Regierungsführung für künftige Generationen
15.04.2019
Gegen die Klimapolitik ihrer Länder demonstrieren seit geraumer Zeit Jugendliche. Der mangelhafte Einsatz der Politik für effizienten Klimaschutz führe sie in eine nicht lebenswerte Zukunft, so die Kritik. Dabei schreitet Wales seit 2015 beispielhaft voran mit einem Gesetz, das der Mahnung der Fridays-for-Future-Jugend Rechnung trägt: Das Gesetz zum Wohlergehen künftiger Generationen. Es fordert von Entscheidungsträgern öffentlicher Stellen die langfristigen Auswirkungen ihrer Beschlüsse zu bedenken und stellt die nachhaltige Entwicklung in den Fokus.
Am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) hat im Senior-Fellowship-Programm Michael Palmer begonnen, der an der Entwicklung des Gesetzes in der Funktion des "Director Performance and Implementation" in der Regierung von Wales beteiligt war. Ein Gespräch mit ihm über die Entstehungsgeschichte des Gesetzes.
IASS: Wie kam die Regierung in Wales auf die Idee, ein Gesetz zum Wohlergehen künftiger Generationen zu verabschieden?
Michael Palmer: Die dezentrale Regierung von Wales wurde 1998 ins Leben gerufen. Sie ist verantwortlich für die meisten öffentlichen Ausgaben und Dienstleistungen. Als das geschah, wurde zugleich die Pflicht in der Verfassung festgeschrieben, eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. In den darauffolgenden zehn Jahren wurden Überprüfungen durchgeführt und Berichte unter anderem vom WWF oder auch der Universität von Cardiff veröffentlicht darüber, wie gut die Regierung die nachhaltige Entwicklung fördert. Die meisten von ihnen bestätigten, dass die walisische Regierung einige nützliche Initiativen hatte, betonten aber gleichzeitig, dass radikalere Veränderungen erforderlich seien. Dann – in 2010 – gab der allgemeine, unabhängige Prüfer von Wales (the auditor general) einen großen Bericht dazu ab. Dass die Förderung der nachhaltigen Entwicklung nicht zur Entscheidungshilfe zwischen konkurrierenden Prioritäten wurde, war sein Fazit. Die Bevorzugung einer nachhaltigen Entwicklung wurde lediglich als ein Punkt auf einer langen Liste von Prioritäten angesehen.
Was war die Reaktion auf dieses Ergebnis?
M. P.: Die Empfehlung lautet, wenn die Regierung das ordentlich umsetzen soll, muss sie die nachhaltige Entwicklung als zentrales Organisationsprinzip festschreiben wie einen Grundsatz. Am Ende fiel die Entscheidung für ein neues Gesetz. Es sollte das Nachhaltige Entwicklungs-Gesetz werden. Da der Begriff ‚Nachhaltige Entwicklung‘ sehr technisch ist und vielen nicht so viel sagt, entschieden wir uns im Prozess dann, es das Gesetz zum Wohlergehen künftiger Generationen zu nennen. Der aktuelle Name sorgt nämlich dafür, dass die Entscheidungsträger mehr nachdenken und kreativer sind, zugleich aber auch radikaler.
Es hat dann von 2011 bis 2015 gedauert, das Gesetz auf den Weg zu bringen – warum so lange?
M. P.: Die meiste Zeit dieser vier Jahre wurden damit verbracht, einen Konsens zwischen den verschiedenen Interessengruppen zu erzielen und nicht mit der Ausarbeitung des Gesetzes. Die walisische Regierung arbeitete mit einer Vielzahl von Interessengruppen zusammen, um eine Reihe von Optionen zu entwickeln. Sie führten auch eine Serie von öffentlichen Konsultationen durch. Zeitgleich hat eine Nicht-Regierungsorganisation eine nationale Diskussion zum Thema „Das Wales, das wir wollen“ gestartet unter Bürgerinnen und Bürgern aller Altersklassen inklusive der Kinder von Wales. Sie sollten alle ihre Sicht auf das Wales, wie es ihrer Meinung nach sein soll, mitteilen und zugleich dabei mitbestimmen, wie das getan werden soll.
Wenn Sie zurückschauen auf diesen langsamen Prozess - wie Politik nun mal oft sein kann, denn Mehrheiten überzeugen von einer Sache, kann dauern - was würden Sie den jungen Leuten, die freitags auf die Straße gehen, denn sagen wollen?
M. P.: Ich würde eher an die Politiker gerichtet sagen, dass sie aufwachen müssen und Greta Thunberg zuhören sollten. Natürlich verstehe ich, warum alles so lange dauert, eben weil Übereinkünfte gefunden werden müssen. Es ist auch wichtig, dass die Regierungen auf allen Ebenen lernen, wie sie die gelebte Erfahrung ihrer Bürger in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen. Jedoch wie Greta sagt, wir haben eine Klimakrise. Und bei einer Krise gibt es den Luxus der langen Diskussionen und des Abwägens schlicht nicht. Damit die Maßnahmen wirksam sind, müssen wir das Problem als Einzelpersonen und Organisationen erkennen, um mögliche Lösungen zu finden. Damit das geschehen kann, ist ein konkretes Engagement der Bürger von entscheidender Bedeutung.
Nun ist Wales klein und hat gerade einmal rund drei Millionen Einwohner. Wäre es denkbar das walisische Gesetz beispielsweise in einem weitaus größeren Land wie etwa in Deutschland umzusetzen?
M. P.: Der ganze, langwierige Entwicklungsprozesses des Gesetzes zum Wohlergehen künftiger Generationen war ein großes Lernen, davon ist vieles allgemein gültig und übertragbar auf andere Länder. So hat das Gesetz beispielsweise in Wales einen Beauftragten für künftige Generationen eingerichtet, der als Vormund für nachfolgende Generationen fungiert. Auch auf internationaler Ebene sucht die UNO nach Möglichkeiten, die Interessen künftiger Generationen stärker in den Vordergrund zu rücken. Vielleicht war es für diesen Prozess dennoch ein Vorteil „klein“ zu sein. Aber es kann sich zum Nachteil verkehren etwa fürs Recycling, weil Infrastrukturen fehlen oder die Masse an Materialaufkommen völlig anders sind als etwa in Deutschland. Dennoch ist Wales nun unter den fünf weltweit besten Ländern was Recycling angeht und steht an zweiter Stelle beim Recycling von Haushaltsabfällen. Was ich damit sagen möchte: Nur weil ein Land vermeintlich „zu groß“ oder „zu klein“ ist, darf dies keine Entschuldigung dafür sein, etwas nicht anzugehen!