Die Energiepartnerschaft zwischen EU und Aserbaidschan: kurzfristiger Nutzen, unsichere Zukunft
13.11.2024
Seit 2022 baut Aserbaidschan seine energiewirtschaftlichen Beziehungen zur EU aus, indem es die Gaslieferungen erhöht und künftig auch erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff nach Europa liefern will. Es gibt aber Zweifel an den langfristigen Aussichten für diese Partnerschaft– nicht zuletzt auch aufgrund der anhaltenden Kritik der EU an der politischen Unterdrückung und den Menschenrechtsverletzungen in der südkaukasischen Republik.
Aserbaidschan (10,3 Mio. Einwohner), das diesjährige Gastgeberland der Weltklimakonferenz COP29, ist der Inbegriff eines Landes, das sich im sogenannten Carbon Lock-in befindet, also von fossilen Strukturen abhängig ist. Die Öl- und Erdgaserzeugung macht etwa die Hälfte des aserbaidschanischen BIP aus. Sie sorgt für die Hälfte aller Staatseinnahmen und für über 90 Prozent aller Exporteinnahmen. Der größte Teil dieser Exporte geht in die Europäische Union (EU) und wird über Pipelines, die durch Georgien und die Türkei verlaufen, nach Griechenland, Albanien und Italien transportiert (Aserbaidschan produziert kein Flüssigerdgas). Mit einer jährlichen Erzeugung von 48,7 Mrd. Kubikmetern Erdgas und 30,2 Mio. Tonnen Rohöl (Zahlen aus dem Jahr 2023) gehört Aserbaidschan im globalen Vergleich eher zu den kleinen Produzenten, aber seine Bedeutung für die EU nimmt zu. Derzeit ist es nach Norwegen, Algerien und Russland mit einem Anteil von sieben Prozent der viertgrößte Lieferant von Erdgas in die EU. Der Anteil von aserbaidschanischem Erdgas am gesamten Import von Erdgas in die EU beläuft sich auf drei Prozent.
Ausbau der energiewirtschaftlichen Beziehungen
Die neue geopolitische Ära, die 2022 durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine eingeläutet wurde, hat Aserbaidschan einige Chancen eröffnet. Als die EU sich intensiv um Erdgaslieferungen aus nicht-russischen Ländern bemühte, bot sich Aserbaidschan sofort an. Im Juli 2022 reiste EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Baku, um eine Vereinbarung über eine strategische Partnerschaft im Energiebereich zwischen der EU und Aserbaidschan zu unterzeichnen.
Teil dieser Vereinbarung war das Versprechen Aserbaidschans, bis 2027 seine Gaslieferungen nach Europa mehr als zu verdoppeln: auf 20 Mrd. Kubikmeter jährlich. Aufgrund von Aserbaidschans beunruhigender Bilanz von politischer Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen war die Entscheidung der EU, diese Beziehungen auszubauen, allerdings von Anfang an umstritten. Im Oktober 2024 verabschiedete das Europäische Parlament die sehr kritische (wenn auch nicht bindende) Entschließung, in der es von der EU fordert, ihre „Abhängigkeit von Gaseinfuhren aus Aserbaidschan“ zu beenden und die Vereinbarung von 2022 auszusetzen.
Bis jetzt behielt jedoch die politische Zweckdienlichkeit die Oberhand gegenüber anderen Bedenken. Bis Ende 2022 konnte Aserbaidschan 11,4 Mrd. Kubikmeter Erdgas in die EU liefern (gegenüber 8,1 Mrd. Kubikmeter im Jahr 2021), gefolgt von 11,8 Mrd. Kubikmeter im Jahr 2023. Dank der hohen Preise stiegen Aserbaidschans Erlöse aus Erdgasexporten von 5,56 Mrd. USD im Jahr 2021 auf 14,99 Mrd. USD im Jahr 2022 und 2023 beliefen sie sich auf 13,68 Mrd., womit sie erstmals in der Geschichte des Landes die Einnahmen aus Ölexporten übertrafen. Zudem liefert Aserbaidschan in immer mehr europäische Länder: Rumänien importiert seit 2023 aserbaidschanisches Erdgas, Ungarn, Slowenien und Kroatien seit 2024 und schließen sich damit Italien (dem größten Importeur), Bulgarien und Griechenland an. Auch die Slowakei hat bereits ihr Interesse an Erdgaslieferungen aus Aserbaidschan bekundet, während Ungarns staatliches Energieunternehmen MVM Group im August 2024 einen Anteil von fünf Prozent an der Erschließung des großen Erdgasfelds Schah-Denis und eine Anteil von vier Prozent an der South Caucasus Pipeline Company erwarb.
