Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Gesellschaftliche Spaltung kann EU-Klimapolitik behindern

07.06.2021

Politische Konflikte verlaufen heute oft zwischen denjenigen, die den Bedürfnissen der lokalen oder nationalen Gemeinschaft Priorität einräumen, und solchen mit eher universalistischen Haltungen. Diese Spaltung zwischen „kommunitaristisch“ und „kosmopolitisch“ gesinnten Europäerinnen und Europäern lässt sich laut einer Studie von IASS-Wissenschaftlerin Silvia Weko auch in den Einstellungen zur europäischen Klimapolitik beobachten. Die EU hat einen Spagat zu bewältigen: Sie muss Klimaneutralität erreichen, ohne die gesellschaftlichen Spannungen zu verschärfen.

Die EU muss Klimaneutralität erreichen, ohne die gesellschaftlichen Spannungen zu verschärfen.
Die EU muss Klimaneutralität erreichen, ohne die gesellschaftlichen Spannungen zu verschärfen.

In der politischen Philosophie gelten Kosmopoliten als „Gewinner“ der Globalisierung, Kommunitaristen als „Verlierer“. Solche Gewinne oder Verluste haben eine objektive und eine subjektive Dimension: So kann die Globalisierung aufgrund harter Fakten wie dem Verlust des Arbeitsplatzes als bedrohlich empfunden werden, aber auch aufgrund von Ideologien oder Wertvorstellungen. Der wichtigste subjektive Unterschied ist die Wahrnehmung von Gemeinschaft. Kosmopoliten sehen Gemeinschaft als universell und stellen das Individuen in den Mittelpunkt, während Kommunitaristen Gemeinschaft als Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, oft auch lokal definiert, sehen.

Ideologie ist prägender als Parteipräferenz

Für die Klimapolitik der EU ist diese Spaltung eine Herausforderung. Denn damit der Green Deal, mit dem Europa bis 2050 vollständig kohlenstoffneutral werden soll, umgesetzt werden kann, braucht er ausreichend öffentliche Unterstützung in allen Mitgliedsstaaten. Silvia Weko analysierte Daten aus der European Social Survey, um herauszufinden, wie stark die Spaltungen zwischen kosmopolitischen und kommunitaristischen Europäerinnen und Europäern, die in anderen Politikfeldern wie der Migration zutage treten, in Bezug auf Klima und Energie ausgeprägt sind.

„Die Ergebnisse zeigen, dass die politische Ideologie in hohem Maße auch für die Haltung zur Klimapolitik prägend ist. Sie beeinflusst die Einstellungen zum Klima in allen untersuchten Ländern am stärksten – stärker als die politische Identifikation auf dem Rechts-Links-Spektrum“, sagt die Soziologin. Je kosmopolitischer eine Person eingestellt ist, desto positiver ist ihre Einstellung zum Klimaschutz. Subjektive Aspekte haben bei beiden Gruppen einen größeren Einfluss auf die Einstellung zum Klimaschutz als objektive Gegebenheiten. Im Durchschnitt machen sich die Menschen in osteuropäischen Ländern weniger Sorgen über den Klimawandel als die in westeuropäischen Ländern. Im Vordergrund stehen für sie Energiesicherheit und wirtschaftliche Entwicklung.

Umfragen können klimapolitische Entscheidungen unterstützen

Die EU steht nun vor der Herausforderung, auch die kommunitaristisch gesinnten Europäerinnen und Europäer auf dem Weg zur Klimaneutralität mitzunehmen. Weko sieht dafür bereits gute Ansätze: „Die Europäische Kommission hat betont, dass niemand ‚zurückgelassen‘ werde. Eine konkrete Maßnahme in diesem Sinne ist die Bekämpfung von Energiearmut, die in Osteuropa deutlich verbreiteter ist als in Westeuropa, durch die Renovierung von Sozialwohnungen, Schulen und Krankenhäusern.“ Auch der „Fonds für einen gerechten Übergang“ könne dazu beitragen, besonders stark vom Strukturwandel betroffene Regionen zu unterstützen.
Weko schlägt zudem vor, dass die Europäische Kommission die Einstellungen zur Klima- und Energiepolitik regelmäßig untersucht, am besten mit jährlichen Umfragen, so wie es bereits heute bei den Themen Integration und Migration geschieht. Die Sorgen der Bevölkerung genau zu kennen, würde bei künftigen Weichenstellungen für die Dekarbonisierung helfen.

Weko, S. (2021). Communitarians, cosmopolitans, and climate change: why identity matters for EU climate and energy policy. Journal of European Public Policy, 1-20. https://doi.org/10.1080/13501763.2021.1918751.

 

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Dr. Bianca Schröder

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