Neue Lösungen für den Umgang mit systemischen Risiken
17.12.2020
Systemische Risiken wie Klimawandel, Cybersicherheit und Pandemien sind durch hohe Komplexität, Unsicherheit, Ambiguität und grenzüberschreitende Auswirkungen gekennzeichnet. Deshalb sind neue Forschungsansätze und Regulierungsmaßnahmen für die Bewertung und das Management dieser Risiken erforderlich. Ein interdisziplinäres Team von Forschenden um IASS-Direktor Ortwin Renn hat dazu ein Grundlagenpapier veröffentlicht. Es ist der erste Artikel einer Sonderausgabe der Fachzeitschrift „Risk Analysis“, die von Ortwin Renn und IASS-Forschungsgruppenleiterin Pia-Johanna Schweizer herausgegeben wird.
Die negativen Folgen systemischer Risiken sind oft weit über die offensichtlichen Schadensbereiche hinaus spürbar – die Coronakrise hat es uns deutlich vor Augen geführt. In dem Artikel „Systemic Risks from Different Perspectives“ analysieren die Autorinnen und Autoren die Herausforderungen systemischer Risiken aus der Perspektive verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, von Mathematik über Komplexitätswissenschaften, Ingenieurswissenschaften, Biologie und Ökologie bis hin zu den Sozialwissenschaften. Sie heben die besonderen Erkenntnisgewinne der jeweiligen wissenschaftlichen Perspektiven hervor und führen sie zu einem interdisziplinären Verständnis von systemischen Risiken und zur Gestaltung von wirksamen Maßnahmen zur Risikoregulierung (Governance) zusammen.
Die Forschenden plädieren für die Integration von Modellierung und Empirie, um zu einem umfassenden Verständnis systemischer Risiken zu gelangen und diese Erkenntnisse in die Politikberatung einzuspeisen. „Auch menschliche Reaktionen und weitere unvorhergesehene Stressfaktoren müssen dabei einbezogen werden, genauso wie der Kaskaden-Effekt, also die Ausbreitung von einem Bereich zum nächsten“, erläutert Co-Autorin Pia-Johanna Schweizer. Mit einer interdisziplinären und sektorübergreifenden Zusammenarbeit, einem engmaschigen Überwachungssystem und dem Engagement von Wissenschaftlern, Regulierungsbehörden und Interessenvertretern könne wirksames und sozial akzeptables Risikomanagement gelingen. Die Autorinnen und Autoren beschreiben in ihrer Studie ein Schritt-für-Schritt-Verfahren für den Umgang mit diesen Herausforderungen.
Sie messen auch der Beteiligung von Öffentlichkeit und Interessengruppen sowie der Risikokommunikation eine wichtige Rolle bei. In demokratischen Gesellschaften erfordere erfolgreiches Risikomanagement mehr als nur die Reduzierung von Risiken: Risikomanagement müsse demokratisch legitimiert sein. Das Ziel sei letztlich eine anpassungsfähige und inklusive Governance von systemischen Risiken.
Sonderheft zu konzeptionellen Fragen und Fallstudien
Das Sonderheft, in dem der Artikel erschienen ist, gibt einen theoretisch fundierten und empirisch belegten Einblick in das Konzept der systemischen Risiken und macht praktisch umsetzbare Vorschläge für die Steuerung dieser Risiken. Es ging aus einer Workshop-Reihe hervor, die das IASS geneinsam mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) ausrichtete, und ist in zwei Teile gegliedert: Der erste Teil ist konzeptionellen Fragen, der zweite Teil Fallstudien gewidmet. Eine Studie über Governance-Anforderungen im Umgang mit systemischen Risiken rundet den Band ab. Die Artikel werden online im Laufe der nächsten Monate und anschließend als Sonderheft veröffentlicht.
Link:
Renn, O., Laubichler, M., Lucas, K., Kröger, W., Schanze, J., Scholz, R.W., Schweizer, P.-J. (2020 online): Systemic Risks from Different Perspectives – Risk analysis. https://doi.org/10.1111/risa.13657