Und doch wird es eine große Herausforderung sein, die sehr ambitionierte Zusage einzuhalten, 20 Mrd. Kubikmeter an die EU zu liefern. Einerseits ist Aserbaidschans Erdgasproduktion zwar gestiegen: TotalEnergies und Aserbaidschans staatliches Öl- und Gasunternehmen SOCAR haben 2023 das neue Gasfeld Absheron in Betrieb genommen, während ein Konsortium unter Führung von BP neu entdeckte große Gasvorkommen erschließt. Andererseits sind aber sowohl in die neuen Gasförderungskapazitäten als auch in den Ausbau des Südlichen Gaskorridors sehr viel größere Investitionen erforderlich. Das erweist sich jedoch als immer schwieriger, da die europäischen und internationalen Finanzinstitutionen nur noch zögerlich die Infrastruktur fossiler Brennstoffe finanzieren.
Zudem ist auch die Binnennachfrage rasant gestiegen. Um mehr Gas für die Lieferungen in die EU zu haben, werden alternative Optionen in Erwägung gezogen: Dazu gehören die Verlagerung eines Teil der Exporte von anderen großen nicht zur EU gehörenden Abnehmern (wie der Türkei), die Senkung des Verbrauchs im Inland (etwa durch den Einsatz von mehr erneuerbaren Energien im Stromerzeugungssektor, der bisher vom Gas dominiert wird) oder durch die Deckung eines Teils der Binnennachfrage durch den Import von billigerem Gas aus anderen Ländern. Tatsächlich sind 2023 die aserbaidschanischen Importe von russischem – und turkmenischem – Gas erheblich gestiegen, was indirekt die Gründe hinter dem Bestreben der EU, seine Abhängigkeit von Russland zu beenden, unterminiert.
Letztlich wird Aserbaidschan wahrscheinlich auch eine wichtige Rolle bei der Entscheidung über das Schicksal des sogenannten Ukraine-Transits spielen, also der kontinuierlichen Durchleitung von russischem Gas (im Jahr 2023 ca. 15 Mrd. Kubikmeter) durch die Ukraine in die EU. Dieser Gas-Transit wird durch den Ende 2024 auslaufenden Vertrag zwischen Gazprom und dem ukrainischen staatlichen Öl- und Gasunternehmens Naftogaz geregelt. Obwohl die EU eigentlich diese Mengen durch einen höheren Import von Flüssiggas ersetzen könnte, sind Ungarn, die Slowakei und Österreich daran interessiert, diese Durchleitung aufrechtzuerhalten. Eine der machbarsten Optionen wäre, dass Aserbaidschan russisches Gas kauft und es legal unter dem Etikett „aserbaidschanisches“ Gas nach Europa liefert. Die Details jeglicher zukünftiger Vereinbarungen sind jedoch noch äußerst umstritten.
Aserbaidschans zunehmender Erdgashandel mit der EU mag zwar lukrativ sein, birgt aber auch Risiken. Das Land ist nicht nur beträchtlichen Preisschwankungen ausgesetzt, sondern – was viel wesentlicher ist – ihm fehlt es auch an einer klaren Zukunftsperspektive. Der Erdgasbedarf der EU sinkt seit 2022, was auf mehrere Faktoren zurückzuführen ist: einen Rückgang des Verbrauchs in der Industrie, Effizienzsteigerungen und den schnelleren Einsatz von erneuerbaren Energien.
