Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Die Zukunft von Europas Stromnetzen im Kontext der Energiewende: Technologien und Herausforderungen

14.07.2015

Supraleitfähigkeit

(c) istock/steo1475
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In ganz Europa sind Modernisierung und Ausbau des Stromnetzes zu einer Aufgabe von wachsender Dringlichkeit geworden. Viele Faktoren, wie etwa der wachsende Energiebedarf, erfordern neue Stromleitungen. Vor allem die Integration des wachsenden Anteils erneuerbarer Energien stellt spezifische Anforderungen an das Netz und verlangt zum Beispiel den Bau neuer Leitungen, die Strom aus abgelegenen erneuerbaren Quellen transportieren. Überdies sehen die europäischen energiepolitischen Zielsetzungen den Bau weiterer transnationaler Leitungen vor, um die Verbundfähigkeit zu fördern. Insgesamt müssten nach Schätzungen des Europäischen Netzes der Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) 50.000 Kilometer neue Leitungen bis 2030 gebaut werden. Ein solches Unterfangen wirft zweifellos Schwierigkeiten auf, sowohl im Hinblick auf technologische Optionen, Kosten, Umweltfragen und als auch der Akzeptanz der Öffentlichkeit.

In diesem Kontext organisierte das IASS einen Workshop zum Thema „Technologische Optionen für die Zukunft des europäischen Stromnetzes“, um vorhandene und neu entstehende Technologien zu bewerten und Schritte zu ihrer Entwicklung und Realisierung auszuarbeiten. Wichtige Akteure in diesem Bereich waren bei dem Workshop vertreten: Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E, RTE, 50Hertz), die Regulierungsbehörde (Bundesnetzagentur), Industrie/Entwicklung (ABB, Siemens AG) sowie verschiedene Institute und Verbände (RWTH Aachen, Friends of the Supergrid, TU Darmstadt).

Übertragungskapazitäten in Europa 2030 nach Plänen von ENTSO-E. © ENTSO-E.
Übertragungskapazitäten in Europa 2030 nach Plänen von ENTSO-E. © ENTSO-E.

Netzplanung und neue Technologien

Zu Beginn des Workshops konzentrierten sich die Teilnehmer auf die Frage, wie das künftige europäische Verbundnetz innerhalb des Rahmens derzeitiger Vorhaben definiert und geplant werden kann, wobei auch längerfristige Szenarien berücksichtigt wurden wie das Projekt e-Highway2050 oder das Supergrid-Konzept. Es wurde beleuchtet, wie kompliziert es ist, Trends vorherzusagen und die Netzplanung entsprechend anzupassen. Zum Beispiel hat die beeindruckende Zunahme erneuerbarer Energiequellen in den vergangenen 10 bis 15 Jahren die zuvor gestellten Prognosen bei weitem übertroffen. Ähnlich unvorhergesehene Trends in der Zukunft sind wahrscheinlich und untergraben daher Anstrengungen, Vorhersagen zu treffen und auf lange Sicht zu planen. Die Auswirkungen des möglichen Missverhältnisses zwischen Netzplanung und Realität sind nicht zu unterschätzen und beweisen die Notwendigkeit, sich mit innovativen Technologien zu beschäftigen.

Unter diesen Technologien sind neuere Entwicklungen in der Gleichstromtechnik (direct current, DC) besonders wichtig und könnten den Weg zu neuen Systemen wie dem flexiblen Mittelspannungsgleichstromnetz öffnen. Supraleiter stellen eine weitere vielversprechende neue Technologie dar, die im Fokus eines IASS-Forschungsprojekts steht, das Teil eines EU-FP7-Projekts ist. Alle Workshop-Teilnehmer stimmten überein, dass technologische Entscheidungen Kompromisse fordern – zum Beispiel im Hinblick auf Umweltfolgen – und dass es keine neutralen Technologien gibt.

Das Stromnetz in der Energiewende

Generell müssen der Ausbau des Stromnetzes und die damit verbundenen Herausforderungen im umfassenderen Kontext der Energiewende betrachtet werden, die sich auf nationaler und europäischer Ebene vollzieht. Die künftige Installation des europäischen Verbundnetzes wird nicht allein durch die technologische Entwicklung bestimmt: Diese Frage überschneidet sich mit vielen anderen Dimensionen, von wirtschaftlichen und ökologischen bis hin zu sozialen und politischen Aspekten. Zum Beispiel beeinflussen klimapolitische Zielsetzungen und insbesondere Ziele für den Anteil erneuerbarer Energien das Tempo für die Netzplanung. Und veränderte Methoden und Verhaltensweisen im Energieverbrauch („intelligente Haustechnik“, Elektrofahrzeuge und so weiter) könnten es erforderlich machen, einige Aspekte des Stromnetzes neu zu überdenken.

Öffentliche Akzeptanz und Beteiligung

Vom sozialen Standpunkt sollte die Netzentwicklung – so wie der umfassendere Prozess der Energiewende – die Bürger so weit als möglich direkt einbeziehen. Heute stoßen jedoch Netzausbauprojekte, vor allem wenn es sich um Freileitungen handelt, in den betroffenen Kommunen häufig auf starken Widerstand. Workshop-Teilnehmer betonten deshalb, wie wichtig eine bessere Kommunikation durch Übertragungsnetzbetreiber und andere Akteure sei, aber auch die Grenzen dieser Strategie wurden eingeräumt. Einseitige Kommunikation, vor allem wenn ein Projekt bereits ausgearbeitet wurde, ist kein Ersatz für eine angemessen öffentliche Beteiligung. Noch weiter ging IASS-Exekutivdirektor Klaus Töpfer, der anmerkte, öffentlicher Widerstand sei nicht unbedingt zu fürchten: Er kann vielmehr ein sinnvoller Anstoß sein, über Alternativen nachzudenken und zu neuen, besseren Lösungen zu gelangen. Tatsächlich war öffentlicher Widerstand schon oft ein Katalysator für Veränderungen hin zu mehr Nachhaltigkeit (etwa beim Abfallmanagement in Deutschland).

Folglich arbeiteten die Workshop-Teilnehmer unter verschiedenen Aspekten zu der Frage, wie eine wirksame öffentliche Beteiligung an Netzausbauprojekten gewährleistet werden kann, wobei auch Eigentumsfragen diskutiert wurden. In dieser Hinsicht können interessante Parallelen zwischen der Entwicklung der erneuerbaren Energien in Ländern wie Deutschland und dem Engagement der Bürger gezogen werden, die die Energiewende, auch im finanziellen Sinn, unter anderem als Stromerzeuger selbst in die Hand genommen haben.

Europäische Energiepolitik

Schließlich verdeutlicht die Aufgabe, das künftige Netz zu planen und zu realisieren, beispielhaft die Anforderungen, die mit der Ausgestaltung einer integrierten europäischen Energiepolitik einhergehen. Während die EU nun ihr Projekt einer Energie-Union auf den Weg bringt, stellt sich die Frage, wie die Bemühungen zum Netzausbau koordiniert werden können und wie sie die gesamtstrategischen Zielsetzungen ergänzen sollen. Wie können wir zum Beispiel das unterschiedliche Entwicklungstempo und die verschiedenen Interessen der EU-Länder harmonisieren? Netzausbau ist offensichtlich eine notwendige Komponente der Energiewende: seine erfolgreiche Umsetzung wird maßgeblich dazu beitragen, unsere Klimaschutz- und Sicherheitsziele leichter zu erreichen.

13.07.2015

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