Warum die Golfstaaten auf Wasserstoff setzen
02.12.2022
Warum wollen die Verantwortlichen der Golfregion vor Ort Wasserstoff-Energiesysteme fördern? Dieser Frage widmet sich ein Diskussionspapier von Fellow Natalie Koch am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS). Das Fazit: Für die Akteure am Golf dient Wasserstoff dem Erhalt des sozialen, politischen und wirtschaftlichen Status quo. Fragen der Energiegerechtigkeit blieben jedoch ungelöst.
Wie abhängig die Wirtschaft der öl- und gasproduzierenden Länder des Golf-Kooperationsrates (GCC) vom Kohlenwasserstoffsystem ist, scheint klar, denn die Haupteinnahmequelle der Golfstaaten beruht auf dem Export von Öl und Gas. Der Golf-Kooperationsrat, auch kurz Golfrat genannt, wurde 1981 in Abu Dhabi durch Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gegründet. Der Golfrat arbeitet gemeinsam in der Außen- und Sicherheitspolitik und fördert die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen der Mitgliedsstaaten untereinander.
In den Staaten des Golfrates existiere ein breiter Widerstand gegenüber einem Beenden der Öl- und Gaswirtschaft, schreibt IASS-Fellow Natalie Koch, Professorin für Humangeographie an der Universität Heidelberg und bis vor kurzem Fellow am IASS. Doch gebe es zugleich die Suche nach alternativen Energien – vor allem von der jüngeren Generation.
Die meiste Unterstützung vom GCC floss im vergangenen Jahrzehnt in die Solarenergie, schreibt Koch. Insgesamt jedoch sei der Umfang der nicht-fossilen Energieerzeugung in den Golfstaaten nach wie vor sehr gering: Ende 2020 erzeugte die Region Strom von 146 Gigawatt, wovon 3271 Megawatt auf erneuerbare Energien entfielen. Davon sei die PV-Solartechnologie mit rund 70 Prozent die vorherrschende Technologie, gefolgt von CSP-Solartechnologien mit 23 Prozent, vier Prozent des erneuerbaren Stroms entstehe über Biomasse und zwei Prozent über Wind.
Und nun liege der Fokus der arabischen Golfregion auf Wasserstoff – weshalb? Die lokal Verantwortlichen hätten sowohl ein wirtschaftliches als auch ein politisches Interesse daran, sich dem Ruf nach Wasserstoff anzuschließen. Koch belegt dies mit einem Zitat der Dubai Future Foundation, die laut eines Berichtes aktiv dazu beitragen will, dass die Wasserstoffenergie „vom Hype zur Realität“ werde.
Golfstaaten: 96 Prozent Wasserstoff aus fossilen Quellen
Aus fossilen Brennstoffen werden momentan 96 Prozent des Wasserstoffs hergestellt. Der Bärenanteil aus Erdgas durch „Steam Methane Reforming“ (SMR, Dampfmethanreformierung), was „grauer Wasserstoff“ genannt wird, während „brauner Wasserstoff“ der Kohlevergasung entspringt. Beide Herstellungsarten sind Treibhausgas-intensiv. So genannter „blauer Wasserstoff“ wird ebenfalls aus Erdgas-SMR gewonnen. Da sein Produktionsprozess mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) einhergeht, wird er anders kategorisiert. Da bislang wenig produzierter Wasserstoff „grün“ ist, gilt blauer Wasserstoff gemeinhin als Brücke in eine grüne Zukunft.
Die Kapazität der erneuerbaren Energien in der Golfregion ist derzeit begrenzt. Deshalb gilt blauer Wasserstoff als Zwischenziel auf dem Weg zum grünen Wasserstoff: Kein grüner Wasserstoff ohne Erneuerbare. Jedoch laut Wissenschaftlerin Koch seien die Solarparks kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein im gesamten Energiemix der Golfstaaten, der weiterhin von Öl und Gas dominiert werde.
Sie gibt zu bedenken, wenn sich der Mythos, blauer Wasserstoff sei ein kleiner Umweg auf dem Weg zu grünem Wasserstoff, international durchsetze - wie es in einigen Teilen der Welt der Fall zu sein scheint -, dann seien diese privilegierten Industrien besonders gut positioniert, um ihre bestehenden Infrastrukturen einzusetzen und blauen Wasserstoff für möglicherweise Jahrzehnte zu produzieren. Sobald eine Infrastruktur erst einmal vorhanden sei, zeigten Studien, habe die Pfadabhängigkeit die Kraft, die Menschen zum Kauf zu bewegen, selbst wenn sie längst erkannt hätten, dass der Mythos einer „grünen“ Zukunft von Anfang an eine Lüge war.
Mit neuer Wasserstoffwirtschaft alte Produktionsstätten erhalten
Mit einer neuen Wasserstoffwirtschaft könne ein Großteil der bereits vorhandenen Öl- und Gasinfrastruktur der Golfstaaten weiterhin genutzt werden – es gebe bereits eine etablierte Praxis, Wasserstoff in Erdölraffinerien zu produzieren. Er könne über viele der gleichen Infrastrukturen, gespeichert und transportiert werden. Gleichzeitig wird die heimische Wasserstoffproduktion in der Golfregion als Möglichkeit gesehen, andere lokale Industrien zu erhalten. Diese seien heute nur deshalb wirtschaftlich lebensfähig, weil sie Zugang zu billiger fossiler Energie haben wie etwa die Stahl-, Luftfahrt- und Schifffahrtsindustrie.
Kochs Warnung: Die Staats- und Regierungschefs am Golf könnten mit all ihren Wasserstoffinitiativen zeigen, dass sie die Herausforderungen ihrer Länder erkennen, dass sie „etwas tun“ und demonstrierten damit eine „paternalistische Fürsorge“ - ein wichtiger Teil ihrer lokalen Legitimität. Deshalb bestehe die Gefahr, dass der Wasserstofftraum vom Golfrat als strategisches Instrument zur Aufrechterhaltung des Autoritarismus missbraucht werde. Denn er ermögliche es - trotz einer globalen Energiewende - die wirtschaftlichen und politischen Machtstrukturen weitgehend zu erhalten. Dringend zu stellende und zu lösende Fragen nach einer Energiegerechtigkeit blieben jedoch bestehen.
Publikation:
Koch, Natalie: Wasserstoffzukünfte in der Golfregion. Warum setzen Öl- und Gasproduzenten am Golf auf Wasserstoff? IASS Discussion Paper, November 2022. DOI: 10.48481/iass.2022.044