Kann Gentechnik einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft leisten?
19.11.2021
Die Landwirtschaft ist ein großes, aber umstrittenes Betätigungsfeld der Gentechnologie. Welche Chancen und Risiken bergen Anwendungen wie Resistenzzüchtungen, Intensivierungszüchtungen oder Qualitätsveränderungen für die Nachhaltigkeit? Das untersucht IASS-Direktor Ortwin Renn in einem Beitrag zum „Fünften Gentechnologiebericht“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Zudem entwickelt er Empfehlungen für neue Formen des Dialogs, die einen verantwortbaren Umgang mit der „grünen Gentechnik“ fördern können.
In seinem Beitrag nutzt Renn die etablierte Strukturierung in ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit, um die wesentlichen Auswirkungen unterschiedlicher gentechnischer Anwendungen auf eine nachhaltige Entwicklung zu überprüfen und zu kategorisieren:
Ökologische Nachhaltigkeit: Die Anwendung gentechnischer Verfahren hat nur einen geringen Effekt auf die Verringerung von Kohlendioxidemissionen (Dekarbonisierung) und die Reduzierung des durch den Menschen in Umlauf gebrachten Materials (Dematerialisierung). Für die Renaturalisierung und die Biodiversität ergeben sich größere Chancen und Risiken. Wenn gentechnisch veränderte Pflanzen auf nährstoffärmeren Böden Erträge sicherstellen, den ökologischen Bedingungen angepasst sind und kaum oder keine Chancen für eine Auswilderung bestehen, können sie zum Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit beitragen. Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind, ist der Beitrag allerdings vernachlässigbar oder sogar negativ.
Ökonomische Nachhaltigkeit: Gentechnik hat das Potenzial, mittel- und langfristig wirtschaftliche Vorteile für Anbieter von Agrardienstleistungen, Saatguthersteller und landwirtschaftliche Betriebe zu bieten. Umstritten ist, wem diese Vorteile überwiegend zugutekommen. Dies hängt weitgehend von den Rahmenbedingungen des Gentechnik-Einsatzes ab. Dabei ist zu beachten, dass viele Einkommens- und Struktureffekte durch andere Faktoren stärker beeinflusst werden und der Einsatz der Gentechnik hier nur eine geringe Rolle spielt.
Soziale Nachhaltigkeit: In diesem Bereich sind die Chancen eher gering, dagegen die Risiken besonders umfassend, aber nicht unbedingt schwerwiegend. Oft sind sie zwei Seiten derselben Medaille. Zum Beispiel führen die erhöhten Erträge, verbunden mit geringeren Kosten für Pestizide und Herbizide, zu mehr Einkommen für landwirtschaftliche Betriebe. Dies kann jedoch Konzentrationsprozesse fördern, die Kleinbetriebe zur Vergrößerung oder Aufgabe zwingen. In der Wahrnehmung vieler Betrachterinnen und Betrachter reiht sich die Gentechnik in eine Assoziationskette von maximaler Profitausrichtung, industrialisierten Praktiken, inhumaner Tierhaltung und wirtschaftlichen Konzentrationsprozessen ein. Die geringe Akzeptanz ist verbunden mit entsprechend strikten staatlichen Regulierungen. Mehr und mehr stehen nicht die nachweisbaren Folgen für Ökologie, Wirtschaft und Sozialwesen im Vordergrund, sondern vielmehr die Einhaltung von Regelungen ohne Bezug zu einem nachweisbaren Schaden.
Damit Nachhaltigkeit als Leitidee für den Einsatz der Gentechnik auch faktisch umgesetzt wird, sind laut Ortwin Renn neue kooperative Formen der Verständigung zwischen Industrie, Landwirtinnen und Landwirten, Umweltschutzorganisationen sowie politischen Regulierungsinstanzen notwendig. Dabei muss das Thema Gentechnik in einen größeren Zusammenhang mit Landnutzung, Treibhausgasemissionen und Ernährungsverhalten eingebettet werden. Mit einem umfassenden Ansatz wie „neue Leitbilder für die Landwirtschaft und Landnutzung der Zukunft“ wäre mehr gewonnen als mit einem engen Dialog zum Thema Gentechnik. Denn er ermöglicht es, Themen wie Gesundheit, Landwirtschaft und Ernährung ohne ideologische Scheuklappen zusammenbringen und die Implikationen der unterschiedlichen Leitbilder für Landwirtschaft auf der Basis von Nachhaltigkeitskriterien zu überprüfen.
Renn, O. (2021): Gentechnische Anwendungen im Spiegel der nachhaltigen Entwicklung - In: Fehse, B., Hucho, F., Bartfeld, S., Clemens, S., Erb, T., Fangerau, H., Hampel, J., Korte, M., Marx-Stölting, L., Mundlos, S., Osterheider, A., Pichl, A., Reich, J., Schickl, H., Schicktanz, S., Taupitz, J., Walter, J., Winkler, E., Zenke, M. (Eds.), Fünfter Gentechnologiebericht. Bilanzierung einer Hochtechnologie, (Forschungsberichte / Interdisziplinäre Arbeitsgruppen, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften; 44), Baden-Baden : Nomos, 481-503. https://doi.org/10.5771/9783748927242