Wie wird grüner Wasserstoff zur Entwicklungschance?
21.08.2023
Weil er eine wesentliche Ressource für die Vollendung der Energiewende sein wird, erforscht Fellow Beatriz Couto Ribeiro grünen Wasserstoff und welche Möglichkeiten es für Länder wie Brasilien gibt, in die Wasserstoff-Produktion einzusteigen. Im Interview erläutert sie ihre Forschungsidee.
Könnten Sie kurz vorstellen, was Sie hauptsächlich erforschen und wie es dazu kam?
Beatriz Couto Ribeiro: Während meiner Doktorarbeit habe ich vor allem die Innovationspolitik für die Energiewende in Europa untersucht. Traditionell unterliegen Versorgungsunternehmen regulatorischen Beschränkungen, die ihre Anreize und Fähigkeiten zur Innovation beeinträchtigen. Angesichts der kritischen Herausforderungen des Klimawandels, der Dezentralisierung der Energieversorgung, der Digitalisierung und der Notwendigkeit, die CO²-Emissionen zu reduzieren, wächst jedoch der Druck auf die Versorgungsunternehmen, sich weiterzuentwickeln. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, haben einige nationale Regulierungsbehörden begonnen, Innovationsanreize zu bieten, um den technologischen Wandel zu unterstützen. Während meiner Promotion habe ich die Auswirkungen dieser Maßnahmen mit verschiedenen quantitativen Methoden untersucht.
Gegen Ende meiner Doktorarbeit verlagerte sich mein Interesse auf grünen Wasserstoff, weil er eine wesentliche Ressource für die Vollendung der Energiewende sein wird und eine potenzielle Exportchance für Schwellenländer wie mein Heimatland Brasilien darstellen kann. Daher beschloss ich, mich mit einer Forschungsidee für das RIFS-Stipendium zu bewerben, die die Möglichkeiten für lateinamerikanische Volkswirtschaften bewerten soll, in die Wertschöpfungsketten für grünen Wasserstoff einzusteigen.
Was können Sie uns über das Projekt erzählen, das Sie während Ihres Fellowships verfolgen wollen?
B. C. R.: Bei meinem Fellowprojekt geht es darum, die entstehende grüne Wasserstoffwirtschaft zum Vorteil der lateinamerikanischen Länder zu nutzen. In meiner Forschung untersuche ich nicht nur das Endprodukt Wasserstoff, sondern ebenso die bestehenden Kapazitäten und das künftige Potenzial der Länder, andere Komponenten entlang der Wertschöpfungskette für grünen Wasserstoff zu produzieren.
Das Projekt läuft in zwei verschiedenen Schritten ab: Erstens führe ich eine umfassende Sekundärforschung durch, bei der ich bestehende Exportprofile der lateinamerikanischen Länder anhand von Kennzahlen zur wirtschaftlichen Komplexität und an Handelsdaten untersuche. Ich werde Produkte identifizieren, die mit Wasserstoffkomponenten verwandt sind und bei denen diese Länder bereits Wettbewerbsvorteile besitzen. Und ich werde potenzielle Bereiche identifizieren, die für Wachstum genutzt werden können.
Ergänzend zu den quantitativen Ergebnissen beabsichtige ich, Experteninterviews zu führen, um zu verstehen, wie lateinamerikanische Entscheidungstragende Investitionen in diesem Sektor fördern wollen und wie die lokale Produktion verschiedener Komponenten durch Vorschriften, Industriepolitik oder internationale Zusammenarbeit gefördert werden kann. Durch die Berücksichtigung dieser breiteren Dynamik soll meine Forschung eine ganzheitlichere Perspektive darauf bieten, wie die lateinamerikanischen Länder den grünen Wasserstoff als Entwicklungschance strategisch nutzen können.
Was ist Ihre derzeitige These über die Rolle von STI-Politiken und -Programmen bei der Förderung von nachhaltiger Entwicklung und Innovation in Infrastrukturbereichen?
B. C. R.: Meine These unterstreicht die zentrale Rolle von Politiken und Programmen in den Bereichen Wissenschaft, Technologie und Innovation (STI) bei der Förderung von nachhaltiger Entwicklung und Innovation in Infrastruktursektoren, insbesondere in Entwicklungsländern.
In der Vergangenheit haben sich die Entwicklungsländer stark auf den Export einer begrenzten Anzahl von Rohstoffen verlassen, um ihre Hauptexporterlöse zu erzielen. Die starke Abhängigkeit von Rohstoffen setzt diese Volkswirtschaften wirtschaftlichen Schwankungen aus, da die Rohstoffpreise im Laufe der Zeit sinken. Die fehlende Differenzierung zwischen den Rohstoffproduzenten verschärft den Wettbewerb auf den Weltmärkten, und die bestehenden Produktivitätsunterschiede verschärfen diese Herausforderungen noch
Um ein nachhaltigeres und weniger schwankungsanfälliges Wachstum zu erreichen, müssen die Entwicklungsländer unbedingt in Innovationen investieren und ihr Exportportfolio diversifizieren, indem sie sich auf komplexe Industriegüter oder hochqualifizierte Dienstleistungen konzentrieren. Untersuchungen zur wirtschaftlichen Komplexität, eine der Methoden, die ich in meinen Projekten anwende, zeigen, dass Länder, die diese hochwertigen Produkte annehmen, im Allgemeinen eine beschleunigte Entwicklung erfahren, während Länder, die an natürlichen Ressourcen festhalten, tendenziell zurückbleiben.
Die Umstellung auf die Produktion dieser fortschrittlichen Güter ist jedoch nicht ganz einfach. Der Wissenstransfer ist aufgrund seiner stillschweigenden Natur oft kompliziert, und die entwickelten Volkswirtschaften neigen dazu, Wettbewerbsvorteile innerhalb ihrer Grenzen zu schützen, was in letzter Zeit immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Diese Vorteile beruhen in der Regel auf spezialisierten Industrien, robusten nationalen Innovationssystemen, akkumuliertem Forschungswissen und qualifizierten Arbeitskräften, und eine gut konzipierte und gezielte STI- oder Industriepolitik in Entwicklungsländern ist wichtig, um die Schaffung dieser Fähigkeiten zu unterstützen.
Welche Forschungsfrage würden Sie gerne nach Ihrem Stipendium hier am RIFS beantworten können?
B. C. R.: Während meines Stipendiums am RIFS möchte ich herausfinden, auf welche Art von Gütern in der neuen Wertschöpfungskette für grünen Wasserstoff sich die lateinamerikanischen Länder spezialisieren könnten. In den Fällen, in denen eine solche Spezialisierung nicht möglich ist, möchte ich die entsprechenden Technologien identifizieren, die in Zukunft die Produktion dieser Exportgüter ermöglichen könnten. Mein Ziel ist es, umsetzbare Erkenntnisse zu liefern, die die lateinamerikanischen Länder in die Lage versetzen, sich in der sich entwickelnden wasserstoffbasierten globalen Landschaft strategisch zu positionieren.