Klimawandel und Unsicherheit: Wie geht die Gesellschaft damit um?
04.03.2024
Fachleute aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft können und sollten dazu beitragen, Risiken im Kontext des Klimawandels frühzeitig zu identifizieren, zu analysieren und auch zu reduzieren. In einem Buchkapitel des Sammelbandes „Klimawandel in Deutschland“ zeichnet Prof. Ortwin Renn das Vier-Stufen-Konzept der Risikosteuerung vom Internationalen Risikorat (IRGC) nach - vom Erfassen der Ausgangssituation, über die Analyse der drohenden Gefährdungen bis zum Ergreifen von Gegenmaßnahmen und der damit einhergehenden Risikokommunikation und Bürgerbeteiligung.
Vor dem Hintergrund einer weitgehend wissenschaftlichen Analyse der Risiken, die durch den Klimawandel, ausgelöst werden, bleiben Fragen bestehen, wie die Gesellschaft auf diese Bedrohungen reagiert und welche Maßnahmen zum Umgang mit Klimarisiken angebracht sind. Denn wissenschaftliche Analysen und Vorhersagen gehen immer mit Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten einher, die gesellschaftliche Debatten und Konflikte nach sich ziehen. Das Ausmaß der Risiken ist nicht allein aus der naturwissenschaftlichen Forschung abzuleiten, sondern ergibt sich erst aus dem dynamischen Wechselspiel zwischen natürlichen Reaktionen und menschlichem Verhalten. Daher sei der erste Schritt der Risikoanalyse, der sogenannten Vorphase, eine vertiefte Untersuchung der Ausgangsbedingungen, die sowohl auf die Verursachung des Klimawandels als auch auf die Möglichkeiten und politische Durchsetzbarkeit von Gegenmaßnahmen einwirken.
Vorabsprachen mit Bevölkerung notwendig
Renn erläutert anhand des Hochwasserschutzes, was im Vier-Stufen-Konzept des IRGC mit „Vorphase“ gemeint sei: Wer für vorsorgende Maßnahmen zuständig ist, sei dabei genauso zu klären, wie welche grundlegenden Möglichkeiten des Hochwasserschutzes rechtlich und politisch infrage kommen oder wer die Vorkehrungen finanziere. Wesentlich sei dabei ein frühzeitiger Klimadialog mit der Bevölkerung, um deren Perspektiven, Anliegen und Ängste aufzugreifen und eine prinzipielle Zustimmung zu den geplanten Maßnahmen zu erhalten. Besonders erfolgversprechend seien sogenannte ko-kreative Ansätze, bei denen Schutzmaßnahmen gemeinsam mit den betroffenen Menschen vor Ort konzipiert und umgesetzt würden. So pochen Anwohnerinnen und Anwohner häufig auf technischen Schutz wie höhere Dämme. Umweltverbände favorisieren Polderflächen und Fachkräfte der Landesplanung bevorzugen häufig Bauvorschriften und Planungsvorgaben. Diese diversen Perspektiven gelte es bei der Risikobewertung mit einzubeziehen.
Im zweiten Schritt des IRGC-Konzeptes würden Risiken wissenschaftlich identifiziert, charakterisiert und wenn möglich quantifiziert. Wie sich die Risiken beispielsweise auf Gesundheit und Umwelt, wirtschaftliches Wohlergehen und gesellschaftliche Stabilität auswirken könnten, müsse durch eine Analyse der Risikowahrnehmungen, Befürchtungen und Einstellungen wichtiger gesellschaftlicher Gruppen sowie der betroffenen Bevölkerung ergänzt werden. Bereits ab dieser Phase ist eine intensive Beteiligung von Interessensgruppen und betroffenen Bürgerinnen und Bürgern der Schlüssel zu neuen Lösungsoptionen, um alle Anliegen zu berücksichtigen und eine für alle tragbare Lösung zu finden.
Mit welchen Konsequenzen ist zu rechnen, wenn A oder B verwirklicht wird?
In der hierauf folgenden dritten Phase werden sämtliche vorliegenden Daten gebündelt, interpretiert und bewertet. Dabei sei besonders schwierig, die mit der Analyse der Risiken verbundenen Unsicherheiten abzuschätzen. Empfohlen werde ein Risikodialog, an dem Personen aus Behörden, der Klimawissenschaft und auch Stakeholder aus der Praxis teilnehmen sollten. Am Ende solle beurteilbar sein, welche Klimafolgeszenarien als Ausgangspunkte für die dann folgende Ausarbeitung von Handlungsoptionen dienen sollen.
In der vierten Phase gehe es schließlich darum, sich für konkrete Strategien zu entscheiden, um einerseits die Ursachen für den Klimawandel zu bekämpfen (Mitigation) und sich andererseits auf die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels einzustellen (Anpassung). Zentral ist dabei, die Risiken so zu begrenzen, dass umfangreiche Schäden und Verluste möglichst vermieden werden.
Neu am Konzept des IRCG sei, dass nicht nur die Natur- und Technikwissenschaften, sondern auch den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften eine zentrale Rolle bei der wissenschaftlichen Erfassung, Bewertung und Steuerung des Risikos zukomme, schreibt Renn. Es reiche nicht, neue Techniken und Systemlösungen zu entwickeln, sondern der Erfolg von Klimapolitik müsse sich daran messen lassen, wie gut es gelinge, das technisch Mögliche mit dem gesellschaftlich Wünschenswerten zu verbinden.
Publikation:
Renn, O. (2023). Klimarisiken: Umgang mit Unsicherheit im gesellschaftlichen Diskurs. In G. P. Brasseur, D. Jacob, & S. Schuck-Zöller (Eds.), Klimawandel in Deutschland (2., überarb. u. erw. Auflage, pp. 391-402). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg. DOI: 10.1007/978-3-662-66696-8_30.