„Es braucht Kooperation, Beteiligung und Vertrauen für die Umsetzung“
19.03.2024
Vor dem Hintergrund der vielen in 2024 stattfindenden Wahlen – rund vier Milliarden Menschen werden weltweit an die Wahlurnen gehen, um über die Politik ihres Landes abzustimmen – hat die fünfte Plenarveranstaltung der Nachhaltigkeitsplattform Brandenburg am Seddiner See stattgefunden. Mehr als 90 Teilnehmende waren vor Ort und nahmen an Diskussionen, Workshops und einem Markt der Möglichkeiten Teil. Weitere 50 Teilnehmende verfolgten die Veranstaltung per Onlineübertragung.
In seiner Eröffnungsrede stellte Landwirtschafts- und Umweltminister Axel Vogel die große Frage voran: Was bedeute Nachhaltigkeit im Super-Wahljahr? Er verwies auf aktuelle Erhebungen wie etwa, dass der Februar 2024 der wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gewesen sei – einem Monat mit einer Durchschnittstemperatur von sechs Grad Celsius, wo es sonst Frost und Minusgrade gab. Im Vergleich zur Zeitspanne zwischen 1961 bis 1990 sei auch das Jahr 2023 ein außergewöhnlich warmes Jahr gewesen. Erschreckt habe im vergangenen Jahr die wissenschaftliche Veröffentlichung, die belegen konnte, dass die sogenannten Klima-Kipppunkte viel schneller eintreten würden als bislang angenommen. Erfreulich sei daher, dass „Brandenburg nun einen Klimaplan hat und damit die erste klimapolitische Gesamtstrategie mit dem Ziel der Klimaneutralität bis spätestens 2045.“ Vogel wertete dies als großen Erfolg – „auch der Zivilgesellschaft, die sich intensiv in die Erarbeitung eingebracht hat. Viele der Maßnahmen sind bereits in der Umsetzung, anderes wollen wir noch angehen.“
Für Vogel sei bei alledem wichtig, dass es wie bei den 17 nachhaltigen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals, SDGs) nicht nur eine einzige gangbare Lösung gebe, sondern mehrere verschiedene und diese nur gemeinsam mit Unterstützung der Zivilgesellschaft erreichbar seien. „Die Beteiligung und Stärkung der Öffentlichkeit bei Klimaschutz und Nachhaltigkeit ist im Klimaplan explizit als Maßnahme benannt; ebenso die Nachhaltigkeitsplattform als Instrument“, sagte Vogel auf Nachfrage. „Doch auch bei den anderen Themenfeldern zähle ich auf das Engagement der Mitglieder der Plattform und lade alle dazu ein, bei der Umsetzung mitzuwirken.“ Und allem voran sehe er immer die Frage stehen: „Wie schaffen wir es, Nachhaltigkeit in der Demokratie zu realisieren?“
Wo steht Brandenburg bei den SDGs im deutschlandweiten Vergleich?
In ihrer Analyse des aktuell erreichten Stands von Brandenburg bei den nachhaltigen Entwicklungszielen im Bundesvergleich zeigte Ira Matuschke vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit, in welchen Bereichen das Bundesland besser als der Bundesschnitt dasteht und in welchen schlechter. So rangiert Brandenburg beispielsweise bei SDG 7 bezüglich des „Anteils erneuerbarer Energieträger am Primärenergieverbrauch“ mit 23,8 Prozent im Jahr 2020 an dritter Stelle im Bundesländervergleich, lediglich Schleswig-Holstein und Thüringen lagen vor Brandenburg. Auch findet sich das Land unter den drei führenden Bundesländern bei der Erhebung von „Nitrat im Grundwasser, 2021, Anteil der Messstellen, an denen der Schwellenwert von 50 mg/l eingehalten wird“. Beim Thema des SDG 3 „Gesundheit und Wohlergehen“ jedoch gehört Brandenburg zu den Ländern mit einer hohen vorzeitigen Sterblichkeit von Männern je 100.000 Einwohner und Einwohnerinnen in 2022. Das Fazit der Wissenschaftlerin: Zwar stehe Brandenburg beim Zustand seiner Wälder, dem Anteil an erneuerbaren Energien und an ökologischer Landwirtschaft besser da als andere Bundesländer, jedoch in den Bereichen Gesundheitsversorgung, Investition in Forschung und Entwicklung und bei der Entwicklung der Treibhausgasemissionen wiederum muss mehr passieren, um die Ziele der Landesnachhaltigkeitsstrategie zu erreichen.
Nachhaltigkeitspolitik ist immer Kooperationspolitik
Die beiden Podiumsdiskussionen des Tages lieferten eine übergeordnete Meta-Ebene: Mit allen gemeinsam umsetzen – und Nachhaltigkeit als wichtige Klammer in unterschiedlichen Nuancen. Da es beim Realisieren der unterschiedlichen Zielsetzungen zu Konflikten komme, müssten Kooperationsformen gefunden werden, die dabei unterstützen, diese Konflikte konstruktiv zu lösen. „Nachhaltigkeitspolitik ist immer Kooperationspolitik“, so Ortwin Renn vom RIFS Potsdam. Die Konflikte müssten über verschiedene Ebenen horizontal und vertikal angegangen werden, um am Ende nicht das eine Ziel auf Kosten anderer Ziele zu erreichen. „Wir müssen die Nebenwirkungen und Wirkungen immer mitbedenken. Dies heißt aber auch, dass es kein Schwarz-Weiß gibt, sondern viele Graustufen. Diese bedürfen der Rechtfertigung, weil es immer wieder vorkommt und vorkommen wird, dass egal was wir politisch kollektiv tun, es zu negativen Ergebnissen kommen kann.“
Dass Nachhaltigkeitspolitik immer eine breit angelegte Beteiligung einer aktiven Zivilgesellschaft erfordere, sei ein weiterer wichtiger Faktor fürs Gelingen der Umsetzung nachhaltiger Ziele. Der oft bemühte Ausdruck, dass die Menschen „mitgenommen“ werden müssten, sei jedoch das falsche Bild von Bürgerinnen und Bürgern. „Sie müssen nicht in einen Zug geschoben werden“, mahnte Wissenschaftler Renn, der die Plenarsitzung ganztägig moderierte – sondern sie sollten den Zug mitsteuern. „Das bedeutet nicht, dass wir unsere repräsentative Demokratie aufgeben“, aber der Gestaltungswille von Bürgerinnen und Bürgern müsse aktiv in die Transformation einbezogen werden. Ein weiterer Faktor sei, so Renn, wie all diese Maßnahmen umgesetzt werden und was vorrangig behandelt werde. „An den Zielen scheitern wir nicht mehr, sondern an der Umsetzung. Dafür braucht es die Kooperation aller Häuser, Ministerien und Institutionen untereinander und die Beteiligung derjenigen, die von der Umsetzung direkt betroffen oder an ihr beteiligt sind.“