Die anspruchsvollen Klimaschutzziele der EU – einschließlich des Netto-Null-Ziels bis 2050 und des gegenwärtig diskutierten Ziels, die Treibhausgasemissionen bis 2040 um 90 Prozent zu reduzieren – bedeuten, dass in Europa zukünftig vermutlich sehr viel weniger fossiles Gas verbraucht wird. Außerdem ist in EU-Gesetzen festgeschrieben, dass neue Verträge für Lieferungen fossiler Brennstoffe nicht über das Jahr 2049 hinausgehen dürfen. Europäische Unternehmen zögern, langfristige Gaslieferverträge mit Aserbaidschan abzuschließen, was es erschwert, ausreichende privatwirtschaftliche Investitionen in neue Gasproduktionskapazitäten zu mobilisieren. Und schließlich rechnet die EU ab 2026 auch mit neuen Flüssiggaslieferungen – hauptsächlich aus Katar – und es ist sehr ungewiss, wieviel Gas Europa am Ende des Jahrzehnts tatsächlich aus Aserbaidschan braucht.
Schwerfällige Energiewende
Aserbaidschans strategisches Partnerschaftsabkommen mit der EU konzentriert sich zwar in erster Linie auf Erdgas, aber es beinhaltet auch Formulierungen in Bezug auf eine Zusammenarbeit im Bereich saubere Energien. Was die Energiewende betrifft, ist das Gastgeberland der COP29 jedoch ein Nachzügler. Aserbaidschan legt in seiner Klimaschutzpolitik wenig Ehrgeiz an den Tag: Bei der Aktualisierung seines national festgelegten Beitrags unter dem Pariser Abkommen nannte Aserbaidschan 2023 als Ziel lediglich eine Emissionsreduzierung von 40 Prozent bis 2050, und zwar unter der Bedingung, dafür internationale Unterstützung zu erhalten. (Im Gegensatz dazu haben sich kohlenwasserstoffreiche Länder in der Umgebung wie Kasachstan, Usbekistan und Russland alle dem Netto-Null-Ziel angeschlossen.)
Aserbaidschan hat auch erst spät mit der Entwicklung von Solar- und Windenergie begonnen. Im Jahr 2022 betrug der Anteil von Erdgas bei der gesamten Stromerzeugung immer noch 93 Prozent, während erneuerbare Energie, die fast ausschließlich aus Wasserkraft gewonnen wird, nur sechs Prozent ausmachte. Aserbaidschan ist weit davon entfernt, aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen. Ganz im Gegenteil: Es ist entschlossen, seine Kohlenwasserstoffvorkommen, vor allem Erdgas, zu Geld zu machen. Bis 2033 soll die Erdgasproduktion um ein Drittel auf 49 Mrd. Kubikmeter steigen (von 37 Mrd. Kubikmeter im Jahr 2024). Dagegen ist die Ölproduktion in Aserbaidschan seit 2010 rückläufig.
Trotzdem bemüht sich Aserbaidschan, sein grünes Image aufzupolieren, und tut dies vor allem auf drei Wegen: ausländische Investitionen für die Entwicklung großangelegter Projekte im Bereich erneuerbarer Energien anzuziehen, darunter auch für Offshore-Windkraftanlagen; das Land beteiligt sich an internationalen Bemühungen um die Bekämpfung von Methanemissionen und positioniert sich selbst als Schlüsselelement eines zukünftigen grünen kaspischen Zentrums mit dem Ziel, grüne Elektrizität und grünen Wasserstoff nach Europa zu exportieren. Auch wenn diese Initiativen lobenswert sind, so sind sie doch noch nicht in eine umfassende Dekarbonisierungspolitik eingebunden und es gibt keine staatlich gestützten Instrumente, um in der Industrie, im Verkehrswesen oder im Wohnungsbau eine Energiewende voranzutreiben.
