Im Kampf für Generationengerechtigkeit spielen Klimaklagen eine wichtige Rolle
27.02.2023
Junge Menschen wurden in nationalen, regionalen und UN-Politikforen lange an den Rand gedrängt. Jetzt fordern sie aktiv ihre Rechte als Vertreterinnen und Vertreter der gegenwärtigen und zukünftigen Generationen ein. Sie tun dies mit Protesten, aber zunehmend auch mit juristischen Werkzeugen. RIFS-Forschende haben das Potenzial von Klimaklagen im Anthropozän untersucht.
Junge Menschen mobilisieren sich zunehmend in verschiedenen Klimabewegungen, darunter Fridays for Future (FFF). Die Mitglieder haben den Anspruch, zukünftige Generationen zu repräsentieren. Damit machen sie deutlich, dass junge Menschen bereits jetzt und noch weit in der Zukunft unverhältnismäßig stärker unter der Klimakrise leiden als ältere Menschen.
Die RIFS-Forschenden Louis Kotzé und Henrike Knappe haben die veränderte Rolle junger Menschen im Kontext des Anthropozäns untersucht – des gegenwärtigen Zeitalters, das durch umfassende Eingriffe des Menschen in die Umwelt geprägt ist. Das Anthropozän lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die lange Zeitdauer, die sich das menschliche Verhalten auf den Planeten auswirkt. „Wir haben es mit vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Veränderungen des Erdsystems zu tun, und zwar nicht auf einer menschlichen Zeitskala von Tausenden oder gar Hunderttausenden von Jahren, sondern auf einer geologischen Zeitskala von Milliarden von Jahren. Dieses Zeitverständnis, das auch als deep time bezeichnet wird, ist unvorstellbar größer als menschliche Zeitskalen“, erläutert Henrike Knappe. Die Verwundbarkeit junger Menschen sei allerdings nicht länger eine Angelegenheit der fernen Zukunft, sondern manifestiere sich in ihrer gegenwärtigen Lebenswirklichkeit in Form von oft katastrophalen Klimaereignissen.
Viel mehr, viel früher
Als vielversprechende rechtspolitische Praxis, die als Antwort auf die Marginalisierung junger Menschen in der Politik entstanden ist, sehen die Forschenden Klimaklagen. In Deutschland gab das Bundesverfassungsgericht am 29. April 2021 einer Gruppe junger Klägerinnen und Kläger teilweise recht. Es entschied, dass Regelungen des Klimaschutzgesetzes von 2019 nicht ausreichen, um die Verpflichtungen Deutschlands aus dem Pariser Klimaabkommen zu erfüllen und das verbleibende CO2-Budget einzuhalten. Zudem fehlten Maßnahmen zur CO2-Reduzierung über das Jahr 2030 hinaus.
Das Bundesverfassungsgericht habe mit dem Urteil bestätigt, dass viel mehr und viel früher getan werden muss, um die Klimakrise zu bewältigen, sagt Louis Kotzé: „Generell sieht das Gericht den Staat in der Pflicht, die langfristigen Auswirkungen seiner Klimagesetze zu überprüfen und die zulässigen Emissionen zeit- und generationengerecht zu verteilen. Er stellte fest, dass die Schutzpflicht des Staates die Pflicht umfasst, Leben und Gesundheit vor den Risiken des Klimawandels zu schützen, und dass sich daraus eine objektive Pflicht zum Schutz künftiger Generationen ergeben kann.“ Die Entscheidung zeige nicht nur das Ausmaß und die Schwere der Klimakrise auf, sondern auch die vielfältigen Muster der Verwundbarkeit und Ungerechtigkeit, die besonders die Jugend und zukünftige Generationen betreffen.
Es sei zwar nicht möglich die Neubauer-Entscheidung zu verallgemeinern, so die Forschenden. Andere Gerichte hätten womöglich ein weniger umfassendes Verständnis der Veränderungen des Erdsystems und der Verpflichtungen gegenüber künftigen Generationen. Trotzdem sei das Urteil ein Beispiel dafür, was ein Gericht tun kann, um sicherzustellen, dass die Rechte und Interessen künftiger Generationen in den derzeitigen Gesetzen und politischen Prozessen stärker berücksichtigt werden.
Kotzé, L. J., Knappe, H. (2023). Youth movements, intergenerational justice, and climate litigation in the deep time context of the Anthropocene. Environmental Research Communications, 5, doi: 10.1088/2515-7620/acaa21