kilometern einen Durchmesser von 30 Zentimetern hat. Es hat somit einen geringeren Platzbedarf als eine unterirdische HGÜ-Leitung mit ähnlicher Kapazität. Noch größer ist der Unterschied zu der Korridorbreite, die für Überlandleitungen benötigt wird. Dies könnte sich hinsichtlich öffentlicher Akzeptanz als entscheidender Faktor erweisen. In Deutschland sorgte beispielsweise die geplante SuedLink-Trasse für Proteste, die Windstrom von Schleswig-Holstein über Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen nach Bayern transportieren soll, wo in den kommenden Jahren mehrere Atomkraftwerke vom Netz gehen. Bürgerinitiativen haben Bedenken wegen elektromagnetischer Felder, sie befürchten einen Wertverlust von Immobilien und eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch die Strommasten.
Supraleiter als kostengünstige Option
Nach ersten Schätzungen, basierend auf Hochrechnungen anhand eines Prototyp-Kabels und Materialkosten, wären MgB2-Leitungen um ein vielfaches günstiger als unterirdisch verlegte HGÜ-Kabel. Möglicherweise können sie sogar mit HGÜ-Oberleitungen konkurrieren.
Der Forschungspartner des RIFS ist die European Organization for Nuclear Research (CERN) in Genf, wo in den vergangenen zwei Jahren Labortests an stetig längeren und leistungsfähigeren Kabeln durchgeführt wurden. Der Durchbruch gelang im Februar 2014, als ein 20 Meter langes, 16 Zentimeter breites Prototyp-Kabel 20 Kiloampere Strom führte und damit einen Weltrekord für einen Supraleiter aufstellte. Dieser Erfolg ist ein wichtiger Schritt im Forschungs- und Entwicklungsprozess und stellt die Weichen für Tests in größerem Maßstab. Das RIFS (damals IASS) hat zu diesem Zweck ein Netzwerk von Stakeholdern wie Forschungseinrichtungen, Kabelherstellern, staatlichen Einrichtungen und Netzbetreibern aus ganz Europa aufgebaut. Der Austausch hilft den Wissenschaftlern besser einzuschätzen, welche Rolle Supraleiter im Stromnetz der Zukunft spielen können und welches die wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen für einen für eine groß angelegte Umsetzung sind. Gemeinsam mit seinen Partnern beteiligt sich das RIFS (damals IASS) am 7. EU-Forschungsrahmenprogramm, in dem ein supraleitendes Prototyp-Kabel gebaut und unter Betriebsbedingungen getestet wird.
Fotos: © CERN