Im Bereich der Stromerzeugung strebt Aserbaidschan bis 2030 einen Anteil von 30 Prozent erneuerbarer Energien bei der gesamten installierten Stromerzeugungskapazität an – ein Ziel, das erreichbar scheint. (Das ist allerdings nicht mit dem Ziel zu verwechseln ist, 30 Prozent der Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen zu erzeugen, was eine weit größere Herausforderung wäre.) Neben den Vorteilen für das Klima könnten erneuerbare Energien dazu beitragen, mehr Erdgas für den Export zur Verfügung zu haben, was viel höhere Einnahmen generieren würde als auf dem Binnenmarkt. Im Jahr 2023 betrug Aserbaidschans gesamte installierte Stromerzeugungskapazität 8,32 Gigawatt (GW); davon 1,7 GW an Kapazitäten in erneuerbarer Energie (fast ausschließlich Wasserkraft) und belief sich damit schon auf ca. 20 Prozent. In Bezug auf Wind- und Sonnenenergie arbeitet Aserbaidschan eng mit führenden Unternehmen aus der Golfregion zusammen, beispielsweise mit Masdar aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und ACWA Power aus Saudi-Arabien, die in den letzten Jahren aktiv ihre Präsenz in Zentralasien und im Kaukasus ausgebaut haben.
Im Oktober 2023 eröffnete Masdar einen 230-MW-Solarpark in Garadagh bei Baku, den größten in der kaspischen Region. Das in den VAE ansässige Unternehmen hat auch einen Vertrag mit dem aserbaidschanischen Staatsunternehmen SOCAR unterzeichnet, drei weitere große Wind- und Solaranlagen mit einer Kapazität von insgesamt einem Gigawatt zu bauen: zwei riesige Solarparks in Bilasuvur (445 Megawatt, MW) und Neftchala (315 MW) sowie einen 240-MW-Windpark in Absheron-Garadagh. Das saudi-arabische Unternehmen ACWA Power hat den Auftrag, in Khizi auf der Halbinsel Absheron einen 230-MW-Windpark zu bauen. Wenn sie rechtzeitig fertig werden, würden allein diese Projekte Aserbaidschan auf den Kurs bringen, sein 30-Prozent-Ziel zu erreichen. Zudem ist Aserbaidschan das einzige Land in der Region, das aktiv über die Entwicklung der Offshore-Windenergie nachdenkt. Die Regierung erarbeite 2022 mit Hilfe der International Finance Corporation einen Plan für Offshore-Windenergie, der zwei Szenarien skizziert, die den Ausbau von Offshore-Windparks mit einer installierten Leistung von 1,5 bis 7,2 GW bis 2040 vorsehen.
Einen besonderen Platz in den aserbaidschanischen Plänen zur Energiewende nehmen die ehemals armenisch kontrollierten Gebiete ein, die 2020 und 2023 in den beiden großen Militäroffensiven zurückerobert wurden. Aserbaidschans militärische Übernahme führte dazu, dass fast die gesamte ethnisch armenische Bevölkerung floh, was das Ende der Republik Berg-Karabach (Arzach) bedeutete, die zwischen 1991 und 2023 existierte, aber von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wurde. In seiner Aktualisierung der national festgelegten Beiträge von 2023 kündigte Aserbaidschan seine Intentionen an, diese Gebiete (die jetzt offiziell als Wirtschaftsregionen Karabach und Ost-Zangezur bezeichnet werden) bis 2050 im Rahmen der großen Wiederaufbaubemühungen zu einer „Netto-Null-Emissionszone“ zu machen, wobei Wasserkraft die Hauptrolle spielen wird.
Obwohl die Wiederansiedlung nur sehr langsam vonstattengeht, hat Aserbaidschan in beiden Regionen bereits mit dem Bau von mehreren der 28 geplanten Wasserkraftwerke begonnen. Des Weiteren gibt es Pläne für Solar- und Windkraftanlagen, einschließlich eines 240-MW-Solarparks, der von BP im Bezirk Jabrayil (in der Region Ost-Zangezur) gebaut werden soll. Die Anlage wird zur Dekarbonisierung des BP-Ölterminals Sangachal am Kaspischen Meer beitragen. Es gibt sogar vorläufige Pläne für die Produktion von erneuerbarem Wasserstoff für den Export in die EU.
