Klima, Kosten, Mitsprache: Böll-Stiftung Frankreich und IASS stellen in Brüssel Bürgerwünsche für Energiewende vor
05.04.2018
Im November 2016 präsentierte die Europäische Kommission Gesetzesvorschläge zum Thema „Saubere Energie für alle Europäer“. Diese waren ein Startschuss für Diskussionen, an deren Ende das Europäische Parlament und der Europäische Rat einen neuen Rechtsrahmen für die gemeinsame Energiepolitik ab dem Jahr 2020 beschließen wollen. In den Vorschlägen stehen die Verbraucherinnen und Verbraucher im Mittelpunkt: Sie sollen sich in die Energiewende einbezogen fühlen und spürbar von ihr profitieren.
Was aber empfinden die Bürgerinnen und Bürger als eine fair gestaltete Energiewende? Wollen und können sie sich an der Energiewende beteiligen? Wie stehen sie zu neuen Technologien wie intelligenten Stromzählern, die in den Gesetzesvorschlägen benannt werden? Diesen und anderen Fragen sind die Heinrich Böll Stiftung Frankreich und das IASS in zwei empirischen Studien nachgegangen. Bei der Veranstaltung „Energiewende in Deutschland und Frankreich: Was erwarten Bürgerinnen und Bürger von der Energiepolitik?“ am 19. März 2018 diskutierten die Forscherinnen und Forscher die Ergebnisse in der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union.
Deutsche befürworten Energiewende, sehen Umsetzung aber kritisch
Das Soziale Nachhaltigkeitsbarometer der Energiewende, das vom IASS im Rahmen der Partnerschaft dynamis und in Kooperation mit dem Kopernikusprojekt E-Navi erhoben wird, beruht auf einer repräsentativen Umfrage von mehr als 7500 Haushalten in Deutschland. Die Ergebnisse zeigen, dass die Deutschen mehrheitlich die Ziele der Energiewende befürworten, deren Umsetzung aber kritisch sehen. Vor allem an den Kosten der Energiewende und deren Verteilung stören sich die Menschen. Sie wünschen sich, dass Vielverbraucherinnen und -verbraucher mehr bezahlen und der Staat mehr Verantwortung dafür übernimmt, dass die gesamte Bevölkerung verlässlich mit Energie versorgt ist. Auch ist ihnen eine frühe politische Beteiligung an Prozessen der Energiewende wie der Planung von Windanlagen wichtig. Bei der Investition in neue Technologien wie intelligente Heizsysteme sind die Bürgerinnen und Bürger eher zurückhaltend.
Franzosen wollen weg von der Atomenergie
Die zweite Studie, Le rapport des Français à l´énergie, basiert auf einer repräsentativen Umfrage der Heinrich Böll Stiftung zur Energiepolitik Frankreichs. Befragt wurden 1000 Französinnen und Franzosen. Ähnlich wie in Deutschland empfinden 89 Prozent der Befragten Energiepolitik als wichtig bis sehr wichtig und sind der Meinung, dass zu viel Energie verschwendet oder ineffizient genutzt wird. Die meisten erachten die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und der Atomenergie in Frankreich als zu hoch. Dieses Ergebnis war für die Forscherinnen und Forscher überraschend, weil die Atomenergie in Frankreich eine größere Rolle spielt als in Deutschland. 63 Prozent der Befragten sehen die Energiewende als Chance und nur 11 Prozent als Risiko für Frankreich. Ähnlich wie die Deutschen befürworten sie Investitionen in erneuerbare Energieträger stark und wünschen sich eine stärkere Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in die Energieerzeugung.
Zivilgesellschaftlichen Organisationen und lokalen Energieerzeugern schenken die Französinnen und Franzosen bei der Energiepolitik mehr Vertrauen als großen Energiekonzernen oder dem für Energie zuständigen Ministerium für ökologischen und solidarischen Wandel. Die Energiewende des Nachbarlands Deutschland sehen viele der Befragten als Vorbild für andere Länder. Sie wünschen sich in der Energiepolitik mehr Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und Deutschland.
Befragungen in weiteren EU-Ländern wichtig für fundierte Diskussion
In der anschließenden Podiumsdiskussion ging es vor allem um die Bedeutung der Erkenntnisse für die europäische Energiedebatte. Die Studien zeigen, dass in zwei großen Volkswirtschaften Europas die Mehrheit der Bevölkerung weg von fossilen und nuklearen Energieträgern und hin zu erneuerbaren Energien möchte. Der Weg dorthin ist jedoch umstritten und wird vielfach als zu komplex empfunden. Das Vertrauen in Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger und die aktive Partizipation der Bürgerinnen und Bürger an Energiewendeprozessen sollte gestärkt werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass sich die empfundene Kluft zwischen Zielsetzung und praktischer Umsetzung nicht weiter vergrößert. Die Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer waren sich einig, dass ähnliche empirische Studien für alle EU-Mitgliedsstaaten gebraucht werden, um eine fundierte Diskussion zur zukünftigen Energiepolitik Europas führen zu können.