Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Stark betroffen, kaum gehört

29.04.2019

Wer am stärksten unter dem Klimawandel leidet, sollte bei den internationalen Verhandlungen zum Thema vertreten sein. Wissenschaftler Patrick Toussaint vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) hat diesen Zusammenhang aus völkerrechtlicher Perspektive analysiert. Sein Fazit zeigt: Diejenigen, die heute oder in absehbarer Zeit unter dem sich ändernden Klima leiden, haben kaum einen Einfluss auf die internationalen Klimaverhandlungen.

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Im März 2019 kamen durch Zyklon Idai über tausend Menschen ums Leben und Hunderttausende sind nun obdachlos. Der Tropensturm verursachte Schäden in Höhe von rund zwei Milliarden US-Dollar in Mosambik, Malawi, Madagaskar und Simbabwe. Der Klimawandel hat ihn nicht ausgelöst, aber verstärkt: die Flutwelle war höher und die Regenmassen waren heftiger. Hier überqueren Menschen in Simbabwe eine provisorische Brücke über einen Fluss, wo durch sintflutartigen Regen über 60 Häuser unter Schlamm verschwunden sind.

Die bisherigen Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, den Klimawandel anzugehen, reichen bei weitem nicht aus, um diejenigen zu schützen, die vom Klimawandel besonders betroffen sind. Nach über 25 Jahren Verhandlungen unter der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) ist diese Frage nach wie vor weitgehend ungelöst. Die negativen Auswirkungen des Klimawandels und der Folgen für Mensch und Umwelt werden in der UNFCCC unter dem Begriff „Loss and Damage“ (Schäden und Verluste) diskutiert.

In erster Linie werden arme und einflusslose Gemeinschaften die Folgen des Klimawandels zu spüren bekommen. Genauso Menschen, die an exponierten geografischen Standorten leben. Während die Vielzahl in Entwicklungsländern lebt, sind arme und marginalisierte Gemeinschaften in Industrieländern jedoch ebenfalls betroffen. Sie sollten bei internationalen Klimaverhandlungen Gehör finden, denn dort werden Entscheidungen über ihr Leben und ihre Existenzgrundlage getroffen. „Die derzeitigen Beteiligungsmöglichkeiten unter der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen reichen aber bei weitem nicht aus, um ihnen eine hörbare Stimme zu geben“, sagt Patrick Toussaint, dessen Studie „Voices unheard – affected communities and the climate negotiations on loss and damage“ gerade im Magazin „Third World Thematics“ erschienen ist.  

Beobachter auf Klimakonferenzen haben beschränkte Einflussmöglichkeiten

Eine Möglichkeit der Beteiligung besteht im so genannten „Beobachterstatus“, der allerdings erst nach mehreren bürokratischen Hürden gewährt wird, darunter ein Zulassungsverfahren, das über ein Jahr dauert, was für ärmere betroffene Gemeinschaften mit unerschwinglichen Kosten verbunden ist. „Zwar können Beobachter bei den internationalen Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen direkt mit den Vertragsparteien, dem Sekretariat und Interessensgruppen kommunizieren“, sagt Wissenschaftler Toussaint, „aber sie können weder die Tagesordnung noch Entscheidungen mitbestimmen.“

Zugleich erschwert die schiere Zahl der Beobachter ein effektives Engagement. So nahmen während der letzten zehn UN-Klimakonferenzen zwischen 3.600 bis 13.400 Delegierten als Beobachter teil. Doch selbst wenn der Beobachterstatus gewährt wird, gibt es Fälle, in denen Beobachter von Sitzungen zu wichtigen Verhandlungspunkten ausgeschlossen werden. Die Bestandsaufnahme von Toussaint ergab auch, dass Initiativen zur Reform der Beteiligung von Interessensgruppen im Rahmen der UN-Klimakonferenzen bislang kaum Ergebnisse geliefert haben. Ein Grund dafür ist die Souveränität der Staaten im internationalen Verhandlungsprozess, die primäre Entscheidungsgewalt haben. Dies gibt implizit zu verstehen, dass betroffene Gemeinschaften ausreichend durch die Delegierten ihrer Staaten und Beobachter – allen voran NGOs – vertreten sind und sich nicht selbst im Prozess vertreten müssen.

Historisch wurden Klimawandelschäden und -verluste vor allem als ein Problem der Entwicklungsländer gesehen, weil es in der Vergangenheit zumeist von kleinen Inselstaaten und anderen gefährdeten Ländern mit Unterstützung der Zivilgesellschaft vorangetrieben wurde. Dies hat zu verhärteten Fronten beigetragen, die im Rahmen der UN-Klimakonferenzen, wie auch 2015 beim Pariser Klimagipfel häufig zu einer Blockade der Verhandlungen führten.

Toussaint betont in seiner Studie, dass ein breiteres Verständnis für Schäden und Verluste als globales Problem, das arme und marginalisierte Gemeinschaften in Entwicklungs- als auch Industrieländern betrifft, dazu beitragen könnte, diese polarisierte Debatte zu durchbrechen. „Gleichzeitig kann das die Aussichten erhöhen, das Thema ‚Schäden und Verluste‘ mit einer ähnlichen Dringlichkeit auf die politischen Agenden der Industrieländer zu setzen“, schlussfolgert der Umweltrechtswissenschaftler.  

Ein Repräsentationsmodell betroffener Personenorganisationen

In derselben Ausgabe des Magazins, in dem auch der Artikel von Toussaint erschienen ist, erläutern die Politikwissenschaftler Annette Schramm und Jan Sändig von der Universität Tübingen ein Repräsentationsmodell von „Betroffenenorganisationen“ (im Englischen APO-Modell von affected persons organisation). Sie verstehen darunter Zusammenschlüsse von Menschen, die sich selbst und ihresgleichen in globalen Prozessen vertreten. Dazu gehören zum Beispiel Menschen mit Behinderungen, die sich in globalen Prozessen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen aussprechen und "La Via Campesina", ein Zusammenschluss von Kleinbauernorganisationen, der in globalen Prozessen die Interessen von Kleinbauern vertritt.

Im Kontext der Klimaverhandlungen könnten Vertreter indigener Völker und Delegierte kleiner Inselstaaten als Betroffenenorganisationen auftreten. Die direkte Beteiligung von Betroffenenorganisationen im Klimakontext würde dazu dienen, die Stimmen dieser beeinträchtigten Gemeinschaften direkt bei den UN-Klimakonferenzen einzubeziehen, um aus erster Hand über ihre Erfahrungen zu berichten und daraus Forderungen abzuleiten. Langfristig könnte das APO-Modell so einen Paradigmenwechsel einleiten: Von Schäden und Verlusten als primärem Problem der Entwicklungsländer hin zur Anerkennung als globales Problem. Und dies verhilft somit hoffentlich zu ambitionierteren politischen Maßnahmen, insbesondere der Unterstützung und Finanzierung betroffener Gemeinschaften.

Publikation:

Patrick Toussaint: Voices unheard – affected communities and the climate negotiations on loss and damage, Third World Thematics,04/2019. DOI: 10.1080/23802014.2018.1597640 (https://doi.org/10.1080/23802014.2018.1597640)

 

Kontakt

Sabine Letz

Sabine Letz

Referentin Presse
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