Ein anderer Fokus, der in der Vereinbarung von 2022 zwischen der EU und Aserbaidschan ausdrücklich erwähnt wird, ist die Verringerung von Methanemissionen in der Gasversorgungskette. Die EU, die größte Abnehmerin von aserbaidschanischem Gas, hat im Rahmen ihrer kürzlich verabschiedeten Methanverordnung noch sehr viel strengere Vorgaben eingeführt. Ab 2028 müssen Importeure von Öl, Gas und Kohle Bericht erstatten über die damit verbundenen jährlichen Methanemissionen und ab 2030 müssen sie nachweisen, dass sie vorab festgelegte Emissionsschwellen nicht überschreiten. Im März 2024 kündigte Aserbaidschan an, sich dem Global Methane Pledge anzuschließen, eine von den USA und der EU angeführte Initiative, bei der die teilnehmenden Länder sich freiwillig verpflichten, ihre Methanemissionen bis 2030 um 30 Prozent zu reduzieren. Auch wenn Aserbaidschan nicht (wie Turkmenistan) zu den schlimmsten Emittenten gehört, sind seine Methanemissionen seit 2018 doch um 11 Prozent gestiegen, was auf den Ausbau seiner Gasproduktion in den letzten Jahren zurückzuführen ist. Die Anpassung an die neuen Vorgaben ist nur mit ernsthaften Anstrengungen zu schaffen und doch wurde bis zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels noch keine nationale Methanstrategie erarbeitet.
Eine Energiebrücke, die den Südkaukasus und die kaspische Region mit Europa verbindet
Aufgrund seiner strategischen Lage kann Aserbaidschan eine wichtige Rolle spielen bei der Durchleitung von (fossiler oder grüner) Energie von Zentralasien nach Europa. Kasachisches Öl ist hier ein Paradebeispiel. Ein Löwenanteil der kasachischen Ölexporte wird über die Pipeline des Caspian Pipeline Consortium durch russisches Territorium zum Schwarzmeerhafen von Noworossijsk transportiert. Aufgrund wiederholter Störungen sucht Kasachstan nun nach Möglichkeiten, seine Ölexportrouten zu diversifizieren. Die aserbaidschanische SOCAR und das kasachische staatliche Öl- und Gasunternehmen KazMunayGas unterzeichneten 2022 eine Vereinbarung über die jährliche Durchleitung von 1,5 Mio. Tonnen Öls aus Kasachstan durch aserbaidschanische Pipelines; in einem Folgeabkommen vom März 2024 wurde die Ölmenge auf 2,2 Mio. Tonnen erhöht.
Aserbaidschan gilt auch als mögliches Transitland für turkmenische Gaslieferungen nach Europa. Schon seit den 1990er-Jahren ist eine transkaspische Unterwasserpipeline im Gespräch, aber bisher wurde hier wenig getan. Kürzlich hat die Idee jedoch aus verschiedenen Gründen neuen Auftrieb erhalten: die Pläne der EU, kein russisches Gas mehr importieren zu wollen, Turkmenistans Suche nach neuen Exportrouten außerhalb Russlands und Chinas sowie das Vorhaben der Türkei, zu einer Drehscheibe für Gas in Europa zu werden. Im Mai 2024 unterzeichneten Aserbaidschan und die Türkei ein Kooperationsabkommen, um Gas aus Zentralasien über Aserbaidschan nach Europa zu bringen. Allerdings stehen der Umsetzung des Plans noch einige Hinderungsgründe im Weg: Es ist sehr kompliziert, eine Finanzierung einer Pipeline für fossiles Gas zu sichern, und – was noch wesentlicher ist – es ist zu erwarten, dass die Nachfrage der EU nach Gas zurückgehen wird.
