Forschungsinstitut für
Nachhaltigkeit | am GFZ

"Bei so vielen Verkehrstoten müssen wir Klartext reden"

18.03.2025

Das Ziel, die Zahl der Verkehrstoten deutlich zu senken, liegt nach wie vor in weiter Ferne. Das zeigen die jüngsten Statistiken aus der Schweiz, Österreich und Deutschland. Berichtet wird darüber meist sehr distanziert und formelhaft. Jetzt zeigt ein neuer Leitfaden, der unter Mitarbeit von RIFS-Wissenschaftler Dirk von Schneidemesser entwickelt wurde, wie Sprache dazu beitragen könnte, das Bewusstsein für mehr Verkehrssicherheit zu erhöhen.

Illustration Leitfaden Sprachkompass Verkehr
Illustration "Ausradiert" von Julia Weiss aus dem Leitfaden, der sich insbesondere an Polizei und Medien richtet. Der Leitfaden "Unfallsprache - Sprachunfall" soll aber auch dazu beitragen, die Verantwortung aller für die Verkehrssicherheit sprachlich sichtbar zu machen.

2780 Menschen sind im vergangenen Jahr im Straßenverkehr in Deutschland "ums Leben gekommen" – so hat es das Statistische Bundesamt Ende Februar 2025 mitgeteilt. Ähnlich distanziert berichteten die Medien über die Zahl von Verkehrstoten. Wenn ein Mensch im Verkehr stirbt, dann beschreibt man das üblicherweise so: Er erlag seinen Verletzungen, sie zog sich tödliche Verletzungen zu.

Eine kritische Auseinandersetzung mit Formulierungen dieser Art liefert der nun veröffentlichte Leitfaden "Unfallsprache – Sprachunfall". Fachleute aus Linguistik und Sozialwissenschaften des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit (RIFS), des Centre for Development and Environment der Universität Bern und des Instituts für Sprachwissenschaft der Universität Wien sowie Expertinnen und Experten von Polizei, Mobilitätsplanung und Medien haben zahlreiche Unfallberichte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz analysiert. Ihr Befund: Verkehrsunfälle werden meist als schicksalhafte Ereignisse beschrieben. Und fast immer erscheinen sie als isolierte Einzelereignisse.

"Die Art, wie wir über Unfälle sprechen, prägt unser Verständnis von Verantwortung und Prävention", sagt Sprachwissenschaftler Hugo Caviola, der das Projekt geleitet hat. "Polizei und Medien berichten aber oft nur knapp und formelhaft über Verkehrsunfälle, die dadurch als unvermeidlich wahrgenommen werden." Der am Leitfaden beteiligte RIFS-Wissenschaftler Dirk von Schneidemesser ergänzt: „Was nicht erwähnt wird, ist genauso wichtig wie das, was gesagt wird. Nur etwa fünf Prozent der Unfallberichte nennen eine Statistik – und ohne diesen Kontext wirken Kollisionen wie Einzelfälle. Doch bei über 2.500 Toten und insgesamt mehr als 280.000 Verletzten pro Jahr ist klar: Das ist kein Zufall, sondern ein systemisches Problem. Lösungen gibt es längst – sie müssen nur Priorität bekommen."

Ein Leitfaden für eine präzisere Sprache

Der Leitfaden richtet sich insbesondere an Polizei und Medien. Er soll aber auch dazu beitragen, die Verantwortung aller für die Verkehrssicherheit sprachlich sichtbar zu machen.

Dazu gibt er fünf Empfehlungen:

  • Unfälle nicht als Schicksal, sondern als menschengemacht darstellen. Beispiel: "A und B kollidierten" statt "Es kam zum Unfall."
  • Alle beteiligten Personen und deren Handlungen benennen. Beispiel: "Fußgängerin von Velofahrer angefahren" statt "Fußgängerin angefahren".
  • Die Perspektiven der Beteiligten klar kennzeichnen. Beispiel: "Der Autofahrer erklärte, er habe die Fußgängerin übersehen." statt "Der Autofahrer übersah die Fußgängerin."
  • Den Ermittlungsstand transparent machen. Beispiel: "Wie schnell die Autofahrerin unterwegs war, ist nicht bekannt." statt "Die Hintergründe des Unfalls sind Gegenstand der Ermittlungen."
  • Einzelereignisse in einen größeren Zusammenhang stellen. Beispiel: "Das ist die vierte Kollision auf dieser Kreuzung in diesem Jahr."

"Eine präzisere Sprache kann helfen, Verkehrsunfälle als Teil eines veränderbaren Systems zu begreifen – und nicht als schicksalhafte Einzelfälle", so Hugo Caviola. "Denn bei so vielen Verkehrstoten müssen wir Klartext reden."

Der Leitfaden liegt in drei Versionen vor: als ausführliches PDF, als Kurzfassung sowie als Übersichtsblatt – sowohl digital als auch gedruckt.

Der Leitfaden "Unfallsprache - Sprachunfall" ist sofort unter https://sprachkompass.ch/themen/verkehr/sprachunfall-unfallsprache zum Download verfügbar. 
Gedruckte Exemplare können kostenlos per E-Mail an info [at] sprachkompass [dot] ch bestellt werden.

Kontakt

Dirk von Schneidemesser

Dr. Dirk von Schneidemesser

Wissenschaftlicher Mitarbeiter
dirk [dot] vonschneidemesser [at] rifs-potsdam [dot] de
Sabine Letz

M. A. Sabine Letz

Referentin Presse
sabine [dot] letz [at] rifs-potsdam [dot] de
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