Es geht jedoch nicht nur um Öl und Gas. Perspektivisch sieht Aserbaidschan sich als einen Knotenpunkt des oder der zukünftigen Korridor(e) für grünen Energie, die vom Südkaukasus und Zentralasien nach Europa führen. Mit diesem Ziel vor Augen hat Aserbaidschan seine Zusammenarbeit mit den Nachbarn in der Region und interessierten EU-Mitgliedstaaten intensiviert. Im Dezember 2022 unterzeichneten Aserbaidschan, Georgien, Ungarn und Rumänien eine Vereinbarung über den Bau einer unter dem Schwarzen Meer verlaufenden Hochspannungsleitung, um Regenerativstrom aus den (noch zu bauenden) aserbaidschanischen kaspischen Windparks und aus Georgien, das eine immer wichtigere Rolle in dieser Initiative spielt, nach Rumänien und Ungarn zu bringen. Das Projekt wurde von der Europäischen Kommission gelobt und erhielt von der Weltbank einen Kredit über 35 Mio. USD für Vorbereitungsarbeiten mit Aussicht auf weitere Finanzierung.
Im Sommer 2024 wurde eine Machbarkeitsstudie mit vielversprechenden Ergebnissen durchgeführt. Gleichzeitig steht das Projekt vor enormen Schwierigkeiten: Das anvisierte 1.200 km lange Kabel wäre das längste der Welt und seine Lage im Schwarzen Meer würde aufgrund der anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine ernsthaften Sicherheitsrisiken mit sich bringen. Auch seine Wirtschaftlichkeit und erwartete Amortisationszeit sind nach wie vor umstritten.
Ein weiteres viel beachtetes Projekt für Aserbaidschan ist die Schaffung eine kaspischen Drehkreuzes für grüne Energie. Im Mai 2024 unterzeichneten Aserbaidschan, Kasachstan und Usbekistan eine Absichtserklärung, ihre Stromnetze über eine Hochspannungsleitung auf dem Grund des Kaspischen Meeres miteinander zu verbinden. Dieses Kabel soll perspektivisch auch dazu dienen, Regenerativstrom nach Europa zu exportieren. Auf der COP29 soll ein zwischenstaatliches Abkommen über eine Partnerschaft der drei Staaten im Bereich grüner Energie unterzeichnet werden.
Des Weiteren wird in Aserbaidschan über die Möglichkeit diskutiert, grünen oder blauen Wasserstoff nach Europa zu exportieren, möglicherweise durch den nachgerüsteten Südlichen Gaskorridor. Angesichts der Tatsache, dass die Wirtschaft in allen drei Ländern sehr kohlenstoffintensiv arbeitet, wäre es für den Klimaschutz jedoch am besten, den grünen Strom und Wasserstoff für die Dekarbonisierung im jeweiligen Inland zu verwenden statt für Exporte.
Schlussbemerkung
In den letzten beiden Jahren hat Aserbaidschan seine energiewirtschaftlichen Beziehungen zur EU erheblich ausgebaut, und damit der Staatengemeinschaft geholfen, seine Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. Dieser Prozess hat aber auch Aserbaidschan unerwartete Einnahmen beschert. Insgesamt gesehen, ist Aserbaidschan zwar ein wichtiger, aber keinesfalls ein unabdingbarer Energielieferant für Europa. Aserbaidschan investiert in den Ausbau seiner Gasproduktion für den Export, aber der sinkende Gasbedarf in Europa birgt das Risiko, dass das Land letztlich mit verschwendeten Vermögenswerten dastehen könnte.
Ebenso hat Aserbaidschan seine Anstrengungen verstärkt, große erneuerbare Energiekapazitäten zu erschließen uns sich als Knotenpunkt auf dem anvisierten Korridor für grüne Energie zu positionieren, der den Südkaukasus und die kaspische Region mit Europa verbinden soll. Diese Pläne sind jedoch nicht in einer umfassenden Politik für eine Energiewende verankert und ihre Wirtschaftlichkeit ist fragwürdig. Und letztlich ist Aserbaidschan auch aufgrund seiner alarmierenden Menschenrechtsbilanz für die EU ein politisch umstrittener Partner: Viele Stimmen – auch aus dem Europäischen Parlament – haben eine kritische Neubewertung dieser Partnerschaft gefordert. Zusammengenommen werfen diese Faktoren einen Schatten auf die langfristigen Aussichten der aserbaidschanischen Energiepartnerschaft mit der EU.
Dieser Blogbeitrag erschien zuerst am 12. November 2024 auf der Website der Heinrich-Böll-Stiftung.